Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941. Группа авторов

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Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941 - Группа авторов

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gehörten die Genannten doch auch zu den EM-Adressaten. Zudem mußte die Mehrfachnennung der gleichen Ereignisse verwirrend wirken, gerade was die Zahl der Erschießungsopfer angeht: Waren die in EM 12 genannten 200 Erschossenen den drei „Aktionen“ in Garsden, Krottingen und Polangen zuzuordnen oder handelte es sich um die Opfer anderer Exekutionen, etwa denen in Augustowo, die in Böhmes überliefertem Bericht vom 1. Juli nicht quantifiziert wurden? Warum nannte der „Tätigkeits- und Lagebericht Nr. 1“ eine offenbar gerundete Gesamtopferzahl von 500, wo doch die aus Tilsit gemeldete Zahl höher war? Inwieweit lag der von Ronald Headland an anderen Beispielen verdeutlichten „selectivity and pruning“39 im Umgang des RSHA mit den eingehenden Meldungen lediglich die von Fumy nach dem Krieg erwähnte „Flüchtigkeit“ und mangelnde Akkuratesse der Berliner Bürokraten zugrunde? Und in welchen Fällen wurde von der Zentrale absichtsvoll gekürzt, gerundet oder anderweitig abstrahiert?

      Noch deutlicher wird der Unterschied zwischen dem von der Peripherie Gemeldeten und den Berliner Sammelmeldungen, wenn man andere Überlieferungen der Einsatzgruppe A hinzuzieht. Die Forschung verfügt hier mit den vom Einsatzkommando 3 unter SS-Standartenführer Karl Jäger für den Zeitraum zwischen Anfang September 1941 und Februar 1942 erstellten vier Berichten bzw. Berichtsfragmenten sowie den „Gesamtberichten“ Stahleckers von Mitte Oktober 1941 und Anfang Februar 1942 über einzigartige, in ihrer Aussagekraft kaum zu übertreffende Dokumente, die an dieser Stelle nur hinsichtlich ihrer Abweichungen im Informationsgehalt betrachtet werden sollen.40 Jägers unerträgliche Problemlösungsphraseologie – in der „Gesamtaufstellung“ vom Dezember ist im Zusammenhang mit dem Massenmord an Zehntausenden von Juden von „Organisationsfrage“, „gründliche[r] Vorbereitung“, „nervenaufreibende[r] Arbeit“, „geschickte[r] Ausnutzung der Zeit“ und „Paradeschießen“ die Rede – schnitten die Redaktionsscheren sowohl im Einsatzgruppenstab wie auch im RSHA heraus und beließen es bei quantitativen Bilanzen.41 Schon aufgrund dessen, was sie bezeichneten, konnten die Zahlen nicht nüchtern sein; in der Abstraktion von der Realität scheint bisweilen mehr auf als die bloße Summierung: Anfang Februar 1942 übernahm Stahlecker die Gesamtzahl der von Jägers Kommando erschossenen Juden – 136421 Männer, Frauen und Kinder – in seinen Bericht ans RSHA und fügte eine Landkarte bei, die die Exekutionsziffern im Gebiet der Einsatzgruppe A zusammen mit Sargsymbolen verzeichnete.42

      Bei aller Undurchschaubarkeit und Willkür des redaktionellen Verfahrens im RSHA verdeutlichen diese Beispiele den Trend zur inhaltlichen Reduktion der exekutiven Tätigkeit der Einsatzgruppen auf das quantifizierbar Wesentliche und zur Ausblendung interner Kommunikations- und Entscheidungsabläufe. Wie aber ist, über die Frage nach Informationsverlusten auf dem Weg von den Einheiten zu den EM hinaus, die Genauigkeit und Aussagekraft von Zahlenangaben zu beurteilen? Flüchtigkeits- und andere unbeabsichtigte Fehler waren wohl unvermeidlich. Wichtiger sind dagegen bewußte Falschmeldungen, die aus der raison d’être der EM resultierten – Hervorhebung der eigenen Leistung, sowohl gegenüber anderen Sipo- und SD-Einheiten, als auch rivalisierenden Instanzen – und durch Angabe exakt aussehender, aber empirisch nicht abgesicherter Schätzungen (sogenannter Hausnummern) die Illusion genauer Buchführung beim Massenmord suggerierten. Sie lassen sich teilweise aufgrund widersprüchlicher Angaben in verschiedenen EM, häufiger anhand anderer Quellen im Einzelfall nachweisen. Die Anmerkungen in diesem Band geben hierzu nähere Aufschlüsse, ohne daß die Herausgeber beanspruchen können, jede Diskrepanz nachgewiesen zu haben.43 Die von Hans-Heinrich Wilhelm auf 10 Prozent geschätzte Fehlerquote bei Zahlenangaben in den EM dürfte zu niedrig gegriffen sein; sie läßt sich angesichts des Fehlens verläßlicherer Alternativen aber nicht durch einen realistischeren Wert ersetzen. In den letzten Jahren haben Exhumierungen von Massengräbern in den deutsch besetzten Teilen der Sowjetunion Möglichkeiten eröffnet, bei der Quantifizierung des Genozids einen Schritt weiterzukommen.44 Letztlich wird es jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen Großteil der in den EM genannten Massenmorde bei Annäherungswerten zu den Opferzahlen bleiben müssen. Gegenüber Ereignissen, die nicht mit dem Mord an Juden und anderen Zivilisten in Zusammenhang standen und die in den EM ohne Zahlen- oder andere überprüfbare Angaben mehr oder weniger ausführlich abgehandelt wurden, ist ebenfalls Skepsis geboten. Die ‚von oben‘ verordnete Berichtspflicht und die Spezifika „SD-mäßiger“, d.h. scheinbar sachlicher, in Wahrheit aber primär ideologie- und interessensgeleiteter Meldungen dürften in nicht wenigen Fällen dazu beigetragen haben, aus der von einzelnen Informanten oder gerüchteweise vernommenen sprichwörtlichen Mücke einen stattlichen Papierelefanten zu machen45 – von Hobbythemen, Meinungsunterschieden und stilistischen Marotten der Autoren ganz abgesehen. Es bleibt gleichwohl festzuhalten, daß an der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit und Bedeutung der EM als Quelle kein Zweifel bestehen kann. Selbst die Nachkriegsanwälte der durch die Meldungen inkriminierten Verdächtigen und Angeklagten haben sie als zwar im Einzelfall möglicherweise fehlerhafte, generell jedoch verläßliche Dokumentation der Einsatzgruppentätigkeit akzeptieren müssen.46

