Herr über Leben und Tod bist du. Olaf Müller
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Fett schaute ihn fragend an: »Motiv Rache? 2019 und 1944. 75 Jahre später kommt jemand und übt Rache an Eugen Kaltenbach, dem Sohn, und das auf diese spektakuläre Art?«, sinnierte Fett. »Warum nicht in Ruhe bei ihm in der Wohnung? Weil es der Burgberg ist? Weil es um den Burgberg ging vor 75 Jahren? Sieben Stiche, Schuss auf die Zwölf. 7. Dezember 1944, Angriff auf den Burgberg, Verrat von Kaltenbach, er besiegelt das Schicksal vieler Amerikaner und wird mit einem Karabiner der US-Army erschossen. Fall gelöst. Bravo, Schmelzer. Jetzt müssen wir die Nachfahren der US-Soldaten checken, schauen, wer vor Kurzem von den USA nach Europa gekommen ist. Vielleicht lebt jemand sogar in Deutschland oder Europa. Klasse. Kann Monate dauern. Sehr gut.« Fett machte eine Pause. »Holen Sie bei Unsleber den Wohnungsschlüssel von Kaltenbach. Wir schauen uns sein Haus an, und dann geht es zur Kantine.«
Häuser und Menschen
Eugen Kaltenbach hatte am Ortsrand von Bergstein ein Haus gebaut und dann den Hof seines Vaters Wilhelm verpachtet. Steingarten statt Vorgarten, eine Kutsche mit Bauern aus chinesischem Beton, mit Plastik überzogene Sträucher zum Schutz vor Schnee und Eis. Die dunklen Butzenscheiben der Fenster wirkten unheimlich. Aus dem Kamin stieg Rauch auf. Fett betrachtete das Haus, den Vorgarten, die Steinwüste. Schmelzer schätzte den Abstand zu den nächstgelegenen Häusern auf einen Kilometer. Kaltenbach hatte abseits gewohnt.
Fett öffnete die Tür. Ein unangenehmer Geruch schlug ihm entgegen. Er kannte den Geruch der Häuser von Toten. Jedes Haus roch anders. Das Leben eines alten Mannes, der sich allein versorgte. Von einer Haushälterin war nichts bekannt. Fett öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Der Blick ging hinüber nach Schmidt und Kommerscheidt. Ein alter Schreibtisch, Papiere, Rechnungen. Auf dem Kaminsims Fotos von Eugen Kaltenbach mit seiner Ehefrau, die vor Jahren ums Leben gekommen war. Keine Kinder. Keine Fotos der Eltern. Die Abrechnungen des Pächters Tyssen akkurat abgeheftet. Gab es Verwandtschaft? Fett blätterte im Familienstammbuch von Eugen Kaltenbach, fand Angaben über seine Ehefrau.
»Die KTU soll das Haus durchsuchen. Hier könnten Geheimnisse schlummern, die uns Motive liefern«, rief er Schmelzer zu, der aus dem Schlafzimmer kam und vor lauter Hunger ziemlich unaufmerksam die Schubladen durchsucht hatte.
»Ein paar Sparbücher der Sparkasse Düren. Arm war er nicht. Mehrere 100.000 Euro«, brummte Schmelzer.
»Wer erbt? Das muss uns interessieren. Prüfen Sie das Telefon und den Anrufbeantworter.« Fett war müde. Wieder dieser Blick in ein seltsames Leben. Eugen Kaltenbach, heute Morgen für ihn noch unbekannt; nun stocherte er in dessen Leben herum.
»Alles sauber, Chef. Als ob niemand angerufen hätte. Keine Aufzeichnungen auf dem Anrufbeantworter. So möchte ich nicht enden. Abgeschieden, alleine, steinreich und einsam am Ortsrand von Bergstein.«
»Steht Ihnen auch nicht bevor, Schmelzer. Wo ist der Bauernhof mit dem Pächter Tyssen?«
»Hinten am Sportplatz von Bergstein.«
»Haus versiegeln, KTU informieren. Wir fahren rüber.« Dann hörten beide ein Geräusch aus dem Keller, als ob eine Flasche umgekippt sei.
