Jeder des anderen Feind. Eike Bornemann
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»Ah. Wir sind aber kein Satireblatt, Outis, wir sind die ›Bundeswehr aktuell‹. Und das hier ist zynischer Mist! Als nächstes kommst du noch mit unseren Jungs, die es vor Stalingrad ausgehalten haben.«
»Jetzt wirst du geschmacklos.«
Herold zerknüllte meinen Artikel-Entwurf zu einer perfekten Kugel und brachte es fertig, den Papierkorb am anderen Ende des Raumes zu treffen.
»Was ist bloß los mit dir?« Kopfschüttelnd musterte er mich. »Warst mal ein guter Autor. Konntest schreiben. Hab zu Hause sogar eins von deinen Büchern im Regal.«
»Dein Urteil war wenig schmeichelhaft«, erinnerte ich ihn. »Meine Metaphern wären überzogen. Zu literarisch – oder so ähnlich.«
»Zu gut gemeint«, verbesserte er mich. »Nicht zeitgemäß. Wir leben in der Ära der Kurznachrichten. Der Stil muss knapp sein. Und lebensbejahend.« Er zog das Wort in die Länge, indem er jede Silbe einzeln betonte. »Zynismus ist was für Verlierer. Das Magazin schreibt für Macher, nicht für Leute, die sich aufgegeben haben.«
Ich winkte verdrossen ab. »Im Moment schreibt es für Niemanden, wenn die Druckerei nicht bald ein Netzersatzgerät aus dem Hut zaubert. Das einzige Massenmedium, was noch funktioniert, ist der Rundfunk. Besser gesagt die Stationen, die über Notstrom verfügen. Und die senden auch bloß ins Blaue rein, in der Hoffnung, irgendwo sitzen ein paar Leute mit batteriebetriebenen Radios. Hast du dir mal den Mist reingezogen?«
»Ich hör kein Radio«, behauptete er. »Dafür hab ich zum Glück dich. Was sagen sie denn?«
»Denselben Blödsinn, den alle Offiziellen daherquatschen: Die Lage sei kritisch oder ernst, eine Herausforderung – aber nie hoffnungslos. Jeder ist zuversichtlich, allen geht’s den Umständen entsprechend gut. – Ungefähr so muss sich ’ne Therapiegruppe von Krebspatienten anhören.«
»Stimmt wenigstens die Musik?«
»Heute morgen lief REM. ›It’s the end of the world … and I feel fine‹.«
Herold zog die Brauen hoch. »Ernsthaft?«
»War ’n Scherz.«
»Ah.«
»Sie senden Nachrichten, Kochrezepte und Hygienetipps. Das war schon früher schlimm, dieser weichgespülte Mist!« Ich verdrehte die Augen und verstellte meine Stimme zur Parodie einer oberlehrerhaften Belehrung: »Die unsachgemäße Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid ist zu unterlassen.«
»Du redest vom Pressekodex.«
»Ich rede davon, die Dinge nicht beim Namen zu nennen, um ja nicht irgendwo anzuecken! Wozu gibt’s schließlich ein Synonymwörterbuch? Da findet man hundert verschiedene Umschreibungen für Blut, Kotze und Gewalt. Was zum Teufel soll eine angemessene Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid sein, frage ich dich? Gebt mir für jeden dieser Heuchler lieber einen waschechten Zyniker!«
Herold hatte meinem Ausbruch schweigend zugehört. »Hast du immer noch nichts von Penny gehört?«, forschte er dann behutsam nach.
Genervt winkte ich ab. Ich hatte keine Lust, über mein eigenes verpfuschtes Leben zu reden. Ich wollte über die ganze verpfuschte Welt reden.
