Maria - Fräulein der Friesen. Andreas Scheepker
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»Wagt es nicht, Hand an mich legen zu lassen«, erwiderte Rimberti. Er bemühte sich, seine Stimme so fest und klar klingen zu lassen, dass niemand seine Angst bemerkte.
»So, wollt ihr beide mir drohen?«, spottete Isko Onninga. »Ihr jeverländischen Bauern hattet in den letzten Jahren wohl zu viele Freiheiten, dass ihr so aufmüpfig geworden seid. Es wird Zeit, euch unter das Joch zu bringen.«
»Wir sind nicht eure Ochsen, sondern freie Bauern!«, rief Hedden.
»Vielleicht müsst ihr erst einmal die Peitsche spüren, damit ihr wisst, wer ihr seid«, erwiderte Isko hämisch.
»Ihr habt kein Recht, das Dorf auszuplündern, Herr Isko«, wies Rimberti ihn zurecht. »Wenn die Abgaben entrichtet worden sind, dann habt Ihr hier nichts zu schaffen.«
»Bevor die beiden hier die übrige Herde noch widerspenstiger machen, sollten wir sie am nächsten Baum aufknüpfen«, antwortete Isko Onninga kühl. »Wenn jemand von euch sich rührt, werde ich euer ganzes Dorf niedermachen!«
Totenstill war es plötzlich. Die Leute von Grootewarden wussten, dass jede Gegenwehr sinnlos war. Onninga lauerte nur darauf, beim geringsten Anzeichen des Widerstandes seine Drohung wahr zu machen.
»Ich bin hier im Auftrag des kaiserlichen Hofes in Brüssel«, erklärte Rimberti. »Königin Maria hat mich beauftragt, Verhandlungen mit Graf Enno und den Fräulein von Jever zu führen. Die Leute hier im Dorf haben mir nach einem Reitunfall beigestanden. Fügt mir oder jemandem aus dem Dorf einen Schaden zu, so wird es Euch schlecht bekommen, Herr Isko.«
Rimberti sah für einen Augenblick Furcht in Iskos Augen flattern. Isko wandte sich Ulfert Fockena zu. »Was sollen wir mit einem solchen Lügner machen?«
»Ich habe den Mann schon einmal gesehen. Er sagt die Wahrheit. Es ist Doktor Rimberti«, sagte Fockena ruhig. »Er hat vor zwei Jahren die Verhandlungen um den Verkauf von Hillersum geführt.«
»Das Alter hat Euch verweichlicht, Fockena«, erwiderte Isko. »Der Graf wird keinen Aufruhr im Jeverland dulden.«
»Krümmt Ihr ihm ein Haar, so wird Königin Maria Euch für vogelfrei erklären«, brummte Fockena. »Ihre Soldaten werden Eure Burg in Schutt und Asche legen. Was sie dann mit Euch machen, bevor sie Euch hinrichten, wollt Ihr sicher nicht hören, Herr Isko. Um Euch ist es nicht schade, aber Euer Vater ist ein Mann von Ehre.«
Isko Onninga warf Rimberti einen hasserfüllten Blick zu. »Los, Leute«, schnauzte er seine Männer an. »Nehmt alles Vieh mit. Wir holen Graf Ennos Steuern. Leistet jemand Widerstand, zündet sein Haus an.« Er schlug sein Pferd mit der Peitsche und ritt davon.
Hilflos mussten die Leute von Grootewarden mit ansehen, wie Onningas Männer ihre Kühe, Schweine und Schafe davontrieben.
»Ich fürchte, Ihr habt einen Todfeind gewonnen«, sagte Folkert Hedden zu Rimberti. »Isko wird nie vergessen, dass Ihr ihn vor allen Leuten in die Schranken gewiesen habt. Ab jetzt müsst Ihr vorsichtig sein!«
3
Folkert Hedden begleitete Rimberti nach Jever, um bei den Fräulein Maria und Anna Beschwerde über Isko Onninga einzulegen und das Vieh der Dorfbewohner zurückzufordern.
Hoch über den Häusern von Jever erhob sich der wuchtige Turm inmitten der Burg wie ein klobiger, starker Riese, der bereit war, jeden Angreifer niederzuzwingen.
