Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941. Группа авторов

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Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941 - Группа авторов

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Einsatzgruppen „Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung“ durchführen. Was und wer damit nach Einschätzung ihrer Kommandeure gemeint war, weisen deren Mordstatistiken nach. Innerhalb eines Monats, bis Ende Juli 1941, fielen ihnen im Gebiet zwischen Baltikum und Ukraine bereits rund 63000 Menschen zum Opfer; etwa 90 Prozent davon waren Juden. Insgesamt lassen sich anhand der EM und anderer Berichte für den Zeitraum bis Frühjahr 1942 mindestens 535000 Mordopfer der Einsatzgruppen belegen.6

      Gerade was die unvorstellbar hohen Exekutionszahlen angeht, sprechen die EM eine Sprache, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt; sie bieten aber auch signifikante, wenngleich weniger augenfällige Hinweise auf die Triebkräfte und Verantwortlichkeiten beim Übergang zum Völkermord an den europäischen Juden.7 Es ist daher kein Wunder, daß nach 1945 und bis in die Gegenwart Staatsanwälte und Historiker vor allem die EM als zentrale Quelle zur Aufarbeitung deutscher Verbrechen im Zweiten Weltkrieg benutzt haben, ohne daß sie einem breiteren Publikum verfügbar gewesen wären.8 Denn die EM waren mitunter der einzig erhaltengebliebene zeitgenössische Beleg mit Aussagekraft dafür, daß Massenexekutionen erfolgt waren. Dies gilt für ‚kleinere‘ Tatorte wie beispielsweise Dymer oder Gornostaipol9 bis hin zu den Zentren der solitär stehenden Großaktionen – sei es in Kiew, Dnjepropetrowsk oder Charkow. So verwundert es kaum, daß den EM gerade wegen der Vielzahl der in ihnen angeführten Verbrechen und der Nennung der tatbeteiligten Einheiten im Zuge der bundesrepublikanischen Ermittlungen wie bei der Anklagevorbereitung ein Stellenwert zukam, der einmalig ist. Man darf wohl mit Recht behaupten, daß ohne ihre tatortbezogenen Vorgaben so mancher Prozeß im Sinne der Angeklagten ausgegangen oder erst gar nicht zustandegekommen wäre.

      Bislang fehlt eine allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Gesamtgeschichte der Einsatzgruppen von ihren Ursprüngen anläßlich des österreich-„Anschlusses“ im März 1938 bis zur Ardennen-Offensive Ende 1944/Anfang 1945.10 Die meisten Überblicksdarstellungen zum Holocaust befassen sich zwar mehr oder weniger ausführlich mit den Einsatzgruppenmorden in der Sowjetunion, in der Regel allerdings ohne die Quellenüberlieferung eingehender oder im breiteren Kontext in den Blick zu nehmen. Diverse Dokumentensammlungen enthalten auszugsweise Abdrucke einiger EM, vor allem in englischer Übersetzung.11 In den USA publizierte Ronald Headland Anfang der 1990er Jahre die bislang einzige Untersuchung, die den Gesamtkorpus der EM unter einem zentralen Aspekt – ihrer Aussagekraft zum Judenmord – analysiert.12 Der vorliegende Band steht am Anfang einer auf vier Bände konzipierten Editionsserie, die erstmals alle Meldungen der Einsatzgruppen in der Originalsprache, um relevante Zusatzquellen ergänzt und kritisch kommentiert, präsentiert.

      Die Herausgeber wollen mit dieser Edition mehr leisten, als eine Lücke im Fundus publizierter Quellen zur deutschen Herrschafts- und Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg zu schließen. Die Bände der Reihe sollen auch dabei helfen, zukünftiger historischer Forschung Grundlage und Perspektive zu bieten. Insbesondere zwei Tendenzen lohnt es entgegenzuwirken: Erstens soll die Edition der sich immer mehr verbreitenden Ansicht widersprechen, es gäbe zur Ereignisgeschichte des Holocaust nichts Wesentliches mehr zu erforschen; was bleibe, sei die Analyse seiner bis in die Gegenwart anhaltenden Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Zweitens wollen dieser und die folgenden Bände einer Reduktion auf den Wert der EM als Dokumentation des Massenmords entgegentreten, um so die Einsicht in die Zentralität des Genozids nicht etwa zu relativieren, sondern zu schärfen. So verständlich es ist, daß Ronald Headland den Schwerpunkt seiner Untersuchung der EM „on the unfolding of mass murder, clearly the most significant part of the reports“ legt, so birgt diese Fokussierung doch die Gefahr, mit dem breiteren inhaltlichen Zusammenhang auch die komplexeren Spezifika dieser Quelle zu vernachlässigen – eine Eingrenzung, die sich in der problematischen Schlußfolgerung spiegelt, „the sheer bulk of the record left by the Kommado reports cannot but leave the impression of calculated genocide“.13

