Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941. Группа авторов

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die Hauptaspekte deutscher Besatzungspolitik aus der Sicht von Sipo und SD. Ausschlaggebend für die thematische Vielfalt der EM war neben dem Ziel, beide Institutionen in möglichst vorteilhaftem Licht zu präsentieren, vor allem die amorphe, in ihrer potentiellen Ausdehnung auf alle „Lebensgebiete“ entgrenzte Aufgabenstellung von Heydrichs Apparat. Der Zwecksetzung der Einsatzgruppen entsprechend spiegeln die EM auch das Bestreben der Kommandeure, ihren Ermessens- und Handlungsspielraum den vor Ort herrschenden Umständen entsprechend zu nutzen, um das eroberte Gebiet rasch, nachhaltig und entsprechend der Vorgaben der Regimespitze zu „befrieden“. Sie zeigen zudem, wie die SS-Führung ihre Absicht umsetzte, eigene Inhalte und Interessen nach innen und nach außen zu vermitteln: intern zum Zwecke der Koordination und Integration, extern als Teil des Ringens um Kompetenzwahrung und -ausdehnung. Der Entstehungszusammenhang des Materials setzt seiner historischen Aussagekraft jedoch Grenzen. Wo die Berichte der Truppe, die den EM zugrundelagen, fehlen und somit unklar bleibt, welche Passagen direkt im Besatzungsgebiet verfaßt und wie sie in Berlin überarbeitet wurden, macht detaillierte Textinterpretation kaum Sinn. Für eine systematische Behandlung der Themen analog zu den nach „Lebensgebieten“ gegliederten „Meldungen aus dem Reich“ der Jahre 1940 bis 1943 wiederum sind die EM mit ihren groben Rubriken „Politische Ereignisse“, „Meldungen der Einsatzgruppen und -kommandos“ und „Militärische Ereignisse“ zu wenig strukturiert, ist die Streuung des Berichteten zu breit. Es lassen sich dennoch einige inhaltliche und stilistische Aussagen treffen, die für die Bewertung der EM als Quelle zur Geschichte deutscher Herrschaft in der besetzten Sowjetunion von Belang sind.

      Die thematische Bandbreite des Berichteten scheint der bereits erwähnten Tendenz der EM zu widersprechen, Mordaktionen auf Zahlen zu reduzieren und interne Entscheidungsabläufe auszublenden, wie sie etwa anläßlich der Massenerschießungen im deutschlitauischen Grenzgebiet im Sommer 1941 nachweisbar sind. Ganz offensichtlich hielt man es im RSHA jedoch für sinnvoll, wenn schon nicht systematisch die Liste der im Hause bearbeiteten „Lebensgebiete“ abzudecken, was gerade in der Anfangszeit angesichts der hohen Frequenz der Meldungen, der Fülle der Veränderungen und des schnellen Vormarschs kaum möglich war, so doch wenigstens von Zeit zu Zeit ausführlich auf potentiell relevante Themen einzugehen. Relevanz definierte man „SD-mäßig“ umfassend, wobei die Wahrnehmung der Situation im Besatzungsgebiet und das Gespür für die sich dort bietenden Möglichkeiten dynamischer Kompetenzausweitung eine ebenso wichtige Rolle spielten wie die vorangegangenen Erfahrungen im Reich. Ob Angaben zur Versorgungslage und zum Unmut der Bevölkerung, zu Partisanentätigkeit, zu den Nachwirkungen sowjetischer Herrschaft oder zur Haltung einzelner Geistlicher und anderer Angehöriger einheimischer Führungsgruppen: Kein Thema schien zu groß oder zu klein, um nicht in den EM zumindest erwähnt, gelegentlich – als Anhang oder in einer anderen aus der Reihe fallenden Form – bis ins Detail ausgewalzt zu werden. Das Bemühen, empirisch begründeten Sachverstand zu demonstrieren und die Unmöglichkeit, angesichts der erratischen NS-Entscheidungsabläufe mit Sicherheit ausschließen zu können, daß ein marginaler Sachverhalt nicht vielleicht doch wichtig werden würde, sowie der unvermeidliche Zufallscharakter der Informationsgewinnung spielten hier ebenso eine Rolle wie institutionelle Interessen und Ideosynkrasien, das Festhalten der Berichterstatter an Lieblingsthemen oder eingeübten Berichtsroutinen.

      Und vielleicht breiten die EM gerade deswegen für den Forscher, der zur deutschen Besatzungspolitik in der UdSSR arbeitet, ein ganzes Kaleidoskop an Themen aus. Mag man zur Kirchengeschichte oder zu den deutschen Militäroperationen recherchieren, man wird sicherlich Neues, ja Überraschendes finden. Der mit der Historie des Stalinismus Vertraute mag interessante Details – aus der Sicht des Weltanschauungsgegners – über die andere große Diktatur erfahren und Beutedokumente präsentiert bekommen,93 die bis zur Perestroika in den sowjetischen Archiven unter Verschluß gehalten wurden. Sie sind zugleich ein wahrer Fundus zur Kollaborations- bzw. Kooperationsforschung. Ähnlich dürfte der Ertrag ausfallen, wenn man sich dem Problem der deutschen Bündnispolitik durch die ‚Brille‘ des SD nähert. Hier wird ersichtlich, wie durch Berichterstattung Politik betrieben und der Sinn geschlossener Allianzen in Zweifel gezogen wird, um so eine Neuausrichtung zu befördern. Besonders deutlich wird dies an der harschen Kritik am rumänischen Verbündeten – hier geschickt kombiniert mit der als unzureichend bewerteten „Judenpolitik“ des Antonescu-Regimes –, aber auch an der Ungarns. Dagegen präsentieren die EM die ukrainischen Nationalisten, trotz aller separatistischen Versuche Banderas und seiner Anhänger, als zunächst idealen Partner.94 Mehr als sonst verlassen die EM hier die gewünschte Form einer „objektiven“ Berichterstattung und sind eher als Kampfschrift des RSHA zu verstehen.

