Jeder des anderen Feind. Eike Bornemann

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Jeder des anderen Feind - Eike Bornemann

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      »Hier ganz sicher nicht. Misch dich unters Volk. Fahr mit den Einsatzkräften mit. Geh dorthin, wo Action ist. Bist du nicht Reservist?«

      Die Frage war rhetorisch. Natürlich wusste mein Arbeitgeber davon. Schließlich hatte er mich für die Lehrgänge freistellen müssen.

      »Hab gehört, der Marschbefehl ist gerade rausgegangen«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Der Pressesprecher der Regierung wird’s wahrscheinlich in Kürze bestätigen. – Dabei fällt mir ein: Der Presse-Feldwebel deines Paten-Bataillons soll sich angeblich mit einer Salmonelleninfektion krankgemeldet haben. Wäre das nichts für dich?«

      Er war bemerkenswert gut informiert. Ich fragte mich, wozu er mich noch brauchte, wenn er sowieso schon alles vor mir wusste.

      »Die lassen mich nie an seine Stelle«, sagte ich überzeugt. »Du kennst die Richtlinien. Der PR-Mann der Truppe darf selbst kein Journalist sein. Soll Loyalitätskonflikte verhindern.«

      »Ach was, im Moment geht hier doch sowieso alles drunter und drüber. Lass den alten Herold nur machen. Glaub mir, die werden dich mit Kusshand nehmen, wenn ich ihnen erst mal unter die Nase reibe, dass du Schriftsteller bist.«

      »War«, verbesserte ich ihn.

      »Dann wirst du wieder einer sein. Schreib, sei pathetisch, gebrauche Metaphern bis zum Abwinken – nur tu mir den Gefallen und stell diesen beschissenen Zynismus ab, ja? Werd wieder ein Mensch!«

      »Sie werden mich nicht nehmen«, wiederholte ich verärgert. Herolds Optimismus wirkte auf mich zunehmend anstrengend.

      »Sie werden, Outis!«

      »Warum sollten sie das tun?«

      Herold angelte wieder nach dem Satellitentelefon.

      »Aus Eitelkeit?«, schlug er vor. »Für George Orwell war der Gedanke an den allgegenwärtigen Big Brother ein Alptraum. Unsere Generation hat sich dagegen dran gewöhnt, ihre Ansichten und Vorlieben überall raus zu posaunen. Die Vorstellung von einer Welt ohne Facebook, Instagram und Twitter muss für die Meisten der blanke Horror sein.« Er schaute mich an. »Wir haben kein Fernsehen mehr, keine Talkshows, kein öffentliches Casting, keine Youtube-Channels, keine fünfzehn Minuten Ruhm für Jedermann. Niemand ist da, der über uns Geschichten erzählt. Deshalb werden sie dich nehmen. Wer würde sich heute noch an Achilles erinnern, wenn Homer nicht die ganze vertrackte Story aufgeschrieben hätte?« Er nickte mit dem Kinn in Richtung Ausgang und streckte gleichzeitig die Hand nach dem Telefon aus. »Und jetzt geh rüber. Hör dir an, was sie zu sagen haben.«

      An der Tür blieb ich stehen. »Was hältst du eigentlich von der Geschichte, dass Homer angeblich blind gewesen ist? Er war nicht mal dabei, als es Achilles erwischte.«

      Ich sah, wie Herolds Silhouette vor dem hellen Viereck des Fensters mit den Schultern zuckte. »Wahrscheinlich konnte er gut zuhören.«

      »… hat daher die Bundesregierung den Ländern die Weisung erteilt, die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei hinzuzuziehen.«

      Der Pressesprecher der Regierung war ein früherer Fernsehjournalist, dessen Moderation zu 9/11 mit dem Preis der Goldenen Kamera ausgezeichnet wurde. Als er geendet hatte, herrschte einen Augenblick Schweigen. Dann brach erregtes Stimmengewirr aus. Mehrere Journalisten hoben gleichzeitig die Hand und versuchten, den Regierungssprecher auf sich aufmerksam zu machen.

      »Schließt das den Einsatz militärischer Mittel mit ein?«, rief jemand aus der vorderen Reihe. Ich hatte meinen Platz ganz hinten und konnte nicht erkennen, wer es war. Er hatte einen französischen Akzent.