      Die EM spiegeln die Ereignisse aus der Sicht der Mörder und ihrer Gehilfen. Zugleich waren sie aber auch ein wichtiger Bestandteil des Prozesses institutioneller Kommunikation, der wiederum Einfluß hatte auf jene Vernichtungsdynamik, die sich – jenseits planerischer Kalkulation – mit dem Überschreiten der Grenze zur Sowjetunion erst voll entwickelte. Diese zweite Bedeutungsebene hat im Vergleich zur ereignisgeschichtlichen Auswertung der EM bislang wenig Beachtung gefunden. Denn im Vordergrund stand bis in die 1990er Jahre zum einen die Rekonstruktion der Einsatzgruppenmorde selbst, zum anderen der Versuch, anhand der EM nachvollziehen zu wollen, wann die Führungsspitze des Reichs und insbesondere Hitler einen Befehl zur Vernichtung der sowjetischen Juden oder zum Vollzug der „Endlösung“ mittels Massenmord gegeben hat. Seitdem sind andere, stärker auf die konkreten Umstände und lokalen Ausformungen deutscher Herrschaft abgestellte Fragestellungen in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gerückt, etwa die Wirtschafts- und „Volkstums“-Politik im Besatzungsgebiet und die Zusammenarbeit bzw. Konkurrenz der verschiedenen Instanzen vor Ort, wodurch sich das Wissen um den Aspekt der Synergie zwischen Zentrale und Peripherie, SS/Polizei und anderen Institutionen bedeutend erweitert hat. Doch ungeachtet der Fortschritte, die die Holocaust-Forschung in dieser Richtung in den letzten beiden Jahrzehnten gemacht hat, bleiben zentrale Bereiche der Thematik weiter im Dunklen, vor allem was die Mechanismen und Ursachen der Mobilisierung zum Massenmord angeht. Eine genauere Betrachtung der EM in ihren formalen, stilistischen und ereignisrelevanten Aspekten kann darum helfen, besser zu verstehen, unter welchen Bedingungen der Übergang zum Genozid zustande kam.

      Für das Entstehen der EM waren, der Berichtspraxis im SS- und Polizeiapparat entsprechend, zwei Gründe entscheidend: einerseits das Bedürfnis der Führung, über den Gang der Ereignisse hinter der Front im Allgemeinen und die Tätigkeit der Einsatzgruppen im Besonderen möglichst genau und zeitnah informiert zu sein; andererseits der Drang der Offiziere vor Ort zur Selbstdarstellung und Rückversicherung, mit der sie ihre Entscheidungsfreiheit im Besatzungsalltag zu zementieren und zu erweitern suchten. Die EM fungierten damit von Beginn an nicht nur als Informationsmedium; sie reflektierten daneben – angesichts der Tatsache, daß das im RSHA weiterverarbeitete Rohmaterial weitgehend fehlt, allerdings gebrochen –, was die an den jeweiligen Enden der Hierachie beteiligten Instanzen für wichtig und mitteilenswert erachteten. Es stellt sich also zunächst die Frage, nach welchen Modalitäten sowie für welchen Zweck und Leserkreis die Meldungen erstellt wurden.

      Das Interesse der SS-Führung, mittels regelmäßiger Sammelberichte die Fortschritte der Einsatzgruppen bei der „Gegnerbekämpfung“ hinter der Front so direkt und konzise wie möglich mitzuverfolgen, um Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und gegebenenfalls schnell korrektiv eingreifen zu können, war kein Novum. Es hatte schon früh die Auslandseinsätze des RSHA begleitet und beim Entstehen der seit 1939 vom SD erstellten „Meldungen aus dem Reich“ Pate gestanden.14 Während des Überfalls auf Polen hatte ein Sonderreferat in Heydrichs Hauptamt Sicherheitspolizei die von den Einsatzgruppen einlaufenden Meldungen gesammelt und in insgesamt 45 Tagesberichten zusammengefaßt.15 Das „Unternehmen Barbarossa“ warf jedoch für die SS-Führung deutlich massivere Probleme auf, als sie im Vorfeld des Krieges gegen Polen erwartet worden waren. Angesichts des ungleich höheren Risikos, das dem Überfall auf die Sowjetunion trotz der deutscherseits gering eingeschätzten Widerstandskraft der Roten Armee militärisch wie innenpolitisch innewohnte, wegen möglicher Nachwirkungen der Spannungen, die zwischen SS und Wehrmacht in Fragen der „Befriedungs-“ und „Volkstumspolitik“ während des Polenfeldzugs aufgetreten waren, und aufgrund der abzusehenden Kommunikationsprobleme in einem schnellen Bewegungskrieg wollten Himmler und Heydrich mit den EM sicherstellen, daß Vorgänge, deren Bedeutsamkeit sich erst über einen längeren Zeitraum erschloß, nicht im Trubel der Tagesereignisse untergingen.16

      Wenngleich das RSHA und die Kommandos an der Peripherie als wichtig erachtete Informationen auch direkt austauschten, bedurfte es in der Berliner Zentrale offenbar einer zusätzlichen Berichtsform mit Doppelfunktion: intern als regelmäßige Gesamtschau, die einen raschen Überblick über die Entwicklungen hinter der Frontlinie bot und unterschiedliche Teilbereiche des komplexen, rasch wachsenden

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