Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941 - Группа авторов страница 14

Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941 - Группа авторов

Скачать книгу

sich in einem zunehmend imaginären Raum, gleichsam politikfrei, abspielte und sich weithin sprachlos vollzog“,108 wird durch die EM allerdings insofern widerlegt, als in ihnen Sprache, Politik und Aktionismus eine funktionale Einheit bilden. Was Gerhard Paul zu den Einsatzbefehlen des RSHA-Amts IV schrieb – sie hätten „den allgemeinen Handlungsrahmen der Mordpraxis der Einsatzgruppen“ festgelegt, „so daß es eines Initialfunkens und einer Steuerung von oben gar nicht bedurfte“109 –, gilt auch für die EM. Indem die Berliner Zentrale die von den Einsatzgruppen verantwortete Mordpraxis anhand der stupenden Erschießungszahlen jüdischer Zivilisten jedem Leser der EM klar vor Augen führte, gleichzeitig aber andere Gründe anführte und dabei die fixe Idee einer „Endlösung der Judenfrage“ bestenfalls beiläufig bemühte, zeigte sie, daß unter den Bedingungen des Ostkriegs Maßnahmen möglich waren, die bislang als ausgeschlossen und nicht legitimierbar galten, ohne daß die Berichtsrhetorik diesem Dammbruch Rechnung trug.

      Daß die Aktivisten des Judenmords in den Reihen der Einsatzgruppen in dieser Phase selbst dort nicht als Exekutoren einer umfassenden „Endlösung“ erscheinen wollten, wo sie ganze Gemeinden auslöschten und flächendeckende „Entjudung“ betrieben, verweist auf ihre Ausrichtung am jeweils konkret Machbaren, noch nicht an der Realisierung eines weiterhin als utopisch angesehenen und von der obersten Führung auch so propagierten Ziels der „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“. Zahlreiche Fallstudien haben nachgewiesen, was die EM in den entscheidenden Monaten des Jahres 1941 verdeutlichen: Die Aktivisten an der Peripherie – und zwar nicht nur die der Einsatzgruppen, sondern auch anderer Einheiten – überschritten bereits die Trennlinie zum Genozid, während die Führung in propagandistisch kaschiertem Attentismus verharrte und „eine gewisse Unsicherheit“ an den Tag legte, „wie in der ‚Judenfrage‘ verfahren werden solle“.110 So erklärt sich auch die „völlige Uneinheitlichkeit des Vorgehens, die über Monate hinweg selbst innerhalb einer Einsatzgruppe festzustellen ist“.111 Diese Zwischenzone beschrieben Einschätzungen wie jene der Einsatzgruppe C, die in Umkehrung der realen Verhältnisse Anfang November behauptete, es bestehe „schon heute Klarheit darüber, dass damit eine Lösung des Judenproblems nicht möglich sein wird“.112 Nach dem Übergang zum Völkermord erschien es den Kommandos aus der Rückschau allerdings wie selbstverständlich, daß sie von Anfang an eine „radikale Lösung des Judenproblems durch die Exekution aller Juden“ angestrebt hätten.113

      Die „quantitative Entgrenzung“ ging einher mit einem „qualitativen Sprung“ infolge „sukzessiver Übererfüllung“ der Vorgaben, und die EM fungierten dabei als „ausgesprochene Erfolgsbilanzen“, als „Produktionsstatistiken eines Mordunternehmens“.114 Als Teil des Lern- und Radikalisierungsprozesses, den die Einsatzgruppen maßgeblich mitforcierten, hatten die Meldungen historische Bedeutung aufgrund ihrer Scharnierfunktion für den Umschlag von Verfolgung und punktueller Ermordung in Massenvernichtung und Genozid. Ronald Headland verwies auf die allmähliche Bedeutungserweitung der EM von der Information der Führung in Richtung „self-serving machinations of the reporters themselves“.115 Die EM reflektierten kumulative Radikalisierung nicht nur, sondern ermöglichten sie auch: Sie „dienten längst nicht nur der Unterrichtung nach ‚oben‘. Da sie zumindest auch an die Chefs der Einsatzgruppen und deren Stäbe gingen, installierten sie gleichzeitig auch einen Wettlauf um die höchsten Quoten. Denn sie konfrontierten die einzelnen Kommandoführer mit den Zahlen der anderen Einheiten und ermöglichten so den Vergleich, signalisierten den Stellenwert der eigenen Ergebnisse und schürten die Angst vor dem Zurückbleiben. […] Daß in diesem Klima bald schon ‚Zigeuner‘, die Insassen psychiatrischer Anstalten, selbst ‚asiatisch Minderwertige‘ in den Vernichtungsprozeß einbezogen wurden, ohne daß dafür ein zentraler Befehl vorlag, entsprach der Logik dieser Radikalisierungsspirale.“116