      Was das äußere Format der EM angeht, blieb die Erscheinungsweise, nachdem die ersten Nummern Variationen in der Bezeichnung, im Briefkopf und Aktenzeichen durchgespielt hatten,47 relativ einheitlich. Dies kann angesichts ihrer sehr allgemein gehaltenen und damit für unterschiedlichste Inhalte und Berichtsformen offenen Struktur kaum überraschen. Schon die Grobgliederung – am häufigsten mit den Rubriken „Politische Ereignisse“, „Meldungen der Einsatzgruppen und -kommandos“, „Militärische Ereignisse“ – ließ Raum für eine flexible Anordnung des Materials, wobei die zweite Rubrik die brei-teste Varianz in Gestalt fehlender Einzelmeldungen der Einsatzgruppen, ungleichgewichtiger Detailtiefe und stilistischer Unausgewogenheit aufweist. EM 126 vom 29. Oktober 1941 markierte dann die erste größere Veränderung; seitdem wurden die Standorte und Nachrichtenverbindungen der Einheiten dem inhaltlichen Teil vorangestellt und die folgenden EM in zeitlichen Abständen von bis zu zehn Tagen erstellt.48 Über reine Formalitäten hinaus brachte die Modifikation insofern eine wichtige Neuentwicklung, als sich nun die zeitliche und inhaltliche Diskrepanz zwischen den Berichten der Einheiten und den vom RSHA erstellten Meldungen noch verstärkte; die EM hatten zu dieser Zeit offenbar ihren Ursprungszweck erfüllt und schienen verzichtbarer. Mitte April 1942 wurden die EM im Zuge der von Heydrich befohlenen „Neuordnung der Bearbeitung der besetzten Ostgebiete“ eingestellt und durch die wöchentlichen „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ substituiert, die deutlich andere Akzente setzten.49

      Wer bekam die EM zu lesen? Über die SS-, RSHA- und Orpo-Führung hinaus blieb der offizielle Empfängerkreis laut Verteiler relativ klein, erweiterte sich allerdings im Laufe der Zeit, ohne wesentlich über Himmlers Apparat hinauszugreifen. Von EM 1 wurden am 23. Juni 1941 gerade einmal zehn Exemplare angefertigt. Der Verteiler weist Himmler, Heydrich und dessen sieben Amtschefs als Empfänger aus. Eine weitere Ausfertigung wurde im Referat IVA 1 archiviert. Knapp zwei Monate später wurde EM 53 vom 15. August in einer Auflage von immerhin 48 Exemplaren verteilt. Neben den anfänglichen Adressaten waren eine Vielzahl weiterer Gruppen und Referate des RSHA sowie namentlich der bereits erwähnte Einsatznachrichtenführer Paeffgen und Sturmbannführer Helmut Pommerening in seiner Funktion als Leiter des Hauptbüros im Amt II hinzugekommen. Darüber hinaus wurden allein neun Ausfertigungen als Reserve am Entstehungsort abgelegt.

      Die Klassifizierung der EM als „geheime Reichssache“ zielte primär darauf ab, nichts über jene Aspekte deutscher Herrschaft im Osten nach außen dringen zu lassen, die allzu augenfällig mit dem Propagandaanspruch kollidierten, „Recht und Ordnung“ ins Reich der „Bolschewisten- und Judenherrschaft“ zu bringen. Gleichzeitig verfolgte die restriktive Verteilung der Meldungen wohl auch die Absicht, die Empfänger außerhalb von Himmlers Apparat in dem Gefühl zu bestärken, sie hätten Anteil am exklusiven Wissen eines kleinen Kreises innerhalb der NS-Funktionselite. Die Vermutung, daß auch Hitler zu den Adressaten der EM zählte,50 mag angesichts ihres brisanten Inhalts naheliegen, doch fehlen dafür schlüssige Belege. Die oft bemühte Anweisung von Gestapo-Chef Müller vom 1. August 1941, in der er die Kommandos zur Übersendung von Material aufforderte, damit Hitler „von hier aus lfd. Berichte über die Arbeit der Einsatzgruppen im Osten vorgelegt“ werden könnten,51 erwähnt explizit lediglich „besonders interessantes

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