Besser als nix. Nina Pourlak
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Auf dem Weg zur Fahrschule wollte ich noch Oma besuchen. Es ist nicht so, dass sie meinen Besuch besonders dringend nötig hätte: Sie hat ständig Gäste. Es kommt immer jemand vorbei, der ihr Blumen bringt, sodass es in ihrem Zimmer fast jeden Tag so aussieht, als würde sie grade Geburtstag feiern. Falls jemand im Haus eine Vase sucht, dann kommt er direkt zu ihr. Sogar Alkohol sammelt sich bei ihr mittlerweile in rauen Mengen, weil sie die geschenkten Schnäpse, Weinbrände und Cognacs nicht konsumiert, sondern auf ihrem Schrank hortet.
Wenn ich sie ansehe, dann wäre ich auch gerne so wie sie, wenn ich alt bin. Manchmal wäre ich dann sogar gerne sofort so alt wie sie, echt jetzt, dann hätte ich den ganzen Stress mit dem Leben schon hinter mir und könnte gelassen auf meine Erinnerungen zurückblicken. Die Frage: »Was soll nur aus dir werden?« würde mir dann keiner mehr stellen, denn dann wüssten ja alle schon, wie es gelaufen ist.
Oma sieht einem sofort an, was einen grade beschäftigt, und schafft es in jeder Lage, das Beste zu erkennen. Und sie findet absolut für jeden Knopf, den man verloren hat, den richtigen Ersatz in ihrem Nähkästchen. Ein Phänomen.
Sie ist anders als alle, die ich kenne und das liegt vermutlich daran, dass Wally gar nicht meine leibliche Oma ist ... Aus verschiedenen tragischen Gründen habe ich keine echte, lebende Oma. Auf der einen Seite der Krebs, auf der anderen Familienzwist, mehr sag ich dazu nicht.
Papa hat sich früher wegen dieser ganzen Familiensache Sorgen gemacht, glaub ich, so von wegen: der arme Junge, ganz ohne Großeltern, kann nie jemanden besuchen, der für ihn nach einem uralten Rezept Apfelkuchen bäckt, ihm vom Krieg erzählt oder irgendwelche Traditionen vermittelt, die Kinder so von ihren Omas und Opas übernehmen.
Als er schon nicht mehr aktiver Fußballer war und kurz bevor er seinen Trainerschein gemacht hat, hing er ein bisschen in der Luft und ist Taxi gefahren, um Geld für die Familie zu verdienen. Einmal hat er dann meine Oma gefahren, Wally. Sie sah schon damals so aus wie jetzt, wie eine Bilderbuchoma, mit geflochtenen weißen Zöpfen und bunten Blumenkleidern an. Und da hat er sie spontan gefragt, ob sie nicht vielleicht meine Oma werden will. Hat er mir so ungefähr erzählt.
Sie dachte natürlich erst, er meint es nicht ernst, will ihr was verkaufen oder sie sonst wie übers Ohr hauen, und war eher zögerlich. Aber er hat ihr dann anscheinend sehr überzeugend von mir berichtet – dem einzigen gänzlich großelternlosen kleinen Jungen im ganzen Landkreis. Buhuhu. Da muss man auch erst mal drauf kommen, oder? Heute würde er das bestimmt nicht mehr machen. Aber damals hat er sich alles Mögliche für mich ausgedacht.
Er hat mir sogar mal zum Geburtstag ein eigenes kleines Holzhäuschen gebaut, da konnte man sich richtig reinsetzen. Mit Klingel und Namensschild an der Tür. Das stand bei uns im Garten.
Na ja, vielleicht lag es auch nur daran, dass er damals Zeit hatte, dass er auf solche Ideen kam.
Jedenfalls, ich war damals noch ganz klein und wusste nicht, dass mir eine Oma fehlt. Und dann kam sie zu Besuch, Papa hat sie mit dem Taxi abgeholt, Du hattest anscheinend den Kuchen gebacken, und sie hat gesehen, dass es bei uns wirklich jemanden gibt, der bis jetzt noch keine Oma hat, nämlich mich. Und seitdem ist sie meine Oma. Und auch wenn Carsten und ich so gänzlich verschieden sind und wir uns eigentlich nie über irgendwas einig sind, in der Auswahl meiner Oma hat er einen absoluten Volltreffer gelandet.
Mittlerweile ärgert er sich, glaub ich fast darüber, dass er sie entdeckt hat, und ist manchmal richtig eifersüchtig, weil er befürchtet, dass ich mich besser mit ihr verstehe als mit ihm. Stimmt ja zurzeit auch.
Natürlich ist Oma begeistert von der Berufsempfehlung. Ich könnte sie ja dann unter die Erde bringen und alle ihre Bekannten hier auch, meint sie strahlend. Hier gäbe es große Nachfrage. Das sind Konsequenzen, die ich noch nicht bedacht habe, die machen mir erst richtig Angst. Und es würde bedeuten, dass die Leute denken, ich hätte sehr viel Einfühlungsvermögen, wenn sie mir so etwas empfehlen, setzt sie noch schmeichelnd hinzu.
