Das Elend der Medien. Michael Meyen
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»Wenn ich morgens manchmal durch den Pressespiegel meines Hauses blättere, habe ich das Gefühl: Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch.«120
Das führt direkt zum Indexing – zu einer Hypothese des US-Politologen Lance Bennett, auf die sich Krüger stützt. Bennett beobachtete in den 1980er Jahren, dass die großen Medien in der Regel nur das abbilden, was gewissermaßen offiziell im politisch-parlamentarischen Raum diskutiert wird. Das heißt: Wenn die Opposition zu einem Thema oder einer Position schweigt, kommt keine Kritik in die Medien. Kein Bericht, kein Kommentar. Obwohl Journalisten ›frei‹ sind, binden sie sich nach Bennett an den Diskurs in Parlament und Regierung, da sie auf diese Weise Ärger vermeiden und ihre Berichterstattung legitimieren können – sowie Ressourcen sparen.121
Uwe Krüger hat mehrere Themen genannt, bei denen sich die großen Medien seit den 2000er-Jahren an die Deutungsmuster der politischen Eliten klammern und nur Details kritisieren: die EU-Osterweiterung, die Einführung von Hartz IV oder die Finanzmarkt-Deregulierung. Der Journalismus falle folglich »als Frühwarnsystem für Fehlentwicklungen regelmäßig aus – und nach dem bösen Erwachen gibt es dann stets ein bisschen Selbstkritik in Branchenmagazinen und auf Medientagen.« In Krügers Ursachenzuschreibung sieht die massenmediale Wahrheitsproduktion so aus: Themen-Agenda und Meinungsspektrum geben die Eliten über informelle Absprachen auf einer politisch-medialen Hinterbühnen vor – für das »Gros der Berichterstatter« eine Art »Magnet«, an dem sie sich »wie Eisenspäne« ausrichten.122
Der Mainstream-Frame kennt eine zweite Ursache – ausformuliert von Noam Chomsky, der 1988 mit Edward Herman einen Meilenstein der akademischen Medienkritik veröffentlichte: das Buch Manufacturing Consent.123 Während die Indexing-Hypothese den Journalisten unterstellt, unbewusst oder freiwillig einer Art Daumenregel zu folgen, schaut Chomsky auf die Tiefenstrukturen des Journalismus.124 In seinem Propaganda-Modell kontrollieren die großen Medien keineswegs die Eliten, wie es auf einem »freien Marktplatz der Ideen«125 oder in der deliberativen Demokratie der Fall sein sollte, sondern organisieren Zustimmung. Bei Herman und Chomsky durchläuft jede Nachricht fünf »Filter«. Neben den Interessen von Medieneigentümern und Werbekunden, die antikapitalistische oder systemkritische Aussagen verhindern, ist hier vor allem auf die Macht der Quellen hinzuweisen (vor allem: Behörden und staatlich finanzierte Experten) sowie auf das Gegenfeuer, das sofort einsetzt, wenn doch einmal etwas durchrutschen sollte (»Flak«). Der Entstehungszeit (1980er-Jahre) geschuldet ist die Benennung des fünften Filters (»Antikommunismus«).126
In der Kommunikationswissenschaft nimmt Siegfried Weischenberg einige Elemente dieses Modells auf, wenn er »kungelnde Elite-Journalisten« und »Alpha-Tiere in der Medienwelt« beobachtet127, die auch mit Hilfe der PR-Branche eine »Medienrealität« kreieren, die sich immer öfter an »Pseudo-Ereignissen« und nicht an Wahrhaftigkeit orientiert. »Hier geht es um Macht und Einfluss, um Images und professionelle Tricks.« Trotzdem distanziert sich Weischenberg ausdrücklich von Chomsky. Von einer »gezielten Manipulation« könne keine Rede sein, weil die Menschen noch immer selbst entscheiden könnten, was sie glauben. Dass die großen Medien nicht die Ansichten der Mehrheit repräsentierten und deswegen die Empörung in der Bevölkerung wächst, erklärt er mit der »Selbstreferenz des Journalismus«: Die Medienmacher würden sich stärker an der Arbeit ihrer Kollegen orientieren als am »wahren Leben« der »normalen Bevölkerung«.128
