Jeder des anderen Feind. Eike Bornemann

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Jeder des anderen Feind - Eike Bornemann

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über schmale Fußgängerbrücken, dann durch einen dunklen Tunnel von Bäumen, die sich scherenschnittartig gegen den Himmel abhoben. Irgendwann waren wir wieder auf der Hauptstraße. Die zerklüfteten Silhouetten der Dächer und Schornsteine zeichneten das düstere Panorama einer mittelalterlichen Stadt. Vereinzelt flackerten Lichter in den Fenstern, und zum ersten Mal in meinem Leben wurde mir bewusst, dass Häuser nichts anderes sind als Höhlen. In Felsen gehauene Steinzeithöhlen, bewohnt von Urmenschen.

      Meine Uhr zeigte an, dass es längst Nacht war. Trotzdem wurde es nicht dunkel. Über den Himmel wehten Vorhänge aus grünen und violetten Lichtern. Es ist schon Ironie: Seit Jahrtausenden haben wir die Dunkelheit gefürchtet. Finsternis war eine Metapher für Gefahr, für Unwissenheit, Licht für Wissen, Fortschritt, Sicherheit. Und jetzt stand die Katastrophe im Zeichen von Nächten, die hell genug waren, dass man noch mit einiger Anstrengung ein Buch oder eine Zeitung hätte lesen können.

      »Jetzt schaut euch bloß mal das an …«

      Kubi war stehengeblieben und zeigte zu einem Dach hinauf, auf dem sich die Schattenrisse von Menschen gegen den brennenden Himmel abzeichneten. Sie hielten die Arme ausgebreitet und schwenkten Bengalos und Wunderkerzen wie Fans bei einem Fußballmatch. Ich hörte Rufe und die Fetzen von Gesang.

      Etwas schlug vor uns auf dem Gehweg auf. Wir sprangen zur Seite, als Glassplitter durch die Luft segelten.

      Scharon fluchte. »Ich würde den Scheiß-Yuppies am liebsten ’ne Feier machen, von der sie sich nicht mehr erholen.«

      »Weitergehen!«, sagte Milton. »Das ist nicht unsere Party.«

      Ich nahm an, der Fluss müsste irgendwo links von uns liegen. Sicher war ich mir nicht. Wir ließen die dunkle Masse eines Fabrikgebäudes hinter uns – und da sah ich ihn, eine verschwommene, grün und lila schillernde Straße, an deren Rändern Boote dicht an dicht lagen. Ich erblickte Lastkähne neben Barkassen, ein paar Schubkähne und Ausflugsboote von einem halben Dutzend Reedereien.

      Wir suchten eine gute Viertelstunde herum, ehe wir das Schiff fanden. In Natur wirkte die Calypso noch eine Spur eindrucksvoller als auf dem Flyer, den mir Milton im Dingo in die Hand gedrückt hatte. Ich schätzte die Länge auf etwas weniger als vierzig Meter und die Höhe über der Wasserlinie auf vielleicht drei Meter. Am Bug verunzierten mehrere hässliche und augenscheinlich frische Schrammen den Anstrich. Der Aufbau am Heck musste das Steuerhaus sein.

      Wir wurden bereits erwartet. Eine schmale Gestalt lehnte mit aufgestützten Unterarmen an der Reling. Ich hielt sie der kurzen Haare und des glatten Gesichts wegen zuerst für einen jungen Mann.

      »Hab mich gefragt, wann Sie’s endlich finden.« Die Stimme war dunkel, rau, aber unverkennbar weiblich. »Sie sind zweimal vorbei gegangen.«

      »Warum haben Sie uns nicht angerufen?«, wollte Milton wissen.

      »Ich war neugierig, ob Sie’s schaffen«, gab sie zurück. »Himmel, dachte ich, so blind kann man doch nicht sein. Fünf Kerle und keiner kommt auf die Idee zu fragen?«

      »Ich bitte Sie!«, flachste Aslan. »Sie wissen doch, dass Männer nie nach dem Weg fragen. Liegt in unseren Entdecker-Genen.«

      »Wohl eher am männlichen Stolz. Na, jetzt haben Sie mich zum Glück ja entdeckt«, sagte sie nachsichtig. »Ich bin Carmen Weber.«

      »Freut mich, Frau Weber«, sagte Milton. »Wo finden wir Ihren Mann?«

      Ich nahm die Andeutung eines Achselzuckens im Zwielicht vor mir wahr. »Versuchen Sie es mal auf Sylt. Jedenfalls hat er vor einem Jahr von dort eine Karte geschickt.«

      »Dann Ihren Vater.«

      »In Weissensee. Auf dem Friedhof.«

      Sie wartete, bis bei Milton der Groschen fiel.

