Verlorener Sohn. Brennan Manning
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Er spürte einen Schauer über seinen Arm laufen und wusste, dass ähnliche Schauer seine Gemeinde und alle, die seinem Gebet zuhörten, durchliefen. Dies waren seine bekanntesten Worte, der Slogan, der sich auf Werbetafeln in ganz Seattle fand, der Titel seines ersten Bestsellers, eines Kurses für die Sonntagsschule und für eine Zwölf-Schritte-Gruppe.
Er nickte, schloss die Augen und flüsterte jetzt: „Wenn wir deine Liebe je verdienen wollen, o Gott, müssen wir uns mehr bemühen.“
Jetzt waren sie bei ihm, er konnte es spüren. Sein Herz schlug rasch, und er unterdrückte das idiotische Grinsen, das ihm immer dann über das Gesicht zu kriechen drohte, wenn er spürte, wie die Wogen der Aufmerksamkeit über ihm zusammenschlugen. Er umklammerte das Rednerpult fester. Jeder, der genau hinsah, würde sehen, wie sich seine Knöchel weiß färbten, während er das Thema dieser Predigt vorstellte, das Thema jeder Predigt, sogar heute, an diesem Weihnachtsmorgen. „Heute, wo wir wieder einmal feiern, dass du dich uns zugewandt hast, wo wir wieder daran denken, wie wir dich enttäuschen, verpflichten wir uns neu, die Kluft zwischen uns wieder zu schließen. Wir verpflichten uns neu, unser Leben zu bessern, damit es deiner würdig ist, makellos, tadellos, damit wir – wenigstens einmal – deine Aufmerksamkeit aus dem richtigen Grund finden.
‚Seid also vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.‘ So sagt es die Bibel. Aber davon sind wir so unendlich weit entfernt. Und deshalb hat Gott sich von uns abgewendet.“
Er unterbrach sich, lächelte, obwohl in seinen Augen Traurigkeit lag, ließ seinen Blick über die Gemeinde schweifen. Etliche Köpfe waren geneigt, viele sahen aufmerksam zu ihm hin.
„Und deshalb: Strengen – wir – uns – mehr – an.“
Er endete, dehnte das Schweigen danach noch ein wenig aus und hob dann die Hand wie ein Dirigent. Er machte eine Faust und reckte sie ein paarmal, dann ließ er sie schwer auf das Holz des Pultes fallen. Er sah auf, über die Menge hin, und sagte: „Amen.“
Die Lichter gingen jetzt an, die Bildschirme hinter ihm verblassten, und er klickte weiter zur nächsten Seite auf seinem iPad.
„Schlagen Sie mit mir die Bibel auf, Matthäusevangelium, Kapitel zwei“, sagte er, und das Rascheln, mit dem man seiner Aufforderung folgte, klang durch den Raum wie Eschenlaub, das von einer heftigen Brise durchweht wird, dann wie das Tosen der Brandung am Ufer.
Fünf Schritte unter dem Podium zeigte ihm Danny Pierce in der ersten Reihe die hochgereckten Daumen. Das mussten sie mal hören, Boss.
Drei Plätze weiter blickte Sally Ramirez, seine schwarzäugige Assistentin, hoch und schenkte ihm ein warmes Lächeln. Jack nickte ihr kaum merklich zu und blickte dann wieder auf seine Notizen, bevor er aus dem Konzept kam, bevor seine Gedanken eine entschieden unfromme Richtung nehmen konnten.
O Mann, war sie sexy.
Heute war wieder Weihnachten, ein Jahr später, und alles war anders geworden.
Jack rekelte sich auf seiner Liege. Sally war zwar sein Untergang gewesen, aber er konnte ihr nicht böse sein. Sie sollte ein Buch schreiben, für den „Playboy“ posieren und das meiste aus den fünfzehn Minuten Ruhm herausschlagen, den sie zwar nicht gesucht hatte, den sie aber trotzdem zu bekommen schien.
