Winterwundernacht. Группа авторов
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Der fremde Gast
Linus und Mia stehen gerade im Vorgarten und bauen einen Schneemann, als Mama kommt. Dick eingepackt in ihre Winterjacke trägt sie die Einkäufe vom Supermarkt nach Hause. Dank ihrer roten Mütze sieht man sie schon von Weitem. In der letzten Nacht hat es geschneit, sodass die beiden Geschwister direkt nach dem Frühstück nach draußen gegangen sind, um im Schnee zu spielen. Während Mama um die Ecke kommt, setzen Linus und Mia dem Schneemann gerade den Kopf auf seinen Körper. Deshalb sehen sie auch nicht, dass ihre Mutter auf einem glatten Stück Gehweg ausrutscht. Nur der Schrei ist zu hören. Die beiden sehen auf und rennen ihr durch das Tor entgegen. Neben ihr steht schon ein Mann, der ihr aufhilft. „Hast du dich verletzt, Mama?“ und „Ist alles in Ordnung?“ rufen die beiden durcheinander. Besorgt sieht der 7-jährige Linus seine Mama an. Währenddessen sammelt Mia die Einkäufe ein. Die Äpfel sind aus der Tüte gefallen und in den Schnee gekullert. Schnell hebt sie diese auf und legt sie zurück in die Tasche. „Mir ist nichts passiert, ich habe mich bloß erschrocken“, sagt ihre Mutter. „Zum Glück bekam ich Hilfe und bin schnell wieder auf die Beine gekommen!“
Dankbar sieht sie den Mann an, der noch immer ihren Arm hält und sie stützt. Er sieht ein wenig zottelig aus. Sein Bart ist lang, und seine Haare stehen ihm wild vom Kopf ab. Durch die einzelnen Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fallen, sieht er sie aus tannengrünen Augen an. „Vielen Dank, dass Sie so schnell geholfen haben!“
Der Mann lächelt. „Das ist doch selbstverständlich! Kommen Sie, ich bringe Sie noch bis nach Hause und trage die Einkaufstaschen!“
„Das ist sehr nett, das müssen Sie wirklich nicht!“, antwortet Mama.
„Doch, das möchte ich aber!“
Und so nimmt der fremde Mann die schweren Einkaufstüten, während Linus und Mia ihre Mama an die Hand nehmen und vorsichtig mit ihr über den verschneiten Gehweg Richtung Haus laufen. Es ist der Morgen des Heiligabend. Und während Mia und Linus draußen weiter im Schnee spielen, bereitet Mama das Essen für heute Abend vor. „Feierst du heute auch mit deiner Familie Weihnachten?“, fragt Mia den Mann. Der schaut sie traurig an und sagt: „Nein, ich habe gar keine Familie.“
„Aber wie feierst du denn Weihnachten?“, fragt Linus.
„Ach, manchmal feiere ich in der Villa Kunterbunt. Das ist ein Haus für Menschen, die kein Zuhause haben. Und in diesem Jahr weiß ich noch nicht genau, was ich mache.“
„Bist du obdachlos?“, fragt Mia.
„So würden manche Menschen das nennen, ja“, antwortet der Mann. Die Kinder laufen schweigend weiter. Sie haben noch nie einen Obdachlosen kennengelernt. Manchmal haben sie in der Stadt einen gesehen. Der saß auf dem Boden und hatte ein Akkordeon auf dem Schoß. Vor seinen Füßen stand ein Becher. Während er Musik spielte, hatte Mama den beiden Geschwistern ein paar Münzen gegeben, die sie in den Becher geworfen hatten. Nun aber steht so ein Mann vor ihnen. Wie traurig, dass er gar keine Familie hat, mit der er heute Abend Geschenke auspacken kann, denkt Mia. Linus hingegen ist froh, dass sie gleich ihr Haus erreicht haben. Der Mann stinkt ein bisschen.
