Herr über Leben und Tod bist du. Olaf Müller

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Herr über Leben und Tod bist du - Olaf Müller

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Wie ist es passiert?«

      »Erfahren Sie noch früh genug, Herr Tyssen.«

      »Was wird aus dem Hof?«

      »Es gibt bestimmt noch Verwandte der Ehefrau. Dauert. Vielleicht wird alles besser für Sie.«

      Tyssen nahm die undefinierbare Kopfbedeckung in die Hand, drehte sie hin und her. Er dachte nach. All die Auseinandersetzungen mit Kaltenbach, die Inkassotypen noch vor Heiligabend. Wenn Agatha Kaltenbach damals den Alten nicht aufgehalten hätte, dann wäre Familie Tyssen rausgeflogen. Warum musste sie diesen absurden Tod sterben?

      »War es das, Herr Kommissar? Ich muss mich hinlegen. Heute wieder Nachtschicht.«

      »Wem trauen Sie einen Mord an Kaltenbach zu?«

      »Gehasst wurde er von vielen. Mord? Hören Sie sich im Dorf um. Ich bin zu müde, um über Kaltenbachs Mörder nachzudenken. Wiedersehen.« Er stampfte in Richtung Küche und ließ Fett und Schmelzer auf dem Hof stehen.

      »Prüfen Sie das Alibi, Schmelzer. Jetzt ab ins Präsidium.«

      Schmelzer wird überwacht

      Sie waren spät dran. Keine warmen Speisen mehr am Buffet. Drei einsame Schüsselchen mit Vanillepudding und Himbeersirup. Fett zahlte für die drei, nahm zwei kalte Frikadellen und suchte mit Schmelzer einen Tisch mit Aussicht. Nur einige Kollegen von der Bereitschaft saßen in der Kantine.

      »Brauchen wir eine besondere Aufbauorganisation?« Schmelzer vertilgte Pudding Nummer eins. Die Frikadelle erledigte er mit zwei Bissen. Er hatte Fleischeslust. Wie immer.

      »Dafür fehlt das Personal. Da müssen wir beide ran und wieder in die Vergangenheit schauen.«

      Pudding zwei war an der Reihe, und Schmelzer blickte so intensiv auf die Verlaufsformen des Himbeersaftes, dass er den Mord vergaß. »In meiner Kindheit gab es oft Pudding mit Himbeersaft.«

      »Ja und Schokopudding mit selbstgemachter Sahne am Sonntag.« Fett hatte keine Lust auf diese Nahrungserinnerungsgespräche.

      »Ich mochte mehr Vanillepudding.« Schmelzer biss sich fest. Sein Lieblingsthema.

      »Was macht die vegetarische Küche von Anne?« Fett wusste, dass Schmelzer seit Freitag nur Gemüse, Tofu, salzlose Kost bekommen hatte.

      »Wird immer ideologischer. Wenn nur die Belehrungen nicht wären. Alles weiß sie besser. Alles. Aus dem Essen wird eine Wissenschaft. Die freudlose Küche. Justus und ich fahren heimlich zu Metzgereien. Sie macht sogar Kontrollanrufe. Ob ich Kunde bei Lemmen oder Brach sei. Fleischkonsumüberwachung.«

      »Nehmen Sie meine Frikadelle. Ich hab Bockwürstchen im Kühlschrank.«

      Schmelzers Laune besserte sich für wenige Minuten. Fett ging auf die Probleme nicht weiter ein. Er hatte genug für den Tag. Sie verabschiedeten sich freudlos.

      Fett verließ das Polizeipräsidium und stieg auf sein Klapprad. Trierer Straße und Adalbertsteinweg waren um die Uhrzeit dicht. Er zog die Gelbweste an, steckte Vorder- und Rücklicht an den Rahmen und legte das schwere Kettenschloss ins Körbchen. Seit dem Sommer fuhr er Rad. Den Alfa hatte er verkauft wegen Altersschwäche. Ein neuer Wagen war nicht in Sicht. Sein Vater hatte immer gesagt: »Auto fängt mit AU an und hört mit O auf.« Über VW-Käfer und einen Golf Diesel war Fetts Vater nie hinausgekommen. Reichte ihm für seine Fahrten zur Wache nach Düren und zur Bereitschaftspolizeiabteilung IV nach Linnich. Der Wind war frisch, kein Schnee, nasses Laub, spiegelnde Pfützen. Fett fuhr an der Lützow-Kaserne vorbei in Richtung Aachen-Arkaden. Ein Denkmal vergangener Konsumlust. Er passierte die Josefskirche und steuerte auf den Kaiserplatz zu, wo seit Jahren mit Drogen gehandelt wurde. Nichts hatte sich verbessert. Wahrscheinlich wurde in der Tiefgarage vom Aquis Plaza Einkaufszentrum gedealt. Über den Willy-Brandt-Platz, wo bei der Einweihung Willy mit zwei »i« falsch geschrieben worden war, radelte er, nach links abbiegend, am Parkhaus vorbei auf die Peterstraße zu. Hubert Moonen, Herren-Oberbekleidung, seit Jahren schon geschlossen. Er schob über die Fußgängerampel in Richtung Parkhaus Büchel. Der Weihnachtsmarkt. Er hatte den Weihnachtsmarkt vergessen. »Stille Nacht, heilige Nacht.« Die Musik umfing ihn bereits. Um die Uhrzeit könnte er sich noch mit dem Fahrrad durch die Besucher schlängeln. Reibekuchen tauchten vor seinem inneren Auge auf. Montagabend mit Reibekuchen. Der Kantinenpudding als Mittagessen reichte nicht. Sie waren spät aus Bergstein zurückgekehrt. Am Nachmittag die Besprechungen und Spurensuche. Eine große Mordkommission lehnte sein Chef Kosslowski ab. Er habe zu wenig Personal wegen Urlaub, Krankheit und den Einsätzen in Hambach. Fett war nicht unzufrieden mit der Entscheidung des Chefs. Das Gewimmel, die Unruhe, die Rennerei im Lagezentrum einer Besonderen Aufbauorganisation waren nichts für ihn. Klar, wenn das Kapitalverbrechen es erforderte, machte er mit. Ansonsten: allein zu zweit. Sein alter Spruch.