Seit gut 100 Jahren stand die Burg in Jever. Immer wieder hatte sich der Ort mit seiner Herrschaft gegen Nachbarn behaupten müssen. Edo Wiemken, der Vater der beiden Schwestern, hatte die Burg mit dem Turm weiter ausbauen und stärker befestigen lassen. Vor 20 Jahren war er verstorben, und für den minderjährigen Sohn Christoph hatten fünf Häuptlinge des Jeverlandes die Regentschaft übernommen. Aber Junker Christoph war seinem Vater schon nach wenigen Jahren in den Tod gefolgt. Graf Edzard von Ostfriesland hatte die Gelegenheit genutzt und sich zum Beschützer Jevers und der drei Töchter Edo Wiemkens erklärt. Er hatte einen Drosten in Jever eingesetzt und Eheverträge zwischen seinen drei Söhnen und den drei Fräulein geschlossen.
Vor vier Jahren hatten die Ostfriesen dann die Burg besetzt und dort Soldaten stationiert. Graf Edzards Sohn war inzwischen eine vorteilhaftere Ehe mit Anna von Oldenburg eingegangen, und von den Eheversprechen war längst nicht mehr die Rede. Auf Seiten der Ostfriesen war man davon ausgegangen, dass Jever ihnen nun auch ohne Einhaltung des Eheversprechens zufallen würde wie ein reifer Apfel.
Das alles hatte Rimberti schon auf seiner letzten Reise nach Jever in Erfahrung gebracht. Von Folkert Hedden ließ er sich unterwegs erzählen, wie die Ostfriesen Jever inzwischen als ihr eigenes Land behandelten und die Töchter Edo Wiemkens mehr oder weniger gefangen hielten, bis man sie an andere Heiratskandidaten oder in ein Kloster vermittelt hätte.
Folkert Hedden brachte Rimberti zur Burg. Dort war man schon durch Rimbertis Schreiber auf seine Ankunft vorbereitet. Der Drost wurde erst am späten Abend zurückerwartet. Man hatte Rimberti eine Schlafkammer und eine Schreibstube für seine Dienstgeschäfte vorbereitet, während sein Schreiber Kobus Temmen beim Dienstpersonal des Hofes untergebracht war. Rimberti kündigte für den nächsten Vormittag seinen Antrittsbesuch bei den Fräulein Maria und Fräulein Anna und beim Drosten an. Dann zog er sich in seine Kammer zurück.
Rimberti fühlte sich nach den Ereignissen dieses Tages erschöpft. Er setzte sich in einen prächtig geschnitzten Holzstuhl mit Armlehnen und Polstern. Sein Fuß schmerzte, und die Striemen an seinen Handgelenken brannten. Im Kampf mit Iskos Männern hatte er einen großen Bluterguss am rechten Oberschenkel sowie Schürfwunden und blaue Flecke davongetragen. Er würde gleich morgen an den kaiserlichen Hof nach Brüssel schreiben und über Isko Onningas Umtriebe berichten.
Es klopfte. Rimberti erhob sich aus dem Stuhl und ging zur Tür. Er öffnete.
Ein Mann trat ein, groß und kräftig, mit sanften Augen und einem rotbraunen Bart, bekleidet mit einem Lederwams und Reitstiefeln. Er war ganz außer Atem, und es gelang ihm nur mit Mühe, seine Erregung zu unterdrücken. Er schloss die Tür hinter sich.
»Doktor Rimberti, Folkert Hedden war soeben bei mir und hat mir berichtet, was Euch widerfahren ist. Fräulein Anna und Fräulein Maria lassen Euch ihre tief empfundene Anteilnahme an diesem Unglück aussprechen. Bitte teilt das, was Euch widerfahren ist, der Regentin mit. Alles. Schonungslos. Die Königin muss alles erfahren. Morgen werden Euch die Fräulein empfangen. Sie sind sehr verstört über die Ereignisse, die sich hier zugetragen haben. Ich …«
Der Mann zögerte. Er stand unter großer Anspannung. Er setzte noch einmal an: »Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Boing von Oldersum. Ich bin der neue Drost. Ich werde morgen auch da sein, wenn Ihr mit den Herrinnen sprecht. Ich hoffe, Ihr bringt gute Nachrichten vom Hof der Statthalterin. Fräulein Maria und Fräulein Anna brauchen jetzt mehr denn je die Unterstützung der Königin. Sonst ist Jever verloren.«
Es klopfte wieder an die Tür, und ein Bediensteter stand im Türrahmen. »Junker Boing, der Bote ist gekommen. Es ist dringend.«
Boing wandte sich an Rimberti. »Verzeiht. Ich möchte nicht unhöflich sein. Aber es hat einen Zwischenfall an der Grenze gegeben. Habt Ihr alles, was Ihr benötigt?«
Rimberti bejahte, und Junker Boing folgte dem Bediensteten. Rimberti überlegte einen Moment, ob er noch seinen Schreiber aufsuchen sollte, um mit ihm