Trugbilder. Ella Danz
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»Hallo, Derya, dich wollte ich auch schon anrufen.«
Angermüller ging mit seinem Handy hinaus in den Etagenflur.
»Heute kein Großauftrag? Hast du etwa mal wieder Zeit für dein Privatleben? Und für mich?«
Tatsächlich, seine Freundin wollte heute Abend vorbeikommen.
»Prima, das freut mich! Ich koch uns was Schönes. Worauf hast du Lust? Oder soll ich dich überraschen?«
Er müsse doch nicht extra was kochen, meinte Derya, ein Glas Wein wäre ausreichend.
»Aber ich mach das doch gern, für dich sowieso! Und wenn ich mal die Gelegenheit habe, nach Feierabend noch was einkaufen zu gehen, sollte man das ausnutzen. Also, ich denk mir was Schönes aus, dann sehen wir uns gegen sieben Uhr. Bis dahin – ich freu mich!«
Irgendwie komisch, dass Derya das Essen heute nicht so wichtig war. Das hatte er bisher fast nie bei ihr erlebt. War sie krank? Oder mal wieder auf Diät? Egal, ihm würde schon was einfallen, womit er ihren Appetit wecken konnte. Ja, er freute sich auf den gemeinsamen Genuss und fing sofort an zu überlegen, womit er sie verwöhnen könnte.
Es dämmerte. Versonnen sah Angermüller nach draußen. In ungefähr einer halben Stunde würde er Feierabend machen und anschließend ein paar nette Sachen besorgen, aus denen er ein schönes Abendessen für sie beide zaubern würde. Beim Gedanken an gebratene Nudeln mit Rindfleisch und Pak Choi, kräftig gewürzt mit Sojasoße, Knoblauch und Ingwer, wässerte ihm schon jetzt der Mund. Ein lautes Klingeln des Telefons auf seinem Schreibtisch unterbrach ihn in seinen Küchenfantasien.
»Moin, Angermüller, hier Ahrens vom Kriminaldauerdienst! Schluss mit der Gemütlichkeit. Die Streife aus Scharbeutz meldet einen Leichenfund am Pönitzer See. Das kann ich dann wohl direkt an euch weiterleiten. Die Kriminaltechnik hab ich auch schon alarmiert«, teilte der Kollege mit, »gratuliere, geht ja gleich in die Vollen für dich, Angermüller.«
»Wieso, was meinst du?«
»Überraschung! Schön medium«, kicherte Ahrens, »frohes Schaffen!«
Mit einem knappen »Tschüs« legte Angermüller auf. Einige Minuten später saß er auf dem Beifahrersitz des Golf 7, den sie zurzeit als Dienstwagen nutzten, während sich Jansen durch den Lübecker Feierabendverkehr in Richtung Autobahn kämpfte, dabei jede Lücke und jede Möglichkeit zum Überholen gnadenlos nutzend. Endlich erreichten sie die A1, und Jansen trat das Gaspedal durch.
»Überraschung, hat dieser Ahrens gesagt. Komischen Humor hat der. Ich liebe keine Überraschungen, bei Leichenfunden schon gar nicht«, murmelte Angermüller halb zu sich selbst, während draußen die Landschaft vorbeiflog, über die sich nun die Dunkelheit senkte. Leichenfunde waren immer irgendwie Überraschungen, die aber grundsätzlich keine Freude bereiteten. Trotz jahrelanger Erfahrung berührte Georg der Anblick der gewaltsam zu Tode Gekommenen jedes Mal tief in seinem Inneren, und tröstlich war nur der Gedanke, zumindest die aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen, die jenes Leben ausgelöscht hatten.
Jansen sagte nichts, sah nur aufmerksam in den Rückspiegel, blieb konsequent auf der linken Spur und ließ alle anderen Fahrzeuge weit hinter sich. Angermüllers erster großer Einsatz seit einem Dreivierteljahr. Er verspürte eine merkwürdige Anspannung, fast so etwas wie Lampenfieber. Nach ungefähr 20 Minuten wechselten sie von der Autobahn auf eine Bundesstraße, bis sie schließlich auf einer schmalen Landstraße landeten, die durch einen dichten Laubwald führte. Als rechts vor ihnen ein heller Lichtschein durch die Bäume schimmerte, hatten sie ihr Ziel erreicht.