»Wenn du auf so was stehst, hättest du Youtube-Blogger werden sollen«, brummte er. »Aber dann solltest du dir überlegen, ob Journalismus noch das richtige für dich ist. Ich meine richtigen Journalismus, nicht diesen reaktionären Blogger-Dreck.«
»Die Sache ist doch die«, sagte ich müde. »Hier gibt’s für mich nichts zu tun. Du jagst mich von einer Pressekonferenz zur nächsten und ich fühl mich wie ein Papagei, der alles nachplappert.«
Herold schaute mich aufmerksam an. »Willst du freigestellt werden? Willst du zu deiner Familie?«
Ich schüttelte den Kopf, verärgert darüber, dass er mich anscheinend für einen Drückeberger hielt. »Gib mir einfach was zu tun. Ich gehe hier die Wände hoch, verstehst du? Gib mir eine Aufgabe.«
Ich hatte mit einer flapsigen Antwort gerechnet, etwa die, dass alle ihre Probleme hätten. Stattdessen lehnte er sich in seinem Sessel zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Unter seinen Achseln lagen Schweißflecken in der Größe von Bowlingkugeln.
»In der Nacht, als die ersten Polarlichter über den Himmel flackerten, da tanzten unten auf der Straße Leute vor meinem Haus.« Es klang beiläufig, als erzählte er vom Frühstück. »Die beklatschten jedes Aufflammen, als ob’s ein Feuerwerk zu Silvester wäre. Diese Zeit bringt nicht gerade das Beste im Menschen zum Vorschein.«
Ich behielt für mich, was ich über diese Zeit und ihre Werte dachte.
»Vor ein paar Jahren kam ich mal an einem Unfall vorbei, Outis. Der Notarzt war gerade dabei, einen Mann wiederzubeleben. Vielleicht hatte der einen Herzanfall, vielleicht war er gestürzt – ich weiß es nicht. Während der Arzt sich um den Mann kümmerte, stiegen ungerührt Leute über beide hinweg. Manche schimpften. Sie hatten keine Zeit. Wollten ihre Straßenbahn noch erwischen. Es war ihnen egal, dass vor ihnen ein Mensch lag und sie seine Rettung behinderten.«
»Ich hoffe, diese empathielosen Wichser hat es gleich als Erstes erwischt, als der Blackout losging«, sagte ich hasserfüllt.
Er tat, als hätte er mich nicht gehört. »Und das war zu einer Zeit, als es uns gut ging. Was wir gerade erleben, kann man ohne Übertreibung als moralische Auszeit bezeichnen.«
»Das ist gut, das muss ich mir merken.« Ich versuchte gar nicht erst, den Sarkasmus aus meiner Stimme fernzuhalten. »Darf ich das für meinen Artikel verwenden? Es klingt irgendwie so … aufbauend. So lebensbejahend.«
Ein verlorenes Lächeln huschte über Herolds Gesicht. »Glaub nur nicht, ich würde dich nicht verstehen. Als in den 90er Jahren die große Oderflut kam, war es das Militär, das eine Katastrophe verhinderte. Ich war einer von denen, die sich auf den Deichen den Arsch abschufteten, damit das Oderbruch nicht voll lief. Damals waren wir Helden. Aber jetzt? Der Kalte Krieg ist vorbei. Die alten Feinde sind verschwunden. Die Truppe hat ein Image-Problem. Wir brauchen Aufgaben. Aber vor allem brauchen wir Vorbilder.«
»Wenn du glaubst, ich will mich vor der Arbeit drücken, bist du schief gewickelt«, sagte ich, seinen letzten Satz wieder auf mich beziehend.
»Ach Unsinn!« Das Leder des Bürosessels knarrte, als sich mein Chef nach vorne beugte. »Machen wir uns nichts vor; wir sitzen gerade tief in der Scheiße. Und wie es aussieht, haben wir den Grund der Gülle noch gar nicht erreicht. Was mich wieder zurück zum Thema bringt. Was wir in dieser Zeit mehr denn je brauchen, sind – bitte entschuldige meinen Pathos – Helden. Wir brauchen Leute, die zupacken, zu denen die Leute aufschauen können. Leute mit Mut, Grips, Opferbereitschaft, moralischer Stärke …«
Ich unterbrach ihn, ehe er weitere heroische Superlative bemühen konnte. »Einen Action-Held wie im Kino meinst du?«
Herold schüttelte unwillig den Kopf. »Was ist bloß los mit diesem Land? Wieso sagt jeder immer wie im Kino? Irgendwo passiert was, ein Unfall, eine Katastrophe, ein Verbrechen – und immer heißt es gleich: Es sah aus wie im Kino!«
»Schon gut«, winkte ich ab.