Er konnte auch keinen Groll gegen Danny in sich entdecken. Ein Junge aus einer Kleinstadt wie Jack, aus dem er einen weiteren Großstadt-Star gemacht hatte, war Danny ein Werkzeug der Gemeindeältesten, nichts weiter. Er war das prominenteste Gesicht der Gemeinde nach ihm selbst und Tracy, und sie würden beide nicht wiederkommen. Die Ältesten brauchten Danny, brauchten irgendeine Art von Kontinuität, wenn sie die Gemeinde zusammenhalten wollten.
Sie brauchten Danny, damit er auf die Kanzel stieg und vielleicht sogar in Jacks Fußstapfen als Hauptpastor trat.
„Viel Glück dabei, Bruder“, murmelte Jack. Danny würde Glück brauchen, um auf diesem hohen Seil balancieren zu können.
Aber Jack fühlte sich elend. Er hatte sie enttäuscht. Hatte sie alle im Stich gelassen. Tracy. Alison. Danny. Vielleicht sogar Sally.
Bei diesem Gedanken zog er das Handy wieder hervor.
„Ruf Sally an“, sagte er.
„Verbinde mit Sally Ramirez’ Handy“, signalisierte sein Gerät und dann hörte er den Signalton, einmal, zweimal, dreimal. Ihre Botschaft.
„Hier ist Sally. Du weißt, was du zu tun hast.“
Er hatte gehofft …
Wer weiß. Wenn er diesen Gedanken zu Ende dachte, würde er eine ganze Menge mehr Verantwortung für seinen Schlamassel übernehmen müssen, als er momentan bereit war, zu übernehmen.
Aber er fühlte sich schlecht. Oder er würde es zumindest, wenn er nicht noch mehr von dem guten mexikanischen Tequila in sich hineinschüttete, und das rasch.
Jack schraubte die Flasche auf, nahm einen Schluck, schraubte sie wieder zu und stellte sie sacht neben sich auf den Fußboden. Über der Karibik stieg die Sonne höher und brannte jetzt heiß auf ihn herab. Er müsste sich etwas überziehen, oder er würde sich einen noch schlimmeren Sonnenbrand holen, als er schon hatte. Sogar die milde Wintersonne Mexikos war jetzt nach fünfzehn Jahren in Seattle zu viel für ihn.
Warum war er überhaupt hier?
Warum war er zum Schauplatz seines Verhängnisses zurückgekehrt?
Vielleicht hatte er gedacht, es würde etwas lösen, wenn er zurückkam. Vielleicht hatte er gehofft, hier würde niemand nach ihm suchen. Vielleicht hatte er gedacht, Sally würde auch kommen. Es spielte jetzt alles keine Rolle mehr.
Er war nie in Mexiko gewesen, bis zum letzten September. Und dann hatte Sally den Anstoß gegeben. Sie hatte jeden seiner Schritte auf diesem Weg begleitet.
Es war nicht seine Idee gewesen.
„Nichts davon war meine Idee“, murmelte er.
Er nahm sich noch einen Drink. Die Welt um ihn her versank in einem angenehmen Nebel. Es war besser, wenn er sich nicht erinnerte.
Vom Handy erklang sein Klingelton – die ersten Akkorde von Don Henleys Rocksong „Dirty Laundry“. Grotesk, wie passend das war, nachdem die Medien ihm in den letzten Wochen die Hölle heißgemacht hatten. Er musste den Klingelton ändern, falls er das Handy behielt, falls er sich überhaupt je wieder dazu entschloss, Anrufe zu beantworten. Aber wenigstens rief Sally jetzt endlich zurück, nachdem sie wochenlang verschwunden gewesen war.
Er hob das Handy ans Ohr. „Warum hast du dich nicht früher gemeldet?“, fragte Jack und bemühte sich, seiner Stimme den Ärger nicht anmerken zu lassen. Sie steckten beide in dieser Sache drin – oder zumindest sollte es so sein.
„Ich rufe immer am Weihnachtsmorgen an“, sagte die sanfte Männerstimme freundlich.
Sein Vater.
Er riss sich das Handy vom Ohr und starrte es ungläubig an.
„Jack“, sagte sein Vater, „ich bin nur …“
Jack