Herr über Leben und Tod bist du. Olaf Müller
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»Schmelzer, ich ermahne Sie. Wenn Sie nicht sofort die Aufträge rausgeben, gibt es ein Diszi und eine Woche Verbot von Fleischwurstbrötchen mit dicker Scheibe.«
»Die Skulptur zeigt einen Menschen mit Wolfskostüm und Krummmesser.«
»Schreiben Sie es auf. Nachher im Büro. Erinnert mich an einen französischen Film. Nicht die Purpurnen Flüsse, sondern, ich komm drauf, ich komm drauf. Pakt der Wölfe oder so ähnlich. Schöne Geschichte. Taugt für einen Lokalkrimi aus Bergstein. Nicht für uns.«
»Und wenn es ein Ritualmord war?«, grübelte Schmelzer. »Spuren ablenken mit amerikanischem Gewehr und so. Dann hat es nichts mit dem Krieg zu schaffen, sondern mit einem Psychopathen aus der Nordeifel.« Schmelzer wollte seine Theorie nicht über den Haufen oder vom Burgberg werfen. »Ich lese Ihnen vor, was auf der Infotafel steht, habe ich mit dem Handy abfotografiert: ›Während des Krieges zwischen Karl V. und Wilhelm V. von Jülich im Jahr 1542 lagen Truppen Karls in Bergstein und sollten auf Befehl Karls die Burg Nideggen einnehmen. Der Anführer der Truppen wollte die Nideggener überlisten und hüllte sich in ein Hundefell. So verkleidet schlich er sich an die Stadt Nideggen heran. Mit seinen Truppen hatte er vereinbart, dass sie ihm auf ein geheimes Zeichen hin folgen sollten, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war. Für den Fall, dass sie kein Zeichen von ihm erhalten würden, sollten sie davon ausgehen, dass er gefangen genommen oder getötet worden war. Sollte dies geschehen, so hatte er sich geschworen, wollte er jahrhundertelang sein Unwesen in der Gegend treiben. Der Anführer der Truppen wurde bei seiner List vom Grazias-Turm der Burg Nideggen erschossen. Seitdem soll er jede Nacht den Weg von Bergstein bis Nideggen und zurück stöhnend und ächzend in Gestalt eines Hundes zurücklegen. Auf seinem Weg soll er Menschen, die ihm begegnen, zwischen die Beine laufen, sie ein Stück weit forttragen und schließlich unsanft abwerfen.‹«
»Unsanft abwerfen, Schmelzer, nicht töten, erstechen oder erschießen.«
»Die Anwohner munkelten, dass sich das Wesen radikalisiert habe.«
»Jede Nacht.«
»Nein, einmal im Jahr. Zu einem besonderen Anlass wie Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt, Mariä Himmelfahrt, Michaeli oder zu historischen Daten erwischt es in der Regel Männer, aber niemand glaubt den Bewohnern.«
»Jetzt haben die ja einen Gutgläubigen gefunden: Kommissar Schmelzer, Geisterjäger, Assistent von John Sinclair. Mann, Schmelzer. Das ist Mist. Schreiben Sie es von mir aus im Büro in eine Datei und befolgen Sie endlich meine Anordnungen. Ich geh nochmal hoch auf den Turm. Wir treffen uns am Wagen.«
Der längste Tag
Fett kochte. Er ärgerte sich über Schmelzer, darüber, dass ihre Abteilung immer die Fälle mit Geschichte bekam, immer diese Vergangenheit, der Zweite Weltkrieg. Es hörte nicht auf, es hörte nie auf. Nun kam die Enkelgeneration, und auch die hatte offene Rechnungen. Eugen Kaltenbach, 75 Jahre, alleinstehend, klettert im Dunkeln auf den Krawutschketurm, geht jeden Morgen hinauf. Kann ein Täter rausfinden. Kaltenbach schaut in den Westen, steht am Rand der Brüstung, peng, Kopfschuss, sofort tot. Schütze steigt hinterher, sticht sieben Mal zu und verschwindet. Muss ein guter Schütze gewesen sein. Schmelzer sollte prüfen, wer aus Bergstein Scharfschütze bei der Bundeswehr war. Wer war der beste Schütze im Schießverein, hat Bergstein einen Schießverein oder eine Schützenbruderschaft? Fett ging die gesammelten Fakten durch. Die Patrone am Grab des amerikanischen Gefreiten Peternell. Ablenkung, Zeichen, Rätsel? Das war kein Krieg zwischen zwei verfeindeten Nachbarn. Der Fall reichte vermutlich zurück in die Geschichte. Wer war Eugen Kaltenbach? Wer war sein Vater, seine Mutter, Geschwister?