      Aus der Erkenntnis der zentralen Bedeutung der Frühphase des „Unternehmens Barbarossa“ ergibt sich zum einen die Unterscheidung zwischen „Teilvernichtungen des osteuropäischen Judentums und der systematischen ‚Endlösung‘ der ‚europäischen Judenfrage‘“, zum anderen die Notwendigkeit, den Übergang zum Massenmord in die Kausalitätsund Ereigniskette kumulativer Radikalisierung einzugliedern und nach ihren Triebkräften zu suchen. Die in der besetzten Sowjetunion sowie in Teilen des Generalgouvernements, insbesondere den Distrikten Galizien und Lublin, gängige „Politik der vollendeten Tatsachen“ bewirkte, daß gegen Ende 1941 „Nahziel und Fernziel immer mehr zur Deckung“ gelangten. Die nachfolgende „grenzenlose Eskalation der Gewalt“ hielt bis zur militärischen Niederlage 1945 ungebrochen an.117 Die Dynamik dieses Prozesses erwuchs aus dem „Wechselspiel zwischen der Zentrale und den lokalen Vernichtungsinitiativen vor Ort“ in einer „arbeitsteiligen Automatik“ als „endlose Kette von Improvisationen“, ohne daß dazu ein „Befehl Hitlers, die ‚Endlösung‘ in Gang zu setzen“ oder ein „umfassendes Vernichtungskonzept Himmlers“ nötig oder auch nur sinnvoll gewesen wäre.118 Am „Prozeß der Selbstradikalisierung“ wirkten viele mit: Hitler in der „Rolle des Antreibers und Scharfmachers“, als Legitimationsinstanz und als der „unerläßliche ideologische Motor der Vernichtungspolitik“; Himmler und Heydrich als Hauptakteure bei dem Versuch, „das Millenium noch zu Lebzeiten des Diktators in die Wirklichkeit umzusetzen“; die mordbereiten, um die höchsten Exekutionszahlen wetteifernden Einheitsführer; die nationalkonservative Oberschicht aufgrund ihres verwurzelten Antisemitismus und ihrer „Disposition zur Akzeptanz von antijüdischen Teilzielen des Regimes“; Verwaltungsbürokraten mit ihrem Perfektionsstreben bei der praktischen Umsetzung ideologischer Vorgaben des Regimes – und eben auch die breitere Bevölkerung in Deutschland wie in den Besatzungsgebieten, indem sie die soziale Segregation und Stigmatisierung des jüdischen Bevölkerungsteils stillschweigend oder aktiv hinnahm.119

      Zu den Herausforderungen, mit denen sich die Herausgeber im Lauf des Projekts konfrontiert sahen, gehörten die Disparität des Berichteten, die quälende Penetranz und Ausführlichkeit, mit der relativ Triviales, oft Obskures und nicht Nachprüfbares die enormen, meist nicht mehr als ein paar Zeilen einnehmenden und auf bloße Zahleninformation reduzierten Exekutionsmeldungen gleichsam erdrückt. Das eklatante Ungleichgewicht zwischen dem lang und breit rapportierten Banalen einerseits und dem quantifizierten, aber nicht näher ausgeführten Unglaublichen andererseits macht die EM zu einer problematischen, trotz ihrer scheinbaren Homogenität überaus schwierigen Quelle. Mehr noch als andere Überlieferungen wirft sie methodisch-praktische Fragen auf, für die es keine eindeutige Antwort gibt: Wieviel Zusatzinformation ist zum Verständnis der Berichte nötig, ohne die Quellen in den Hintergrund treten zu lassen oder die Edition zu überfrachten? Wo reicht der Hinweis auf weiterführende Publikationen und an welchen Stellen bedarf es detaillierter Informationen zu Ereignissen, Personen und Komplementärquellen? Erfordern die ideologisch verzerrten Meinungsäußerungen in den Meldungen nicht ein Korrektiv oder zumindest eine Kommentierung in Gestalt eines einheitlich in die Tiefe gehenden Anmerkungsapparats? Welche zusätzlichen Quellen müssen oder sollten herangezogen werden, gerade was die Richtigstellung oder Ergänzung der Angaben zu Massenmorden und anderen Verbrechen der Einsatzgruppen angeht?

      Um die Edition konzeptionell und in ihrem Umfang in vertretbaren Grenzen zu halten, vor allem aber um der Reduktion der gegen die Juden gerichteten Gewaltmaßnahmen in den Meldungen auf bloße Zahlen und Scheinbegründungen entgegenzuwirken, haben sich die Herausgeber für eine Kontextualisierung entschieden, die den historisch relevanten Ereignissen mit dem Holocaust an erster Stelle Vorrang einräumt. Konkret heißt dies: Dokumentation aller verfügbaren EM und deren thematisch ausgewählte Kommentierung, Korrektur und Ergänzung mit relevanten Komplementärquellen. Die Edition beschränkt sich nicht darauf, bloß ‚wichtige‘ Teile der EM zu präsentieren, sondern bietet den Gesamttext. Die Annotation erfolgt dagegen selektiv mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf der deutschen Vernichtungspolitik. Ergänzendes Aktenmaterial, etwa aus osteuropäischen, insbesondere ehemals sowjetischen Archiven, kann – gerade für den Zeitraum nach der Schaffung von BdS- und KdS-Dienststellen in den zivilverwalteten Teilen des Besatzungsgebietes – Lücken schließen helfen. Doch belegt der anhand der Tagebuchnummern im Briefkopf der überlieferten Dokumente

Скачать книгу