      Bei der gut nachvollziehbaren Fokussierung der Historiographie auf die Shoah wird leicht ausgeblendet, daß diese in den Augen der ‚think tanks‘ des RSHA als mörderisches Instrument Teil der „Volkstumspolitik“ gewesen ist. Mit Heydrichs Worten gesprochen, hörte sich dies so an: „Nahziel des Gesamteinsatzes ist die politische, d. h. im wesentlichen die sicherheitspolizeiliche Befriedung der neu zu besetzenden Gebiete. Endziel ist die wirtschaftliche Befriedung. Wenn auch alle zu treffenden Maßnahmen schließlich auf das Endziel, auf welchem das Schwergewicht zu liegen hat, abzustellen sind, so sind sie doch im Hinblick auf die jahrzehntelang anhaltende bolschewistische Gestaltung des Landes mit rücksichtsloser Schärfe auf umfassendstem Gebiet durchzuführen. Dabei sind selbstverständlich die Unterschiede zwischen den einzelnen Völkerstämmen (insbesondere Balten, Ruthenen, Ukrainer, Armenier, Aserbeidschaner usw.) zugrunde zu legen und wo irgendmöglich für die Zielsetzung auszunützen. Die politische Befriedung ist die erste Voraussetzung für die wirtschaftliche Befriedung.“95 Die Beherrschung, Nutzbarmachung und letztlich die Einverleibung weiter Teile der Sowjetunion standen somit am Ende des vorgezeichneten Weges. Erst aus diesem Kontext heraus wird deutlich, wieso der Liquidierung des Feindes ein gleichrangiger Stellenwert mit den ausführlichen Wirtschaftsberichten, mit regionalen Infrastrukturanalysen und Untersuchungen innerkirchlicher Zustände sowie mit oft banal erscheinenden Subthemen zur „Psychologie“ des Landvolkes, der Schulpolitik, der Ernteeinbringung oder zum Stand betrieblicher Ausbildung eingeräumt wurde. Für die Berichterstatter handelte es sich eben nicht um separate Teile der Besatzungspolitik, sondern um Facetten einer einheitlich zu lösenden Problemstellung: der totalen Unterwerfung des Landes.

      Schließlich darf auch Folgendes nicht außer Acht gelassen werden, wenngleich der Titel etwas anderes suggeriert: Die „Ereignismeldungen UdSSR“ räumten auch anderen geopolitischen Räumen einen beachtlichen Teil ihrer Berichterstattung ein und dies insbesondere dann, wenn der Kontext zur Sowjetunion gegeben war. Dies schien vor allem dann der Fall zu sein, wenn es um die kommunistische Untergrundtätigkeit oder die Arbeiterbewegung in Europa ging. So gesehen lesen sich die EM auch als allgemeine Besatzungsgeschichte des Regimes, in der Belgrad, Oslo oder Paris und nicht zuletzt das gesamte Generalgouvernement ihren Stellenwert im konstruierten Gesamtgefüge besaßen.

      Ein Thema wurde besonders dann gern behandelt, wenn sich daran das Versagen anderer deutscher Instanzen (vor allem der Zivilverwaltung und der Wehrmacht) und die Überlegenheit dessen nachweisen ließ, was als Expertise von SS und Polizei gelten konnte. Auch hinter vorgeblich sachlicher Berichterstattung scheint immer wieder die Absicht durch, die eigenen Leistungen gerade auf exekutivem Gebiet zu unterstreichen, bisweilen mit überraschtem Unterton: In EM 90 etwa lobte der Chef der Einsatzgruppe B, Arthur Nebe, im September 1941 die „erfreuliche Initiative, oft genug persönliche Tapferkeit vor dem Feind und politisches Geschick“ seiner Männer, wie sie seiner Meinung nach im Vorfeld „kaum zu erwarten war“, und sah dies als Beleg dafür, „dass die zurückliegende SS-mäßige und weltanschauliche Erziehung und Ausrichtung nicht umsonst gewesen ist“.96 Gerade der Judenmord erforderte aus der Sicht der Täter besondere Qualitäten: „Für eine Judenverfolgung aus der ukrainischen Bevölkerung heraus fehlen die Führer und der geistige Schwung.“ Oder: „Durch die planlosen Ausschreitungen gegen die Juden in Uman hat die Systematik der Aktion des Einsatzkommandos 5 naturgemäß ausserordentlich gelitten.“97 Die eigene Entschlossenheit kam bei anderen Instanzen, die weniger Initiative zeigten, nicht immer gut an, was für die Kooperation beim Judenmord zwar keine Rolle spielte, sich aber zur Selbststilisierung als einsame Kämpfer für ein zentrales Staatsziel eignete. So befand Anfang November die Einsatzgruppe

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