Bei Uwe Krüger ist das homogene Milieu der Journalisten die dritte Ursache für das »Mainstreaming«. Marcus Klöckner hat ein sozial ziemlich homogenes Feld beschrieben, das vom »Habitus der Mittelschicht« dominiert wird und »auf Anpassung« sowie auf »Akzeptanz der Herrschaftsverhältnisse« programmiert sei. Bei Klöckner wird daraus eine »sozialstrukturell ausgeformte Zensur«.129 Zumindest seine Angaben zur Sozialstruktur lassen sich mit Daten belegen. 2005 (bei der letzten großen Repräsentativbefragung) stammten zwei Drittel aller Journalisten aus gut abgesicherten Angestellten- oder Beamtenhaushalten. Damals hatten rund 70 Prozent einen Hochschulabschluss (Bevölkerungsschnitt: 14 Prozent). Mehr als ein Drittel stand den Grünen nahe. Zum Vergleich: 2005 kam diese Partei bei den Bundestagswahlen auf fünf Prozent.130 Das homogene Milieu spiegelt sich in den Wohnorten: Viele Journalisten leben in bürgerlichen Vierteln wie Berlin-Prenzlauer Berg, Hamburg-Eppendorf oder München-Glockenbach. In der Medienrealität wird daraus ein rot-grüner oder »grüner Mainstream« mit den Leitlinien Multikulturalität, Vielfalt, Weltoffenheit, Toleranz, Gleichstellung und Gender-Mainstreaming. Zum »pluralistischen Relativismus« gehört, dass gleichzeitig alles abgelehnt oder sogar bekämpft wird, »was in diesem Sinne nicht ›politisch korrekt‹ ist.«131
Kurioserweise ist der Mainstream-Frame auf den ersten Blick gar nicht so weit weg von der Medienkritik aus der Mainzer Schule. Elisabeth Noelle-Neumann und Hans-Mathias Kepplinger zeigten bereits Mitte der 1970er-Jahre, wie sich die »Homogenität des Weltbildes der Journalisten« auf ihre Berichterstattung auswirkt.132 In dem Sammelband Angepasste Außenseiter sagt Kepplinger 1979, dass keine andere Berufsgruppe in politischen Fragen derart übereinstimme wie Journalisten. Selbst bei den Eliten im kleinen Mainz sei das Meinungsspektrum deutlich breiter. Als Ursachen für den »eng begrenzten Gruppenstandpunkt« nannte Kepplinger damals die Nachwuchsrekrutierung (Selbstselektion und »Kooptation«) sowie »komplexe Anapassungsmechanismen«. Journalisten seien links, weil sie sich (oft als Studienabbrecher und Langschläfer) gegen eine Karriere in Staat und Wirtschaft entschieden haben und somit »zweckrationale Entscheidungen« ablehnen.133 Noelle-Neumann-Schülerin Renate Köcher sprach wenig später von »Missionaren«.134
Diese Gemeinsamkeiten sind erstens deshalb kurios, weil sich Weltbild und Handlungsempfehlung unterscheiden. Wo Krüger Netzwerke sieht (Lobbyisten und Transatlantiker), beobachtet Nolle-Neumann 1978 auf einem Sommerfest eine »dunkle Gruppe, wie zusammengeballt« – der Journalismus als »geschlossene Gesellschaft«.135 Und wo Krüger Transparenz und Offenheit vorschlägt, um das Meinungsspektrum zu erweitern, setzt Noelle-Neumann auf kommerziellen Rundfunk.136 Das führt direkt zu zweitens. Uwe Krüger kommt von links und Elisabeth Noelle-Neumann von rechts. Während der eine die Nato- und US-Nähe der Journalisten thematisiert, arbeiten die