      »Sie sind der Kapitän?«

      »Bei uns sagt man schlicht Schiffsführerin. Falls Sie einen graubärtigen Seebären mit Schiffermütze und Pfeife im Mund erwartet haben, muss ich Sie enttäuschen. Ich bin Eignerin, Matrose und Maschinistin des Motorkabinenbootes Calypso. Sprüche über Frauen am Steuer können Sie sich also getrost verkneifen.«

      Milton schien sich zu sagen, hier wäre ein offenes Wort angebracht. »Frau Kapitän, Frau Eignerin, Ihre Eminenz oder wie auch immer Sie angesprochen zu werden wünschen. Wir haben nicht erst seit gestern Frauen in der Bundeswehr.«

      »Na wie schön für Sie.« Die Hände aufs Geländer gestemmt, ließ sie ihre Blicke über unseren Trupp schweifen. »Und das ist also die tapfere Streitmacht, die uns vor dem Bösen schützen soll.«

      »Frau Weber«, sagte Milton, »ich hab keinen Schimmer, was für furchtbare Filme Sie übers Militär gesehen haben. Aber wir sind erstens nicht die Nazi-Wehrmacht – schon lange nicht mehr – und zweitens nicht im Krieg, sondern auf dem Weg zu einem humanitären Einsatz, der uns …«

      »Bewaffnet?«, unterbrach sie ihn.

      Aha, daher wehte also der Wind. Offenbar hatten wir eine waschechte Pazifistin vor uns. Da hatte es nun bei unserer Ausbildung vollmundig geheißen, wir wären »Multiplikatoren«, Vermittler zwischen Armee und Zivilleben. Das Zivilleben schien die Vermittlung bitter nötig zu haben. Bisher multiplizierte sich nur die Abneigung gegen uns.

      »Jetzt halten Sie mal bitte den Ball flach, ja?«, sagte Milton. »Wir sind Soldaten. Dachten Sie, wir rücken mit Faustkeilen und Keulen an? Eine bewaffnete Gesellschaft ist eine höfliche Gesellschaft.«

      Ich merkte an ihrem angriffslustig gereckten Kinn, dass es ein schlechter Anfang war. Sie widersprach sofort und mit Nachdruck. »Eine bewaffnete Gesellschaft ist vor allem eine unsichere Gesellschaft.«

      »Für die bösen Jungs auf jeden Fall«, hörte ich Scharon neben mir knurren.

      Milton hob eine Hand. »Wir sind Reservisten. Ganz normale Staatsbürger in Uniform. Aslan arbeitet bei einer Versicherung, Outis hat Bücher geschrieben, Kubi ist Handwerker. Aber keine Sorge. Selbst der hat inzwischen gelernt, beim Essen Messer und Gabel zu benutzen.« Scharons Affinität zu kitschiger Kriegsliteratur erwähnte er taktvollerweise nicht.

      »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir jetzt gerne an Bord kommen und unseren Auftrag erfüllen. Ich verspreche Ihnen auch, dass wir keine Massaker an unschuldigen Zivilisten anrichten.«

      »Na kommen Sie schon.« Die Schifferin gab den Weg frei.

      Als ich das Deck erklomm, passierte etwas Merkwürdiges. Eine Kraft schien meine Bewegung zu hemmen, wollte mich zurück an den Steg ziehen. Ich bin kein abergläubischer Mensch. War es nie gewesen. Erst recht nicht nach Majas Tod. Doch für einen Augenblick richteten sich meine Nackenhaare auf und unter dem Hemd brach mir der Schweiß aus. Dann war der Moment vorbei, der Bann gebrochen. Ich redete mir ein, ich wäre nur mit einem Teil meiner Ausrüstung irgendwo hängen geblieben.

      Eine zweiflügelige Tür führte vom Oberdeck in einen mit dunklem Holz getäfelten Salon. An den Wänden glänzten Messingbeschläge. Ein Kronleuchter hing von der Decke. Die Tische und Stühle wirkten in ihrer nüchternen Strenge fehl am Platz. Am Ende einer Treppe lag ein schmaler Gang, von dem rechts und links Türen abgingen.

      »Wir haben sechs Gästekabinen«, hörte ich die Schifferin im Halbdunkel sagen. »In der Eignerkabine hab ich die Inspektorin einquartiert. Sie ist vor einer Stunde angekommen. Wir fahren

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