      Der Sprecher schien auf diese Frage vorbereitet zu sein. Seine Antwort kam ohne das geringste Zögern.

      »Die Unterstützung erfolgt in erster Linie logistisch, durch Schiffe, Hubschrauber, Räumfahrzeuge und Transporter. Allerdings stehen unsere Streitkräfte auch bereit, unsere Polizei bei Absperrungen und Objektschutz zu unterstützen. Sie haben eine Frage?«

      »Danke. Bedeutet das auch die Übernahme hoheitlicher Befugnisse?«

      »Davon können Sie ausgehen. Selbstverständlich dürfen unsere Streitkräfte im Rahmen ihrer Aufgaben Durchsuchungen und Verhaftungen vornehmen.«

      »Halten Sie das nicht für gefährlich?«

      »Inwiefern?«

      »Nun, die Bundeswehr ist für polizeiliche Aufgaben nicht ausgebildet.«

      Der Pressesprecher richtete einen Zeigefinger auf den Fragesteller. Er hatte dabei Ähnlichkeit mit einer Plakat-Karikatur von Uncle Sam, der zur Einberufung animiert.

      »Lassen Sie mich eines klarstellen: Ich setze vollstes Vertrauen in die Professionalität unserer Streitkräftebasis. Im Übrigen arbeitet sie eng mit unseren zivilen Stellen zusammen.«

      Mir fiel auf, wie oft der Staatssekretär den Begriff unsere gebrauchte.

      In der ersten Reihe wurde erneut eine Hand gehoben. »Es erreichen uns Meldungen über Plünderungen. Können Sie uns dazu Näheres sagen?«

      »Es ist vereinzelt zu Vorfällen gekommen, ja, aber entgegen allen Prognosen und Spekulationen ist es verhältnismäßig ruhig geblieben. In Krisenzeiten überwiegen in Solidargemeinschaften – lassen Sie mich das ganz deutlich sagen! – pro-soziale Reaktionsmuster und altruistische Verhaltensweisen.«

      Er brachte die Sätze so flüssig heraus, als hätte er sie vorher hundertmal geübt.

      »So haben etliche Supermärkte ihre Türen geöffnet und Lebensmittel unentgeltlich an die Bevölkerung verteilt. Zu Wucher-Verkäufen ist es meines Wissens nicht gekommen.«

      »Stimmt es, dass wegen des Blackouts schon tausende Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen werden mussten?«

      Der sonore Tonfall wirkte auf mich zunehmend einlullend. Was er von sich gab, wurde zu einem Wortbrei, aus dem von Zeit zu Zeit einzelne Phrasen aufstiegen. »Diese Frage … der jeweiligen Bundesländer … Pressekonferenzen, die … bin zuversichtlich, dass … Stärke des Landes … gemeinsame Herausforderungen …«

      Ich hatte seit Tagen kaum geschlafen und wollte uns beiden die Peinlichkeit ersparen, mitten in seinen Ausführungen aus einem Halbschlaf aufzuschrecken. Ich stand auf und verzog mich ins Bistro.

      Offenbar war ich nicht der Einzige, der auf die Idee kam, sich abzusetzen. An den Futternäpfen hatten sich weitere Reporter eingefunden.

      Ich ging den Kettenhunden von der Yellow Press aus dem Weg, deren geistiger Zustand sich am ehesten mit dem von Rauschgiftsüchtigen auf Entzug vergleichen ließ. Nachrichten waren rar. Kein Wunder, dass jeder Reporter der Stadt, mich eingeschlossen, nach den seltenen Nuggets der Wahrheit schürfte. Die Neurosen blühten und in den Kantinen machten Gerüchte die Runde. Zum Beispiel, dass es in Wirklichkeit gar kein Sonnensturm war, der den halben Kontinent ins vorindustrielle Zeitalter zurückgebeamt hatte, sondern ein Angriff der Russen, Chinesen, Amis oder von den kleinen grünen Männchen vom Mars.

      Während ich mich in der Schlange anstellte, lauschte ich den Unterhaltungen der Reporter.

      »Hast du den Quadrat-Unsinn mitgekriegt?«, fragte ein Typ seinen Nebenmann.

      »Du

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