So habe ich das noch gar nicht betrachtet. »Ich bin sehr stolz auf dich, mein Junge«, meint sie anerkennend. Wenn ich sie nicht kennen würde, würde ich wahrscheinlich glauben, sie macht sich über mich lustig. Aber für sie ist es keine Frage, ob ich dort antreten soll oder nicht. Oder was »die Leute im Ort« von so einem Job halten. Es ist ein Abenteuer, und die Frage ist eigentlich nur, wann es losgeht. Typisch.
Ich habe ziemlich die Zeit vergessen mit ihr und bin schon wieder zu spät dran. Das passiert mir jedes Mal, weil das Altersheim nun mal auf dem Weg liegt und ich mich fast immer zu einem Zwischenstopp hinreißen lasse. Weil sie einfach so gut zuhören kann und weil das ein Ort ist, an dem absolut keine Hektik herrscht, an dem Zeit kaum noch eine Rolle zu spielen scheint und ich deswegen immer vergesse, auf die Uhr zu gucken.
Ungeduldig wartet mein Fahrlehrer Herr Seibel auf dem Parkplatz. Er hat hier im Ort Generationen von Autofahrern mit seiner ganz persönlichen Schulterblick- und Einparktechnik geprägt, denn das ist die einzige Fahrschule weit und breit. »Wo bleiben Sie denn? Die Stunde beginnt um Punkt sechs und sie wird durch Ihr Zuspätkommen nicht länger!«, schimpft er gekränkt. Er ist das nicht gewöhnt. Alle hier sind verrückt darauf, schnellstmöglich ihren Führerschein zu machen. Bloß ich komme immer zu spät.
Carsten hat mir diese Stunden geschenkt – das gehört alles noch ins Gesamtpaket von diesem braun gebrannten, topfitten Fußball spielenden, Auto fahrenden Sohn, der ich nicht bin.
Ich finde, ich brauche gar kein Auto, ich habe ja das Internet. Damit kann ich in Sekunden die ganze Welt durchqueren. Ich sage nur: Google Earth. Aber kein Wunder, dass er das nicht versteht, er kann ja noch nicht mal eine E-Mail verschicken, wie gesagt.
Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, wirklich richtig draußen Auto zu fahren, um ehrlich zu sein. Die ganzen Schilder und Verbote, die ganzen Dinge, die passieren können. Die Welt um mich und diese Blechkarosse herum. Hilfe!
Was ich will, ist entweder zu nah dran oder zu weit weg, als dass ein Auto mir dabei helfen würde, es zu erreichen. Manchmal fahre ich so ruckelig, als ob selbst der Wagen nicht wüsste, ob er lieber vor- oder zurückfahren soll. Oder stehen bleiben. Das hasst mein Fahrlehrer am meisten, wenn wir dann so bescheuert durch die Gegend hoppeln und die anderen Autofahrer schon grinsend zu uns rübergucken.
Muss ich hier etwa abbiegen? Meine Gedanken schweifen schon wieder ab, ich kann mich nicht entscheiden – hinter uns hupt es. Herr Seibel runzelt die Stirn. Aber zum Glück ist die Stunde jetzt auch vorbei. Ich bin jedes Mal erleichtert, wenn wir lebend wieder auf den Parkplatz einbiegen. Er auch, glaub ich.
Zu Hause flackert das Lämpchen von unserem Anrufbeantworter so auffordernd, dass es mir sofort ins Auge springt. Es ist eine halbe Ewigkeit her, dass überhaupt einer die Möglichkeit genutzt hat, seine Stimme hier für uns aufzuzeichnen. Kein Mensch außer uns hat überhaupt noch einen AB, oder? Ich hatte jedenfalls schon fast vergessen, dass es dieses Gerät überhaupt gibt. Eine junge Frau, die meinen Namen spricht, ist auf dem Band (Weltpremiere!).
Sarah. Sie wollte noch mal anrufen, weil sie vorhin so hektisch verschwunden sei. Und wegen der Berufsberatung. Sie wisse, dass sich das seltsam anhöre, aber sie hätte ein gutes Gefühl mit diesem Vorschlag, »Bestattungsfachkraft«. Sie könnte sich vorstellen, dass das genau das Richtige für mich sei. Ob ich mich nicht wenigstens mal dort melden könnte, es mir mal ansehen, vor allem, wenn ich mir hier ohnehin schon so verloren vorkäme (hatte ich etwa verloren gesagt?). Ich könnte ihr ja dann auch erzählen, wie es war. Sie nennt ihre Nummer.
Ich höre mir die Ansage mindestens noch fünf Mal an, als handele es sich um ein ganz kompliziert verschlüsseltes Liebesgedicht, das nur wir beide