Jansen lenkte ihren Wagen an den Straßenrand hinter die bereits hier parkenden Fahrzeuge, und die Kommissare stiegen aus. In den hohen, winterkahlen Bäumen rauschte leise der Wind. Es roch nach feuchter Erde und moderndem Laub. »Seebadeanstalt« stand auf einem Schild. Sie folgten dem unbefestigten Weg, und nach ein paar Schritten tauchten vor ihnen mehrere Flachbauten auf, in deren Mitte sich ein Durchgang öffnete, der mit Flatterband versperrt war. Zwei uniformierte Kollegen hielten Wache, um Unbefugte am Betreten des Geländes zu hindern. Vor ihnen stand ein einzelner Mann mit einem Hund an der Leine, rauchte, redete und reckte neugierig den Hals. Die Kommissare grüßten, und der eine Polizist musterte Angermüller und Jansen skeptisch, hob aber beim Anblick ihrer Dienstausweise wortlos das Absperrband und ließ sie passieren.
»Moin! Der Herr hier hat uns den Fund gemeldet«, meldete sich sein jüngerer Kollege zu Wort und deutete auf den Hundefreund, »wollen Sie mit dem sprechen?«
»Klar, wir werfen aber erst mal einen kurzen Blick«, gab Jansen zurück und folgte Angermüller auf den Platz hinter dem Durchlass, den zwei große Scheinwerfer erhellten. Am Ende des Gebäudes, das augenscheinlich Umkleidekabinen beherbergte, und vor einem dichten Gebüsch kauerte ein Mensch im weißen Schutzanzug, ein zweiter suchte den Boden ab, und etwas entfernt davon umrundete ein dritter die Szene mit einer Kamera und verteilte Markierungsschilder.
Der Bau zur Linken beherbergte ein Café und war, genau wie die Badeanstalt, im Winterhalbjahr geschlossen. Davor lag außerhalb der Scheinwerferkegel eine Rasenfläche, hinter der im Dämmer das Wasser des Sees glitzerte, in den ein langer Steg führte, von dem jetzt nur die Umrisse zu erkennen waren.
Unwillkürlich war Angermüller stehen geblieben, um sich einen ersten Eindruck von der Szenerie zu verschaffen. Im Sommer war dies hier sicher eine beliebte Badestelle voller Erholungssuchender und planschender Kinder, aber um diese Jahreszeit ein sehr einsamer Platz. Und genau deshalb hatte sich jemand diesen Ort ausgesucht, um etwas zu tun, das niemand bemerken sollte. Er straffte sich und sah zu Jansen, der ebenfalls neben ihm verharrt hatte.
Als sie dem weiß gekleideten Grüppchen näherkamen, erkannte Angermüller seinen Freund Steffen. Der Kommissar war freudig überrascht, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass der Rechtsmediziner heute schon wieder seinen Dienst versehen würde. Erst am Vorabend war er von einer ausgedehnten Asienreise mit seinem Mann David zurückgekehrt, weshalb er auch bei Heinis Trauerfeier gefehlt hatte. Angermüller jedenfalls freute sich auf die Zusammenarbeit mit Steffen, der ruhig und präzise agierte und ein echter Meister seines Fachs war. Woran genau der Rechtsmediziner gerade arbeitete, konnte er auf die Entfernung nicht erkennen.
»Stopp! Hier wird mir nicht durchgelatscht. Geht gefälligst da außen rum«, schnauzte der vor ihnen kniende Kriminaltechniker die beiden Kommissare an, »ihr müsst ja nicht noch mehr kaputt trampeln. Der Scheißregen heute Nacht hat sowieso kaum was übriggelassen.«
»Hallo, Andreas, schön, dass wir mal wieder zusammenarbeiten dürfen«, grüßte Angermüller den Mann. Natürlich bekam er keine Antwort. Verbissen fuhr der Kollege fort, am Boden nach Hinweisen zu suchen, die mit dem Leichenfund in Verbindung gebracht werden konnten, was angesichts des durchweichten Rasens ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen war. Jeder hier wusste aber, dass die üble Laune von Andreas Meise nicht am Wetter lag, sondern sein persönliches Markenzeichen war.
»Mann, Ameise wieder. Das Genöle geht mir echt auf die Ketten. Als ob wir was für den Regen könnten«, brummte Jansen.
»Der ändert sich nicht mehr, Claus. Ich hör da gar nicht mehr hin. Ist vergeudete Energie, sich über Ameise zu ärgern. Hauptsache, er macht seine Arbeit ordentlich. Und da kann man ja nicht viel meckern«, meinte Angermüller leise, denn seinen Spitznamen durfte man Andreas Meise – klein von Gestalt, ein penibler Erforscher des Bodens an Fund- und Tatorten, und mit einem Schild »A. Meise«