Fett legte den linken Zeigefinger an seine Lippen und zog mit der rechten Hand die Dienstwaffe aus dem Holster. Schmelzer nickte ihm zu, zog ebenfalls seine Pistole. Fett zeigte in Richtung Kellertür. Schmelzer ging vor. Die Tür war offen, leicht angelehnt. Wieder ein Geräusch. Schweißperlen auf der Stirn. Fett wischte kurz mit dem linken Handrücken. Schmelzer schaute ihn an.
»Polizei! Kommen Sie heraus! Das Haus ist umstellt.« Fett übertrieb. Aber für Telefonate mit Aachen blieb ihm keine Zeit. Schmelzer öffnete vorsichtig die Tür und knipste blitzschnell den Lichtschalter an. Mit einem lauten und fauchenden »Miau!« schoss ein schwarzer Kater an beiden vorbei in Richtung Wohnzimmer. Die Kommissare schauten sich überrascht und erleichtert an. Dann stiegen sie mit gezogenen Waffen die Treppen hinunter. Der Kater hatte eine Weinflasche umgeworfen und mit der Flasche gespielt.
»Im Keller nichts Neues«, sagte Fett und steckte die Waffe ein. »Sagen Sie der KTU, dass hier ein Kater rumläuft. Fall fürs Tierheim. Oder er haut ab in die freie Wildbahn. Auf zu Bauer Tyssen.«
Schmelzer atmete tief durch. Auch ihm hatte die Überraschung zugesetzt. Und das alles auf leeren Magen.
Kurz danach bogen sie in den Hof von Tyssen ein, und Fetts Erinnerungen an die Kindheit auf dem Bauernhof in Langerwehe waren sofort präsent, als er den Geruch von Stall, Futter, Jauchegrube wahrnahm.
»Wen suchen Sie?« Ein vierschrötiger Mann um die 50 kam auf sie zu. Gummistiefel, grüne Arbeitshose, verschmutzte Joppe und auf dem Kopf etwas, das mal ein Hut gewesen sein konnte.
»Fett, Schmelzer. Kripo Aachen. Sind Sie Lorenz Tyssen?«
»Wer sonst?«
»Sie könnten ein Knecht sein?«
»Knechte gibt es nicht mehr. Nur Landwirtschaftshelfer.«
»Wo waren Sie heute Morgen von 6 bis 10 Uhr, Herr Tyssen?«
»Was ist los? Wurde eine Bäckerei ausgeraubt oder wieder ein Geldautomat gesprengt?«
»Für Fragen sind wir zuständig.« Fett hatte ein ungutes Gefühl.
»Lassen Sie mich meine Arbeit machen. Ich hatte Nachtschicht in Düren bei den ehemaligen Fordwerken. Bin um 6 Uhr zurückgekommen, hab die paar Kühe gefüttert und dann die Abrechnung für die Molkerei gemacht.«
»Gibt es Zeugen dafür?«
»Ja, neben Elli noch 30 andere Kühe.«
»Dann werden wir die verhören.«
»Was soll das?«
»Eugen Kaltenbach ist tot.« Fett hielt Todesort und –art zurück.
»Kaltenbach tot? Wenn Sie kommen, dann ist er kaum sanft entschlafen?«
»Gut kombiniert. Also, haben Sie Zeugen?«
»Meine Frau und die Kinder. Meine Frau hat mir um 6 Uhr das Frühstück gemacht, um 7 Uhr sind die Kinder zum Schulbus, um 7.30 Uhr kam der Milchwagen. Reicht das?« Tyssen wurde leicht aggressiv, auch wenn er eine gewisse Freude über den Tod von Kaltenbach nur schwer unterdrücken konnte.
»Wir prüfen alle Angaben. Wie war denn Kaltenbach als Eigentümer?«
»Ein Arschloch. Blutsauger. Wehe, wenn die Ernte mal schlecht ausfiel. Von Stundung der Pacht keine Rede. Der hetzte sofort Anwälte los. Wurde