      Reibekuchen und Reflexionen

      Fett schob sein Klapprad an Hütte 16 und von Glühwein geröteten Gesichtern vorbei. Die Hütte stand wieder an der Ecke am Elisengarten. Um sie wurde heftig gestritten. Ausweitung der Kampfzone. Der Weihnachtsmarkt dehnte sich in den Park hinein aus. Auf dem Münsterplatz stand der Kommissar vor dem labyrinthischen Imbissgewirr Hexenhof. Einen Eingang konnte er kaum erkennen. Menschen strebten mit Einkaufstaschen, Glühweintassen, Currywurst, Reibekuchen und gebrannten Mandeln hinein und heraus. Hinter dem Budenwirrwarr erhob sich majestätisch der Dom gen Himmel. Ruhig und gelassen. Als ob ihn das konsumfreudige Treiben nicht stören würde. Was hatte er alles gesehen, der Dom? Seit der Erbauung des Oktogons bescherten Märkte, Messen, Krönungsfeiern Umsatz und Trubel. Händler waren von nah und fern nach Aachen gekommen, um ihre Produkte anzupreisen und zu verkaufen. Mit den Krönungen war stets ein Auftrieb von Gauklern, Narren, Prostituierten und Händlern einhergegangen. Blieb nicht alles gleich? Ging es nicht im Mittelalter auch um Alkohol, Grillgut, schnelle Freude, Wein, Weib und Gesang? Und heute? Fett kettete sein Klapprad an einen der wenigen freien Ständer. Auch hier Not. Zu wenig Fahrradbügel in der Stadt. Zu wenige Sitzbänke im Sommer. Zu wenige öffentliche Toiletten für die älter werdende Bevölkerung, für die Tages-Senioren-Touristen. Er stellte sich vor das Schaufenster der Buchhandlung Schmetz am Dom, betrachtete die Neuerscheinungen, die Auswahl von Kinderbüchern, einen Bildband über die Eifel, den neuen Kalender des Fotografen Andreas Herrmann. Er schritt zur Bratwursthütte an der Ecke des Münsterplatzes. Als er bestellen wollte, kaufte gerade ein gut genährter Tourist die letzte Portion Reibekuchen.

      »Sie bekommen gleich welche.« Die eingemummelte junge Frau, wahrscheinlich Studentin, schaute auf den Reibekuchenkoch, der stoisch den Teig in das spritzende Öl kippte.

      »Vier Euro. Mit Apfelmus?«

      »Ja, mit Apfelmus.« Zurück zu den Schaufenstern der Buchhandlung. Nebenan, bei Hanswurst, wurden die Bratwürste verzehrt. Die Reibekuchen waren heiß und ölig. Er genoss sie mit Blick auf die Klassiker, schaute auf Fontane, dessen 200. Geburtstag bevorstand, auf Rilke, Brecht und Thomas Mann. Wunderschöne Ausgaben. Fontane, dachte Fett, als er ein Stück Reibekuchen zur Abkühlung in das kalte Apfelmus tunkte, Fontane müsste ich nochmal lesen. Der Stechlin, die Geschichte vom alten Dubslav. Dann drängte sich Eugen Kaltenbach zwischen seine Betrachtungen. Heute Morgen lag er tot auf dem Krawutschketurm, jetzt in der Rechtsmedizin der Uniklinik Köln. Ein Leben geht davon. Von dem oder den Tätern keine Spur. Fett tippte auf einen Täter. Ein Mann. Muss ein Mann gewesen sein, der kaltblütig im Graben auf Kaltenbach gewartet hatte. Ein Schuss. Die Stiche mit dem Messer. Der letzte Reibekuchen war soweit abgekühlt, dass Fett ihn mit wenigen Bissen vertilgen konnte. Er holte ein paar Servietten, um die fettigen Finger zu säubern, dann machte er sich auf den Weg, vorbei am Juwelier Grobusch in Richtung Eingang des Doms. Er schaute auf die hellgraue Ungarnkapelle, stieg ab und schob weiter

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