Als sie vor der Haustür stehen, stellt der Mann die Taschen ab und gibt den Kindern und ihrer Mutter die Hand. „Fröhliche Weihnachten euch allen!“, sagt er. Gerade als er sich umdrehen will, fragt die Mutter: „Was halten Sie von Rinderrouladen mit Klößen und Rotkohl? Hätten Sie Lust, mit uns Weihnachten zu verbringen?“
Linus schaut Mama entsetzt an. Was soll der fremde Mann denn bei ihnen im Haus? Und dann auch noch ausgerechnet an Weihnachten! Mia hingegen blickt den Mann erwartungsvoll an. „Au ja! Dann kannst du auch unseren Weihnachtsbaum anschauen – der ist dieses Mal besonders groß!“ Der Mann schaut verlegen von den Kindern zur Mutter. Er überlegt einen Augenblick und nuschelt dann in seinen dichten Bart: „Das fände ich wirklich sehr schön!“
Und so ist es abgemacht. Während die Kinder draußen den Schneemann zu Ende bauen, gehen Mama und der Mann ins Haus und packen die Einkäufe aus. Manfred heißt er, so viel haben sie schon erfahren. Als Mia dem Schneemann einen Schal umgebunden hat, steckt Linus mit voller Wucht die Möhre in sein Gesicht. „Pass doch auf, Linus!“, ruft Mia. „Du machst alles kaputt!“
„Ist mir doch egal! Weihnachten ist eh kaputt“, antwortet ihr Bruder missmutig.
„Wieso bist du denn plötzlich so böse?“
„Na, ist doch wohl klar! Da kommt ein wildfremder Mann und will mit uns Weihnachten feiern. Ist doch blöd! Hast du mal seinen Bart gesehen? Da leben bestimmt schon Tiere drin! Und außerdem stinkt er. Wir feiern doch sonst auch immer alleine Weihnachten. Nur Mama, Papa, du und ich. Das reicht doch! Jetzt müssen wir bestimmt auch noch unsere Geschenke mit ihm teilen!“
„Linus, manchmal bist du wirklich blöd. Stell dich nicht so an, er hat doch sonst niemanden! Es ist doch nur für heute!“
Schweigend stapft Linus ins Haus. Mia folgt ihm. Als sie in die Küche kommen, ist ihre Mutter alleine. Sie legt gerade die Rouladen in die Soße.
„Wo ist denn Manfred, Mama?“, fragt Mia.
„Der ist im Bad und duscht sich. Er wollte sich gern sauber machen, bevor er mit uns Weihnachten feiert“, sagt Mama.
„Siehst du, Linus, es wird gar nicht so doof, wie du denkst. Gleich riecht er auch noch gut!“, grinst Mia ihren Bruder an. „Hrmpf“, grunzt der und geht die Treppe rauf. Kurze Zeit später hören sie, wie seine Zimmertür zuknallt.
Es ist später Nachmittag geworden. Mia hat Mama geholfen und den Tisch gedeckt. Sie durfte ganz allein bestimmen, wie die Festtafel heute aussehen soll. Die Servietten hat sie auf die Teller gelegt und überall auf dem Tisch kleine silberne Sterne verteilt, die sie in der Schublade mit den Kerzen gefunden hat. Jetzt funkeln die Sterne im Licht des Tannenbaums.
„Essen ist fertig!“, ruft Mama aus der Küche und trägt dampfende Schüsseln ins Wohnzimmer. „Mia, hol bitte deinen Bruder und sieh nach, wo Papa ist. Wir wollen lieber anfangen, bevor das Essen kalt wird!“
Schnell läuft Mia die Treppe hoch und macht die Tür zum Zimmer ihres Bruders auf. „Linus, komm! Es gibt Essen! Bist du immer noch sauer, weil Manfred heute da ist?“
„Naja, solange wir alle satt werden und er sich nicht einen Vorrat für das nächste Jahr anfuttern will, wird das schon gehen“, antwortet ihr Bruder.
„Sei bloß nett zu ihm! Er hat doch sonst keinen!“, sagt Mia und verschwindet wieder. Als sie an die Tür zum Schlafzimmer ihrer Eltern klopft, hört sie Papas Stimme von drinnen. „Nicht reinkommen! Ich komme sofort runter!“
Vorsichtig öffnet er die Tür und drückt sich hindurch. Mia schafft nicht einmal einen kleinen Blick auf die vielen Geschenke, die er den Tag über im Schlafzimmer eingepackt hat. „Ein bisschen musst du dich noch gedulden“, grinst Papa.
Fröhlich nimmt er Mia huckepack und schreitet mit ihr auf dem Rücken die Treppe hinunter. „Mhm, das riecht aber gut!“ Als Papa die Tür aufmacht, steht Manfred bereits am Tisch.
„Hallo! Sie müssen Manfred sein! Herzlich willkommen! Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl bei uns!“
Er schüttelt ihm die Hand, dann lässt er Mia von seinem Rücken springen.
Mia kann gar nicht aufhören, Manfred anzuschauen.