Fett erreichte die oberste Plattform. Das Blut auf den Holzbrettern war dunkler geworden, ein paar Spritzer auf der Infotafel, die Richtung Vossenack aufgestellt war. Der nächste Regen würde die Spuren der Tat abwaschen. Alles würde versickern in den Burgberg, den Hügel der blutigen Stiefel, getränkt vom Blut der Soldaten. Fett griff zu seinem Handy. Der Empfang war hundsmiserabel. Er gab Burgberg ein und stieß auf Hill 400. Fett versank in die Zeit vor 75 Jahren. Genau vor 75 Jahren war hier auf und am Berg die Hölle los gewesen. Er lehnte sich an die Brüstung und sah vor seinen Augen die amerikanischen Ranger, die von Brandenberg aus über die freie Fläche angriffen. Sie waren dem Artilleriefeuer der Wehrmacht schutzlos ausgesetzt. Er blickte auf die kargen Felder, die keine Deckung boten. Am 7. Dezember 1944 stürmten die Ranger den Burgberg. Der deutsche Kommandant befahl deutsches Artilleriefeuer auf den eigenen Bunker. Die Ranger verloren beim ersten Angriff ein Viertel aller Männer. Fett dachte an den Film Platoon, der damit endete, dass die US-Einheit von Nordvietnamesen überrannt wurde und der Kommandant einen Luftschlag auf die eigenen Stellungen befahl. Alles versank in Napalm. Vor Fetts Augen tobten die Kämpfe. Kann man sich das vorstellen? Kann man versuchen, die Situation zu erfassen, die Angst, das Schreien, den Kampf Mann gegen Mann, die abgerissenen Glieder, den Stoß des stumpfen Bajonetts in den Brustkorb, der letzte Blick auf die Handgranate, die in das Schützenloch fliegt? Private First Class Peternell, der amerikanische Gefreite, wurde vermisst bis zu dem Tag im Jahre 1981, an dem seine Überreste in einem Schützenloch gefunden wurden.
Fett dachte an den 7. Dezember 1944. Sieben Messerstiche. Was sagte Elke Unsleber? »Voll in die Zwölf.« Kopfschuss. Sieben und zwölf. 7.12., der Tag des Horrors hier am Burgberg. Im Schnee, im Matsch, im Eis, im Regen, im Dreck, im Granatenhagel. Die Amerikaner waren seit dem 12. September 1944 in Deutschland. Da erreichte die erste Einheit Roetgen, und zur Warnung standen überall die Schilder: »Entering Germany«. Jetzt lag hier oben Eugen Kaltenbach, erschossen mit einem M1 Karabiner der US-Army. Die Patronenhülse auf dem Grab von Peternell. Eine Ablenkung? Fett schaute auf Bergstein, Brandenberg, Vossenack, Schmidt, das Kalltal. Wolkenfetzen jagten von Westen nach Osten, es lag Schnee in der Luft. Ein Pfiff. Die Rurtalbahn. Wo war er hineingeraten, wer lenkte hier das Geschehen, warum diese Messerstiche, diese Legende, diese Stephen-King-Geschichte aus dem 16. Jahrhundert? Oder narrte sie jemand? Fett blickte auf Bergstein. Aus einigen Kaminen stieg Rauch, der sofort vom Wind nach Osten vertrieben wurde. Er steckte die kalten Hände in die Jackentasche seines gefütterten Parkas, den er auf seinem Klapprad brauchte. Die Dockermütze zog er fest über die Ohren. Er war nicht überzeugt von den Verbindungen zur US-Army. Zu offensichtlich, zu einfach.
Die wilde Jagd
Schmelzer saß im Wagen. Er hatte etliche Telefonate geführt. »Damit Sie nicht denken, ich beiße mich an der Wolfslegende fest. Habe bereits Aufträge erteilt.«
»Wolf oder Hund?«
»Wolfshund, Chef.«
»Zum Glück wurde Kaltenbach nicht nach dem 26. Dezember ermordet, sonst würden Sie über die Wilde Jagd spekulieren.«
»Wer oder was, um Himmels willen, ist die Wilde Jagd?«
»Ein wenig Kenntnis über deutsche Mythen kann nicht schaden, Herr Kollege. Schlag nach bei den Brüdern Grimm. Von Weihnachten bis zum Dreikönigstag treibt Die wilde Jagd ihr Unwesen. Mit Wolfsgeheul und Hundegebell. Diese Gestalten schießen durch den Nachthimmel hinunter in die Wälder, erschrecken Wanderer, Jäger, Förster, Waldarbeiter. Wer nicht spurt, kommt mit. Auf ewig Wilde Jagd. Vielleicht haben die sich im Kalender vertan, und Eugen Kaltenbach musste sterben.«
»Schöne Bescherung. Wilde Jagd und Sürches Mossel. Zwei grausige Legenden.«
»Genug mit den Legenden und Mythen. Wer war Eugen Kaltenbach?«
Schmelzer öffnete