Kalypsos Liebe zum kalten Seerhein. Chris Inken Soppa
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Читать онлайн книгу Kalypsos Liebe zum kalten Seerhein - Chris Inken Soppa страница 6
Karen legt ihm entschuldigend den Arm um die Schulter. Hek ist manchmal sehr emotional, das hat er von mir. Auf dem Land musste ich ihn jedes Wochenende besuchen. Und jetzt steht er davor, das Nest endgültig zu verlassen. Das ist schwer für uns beide, nicht wahr, Hekie?
Mit zuckenden Achseln duckt sich der junge Mann unter ihrer Umarmung weg. Karen bleibt allein stehen und fragt: Und? Was meinst du?
Niks sieht zu dem Jungen. Das müsst ihr entscheiden.
Er lächelt sie zum ersten Mal an. Er hat verstanden. Doch Karen lässt sich das Gespräch nicht entgleiten. Ich muss gar nichts entscheiden. Ich war von Anfang an dafür.
Niks legt sich einen Finger über die Lippen und sieht Hektor an.
Der Junge schiebt sich die Kapuze in den Nacken. Mal sehen, sagt er.
Hek, mahnt Karen. Weißt du eigentlich, wie viel die Zimmer in Konstanz kosten? Mit deinem Volontärssalär wirst du da nicht weit kommen.
Der junge Mann erstarrt, ihm stehen verstohlene Tränen in den Augen.
Niks hält es für das Beste, Karen nachzugeben. Nach drei, vier Wochen wird sie Hektor ein günstiges Zimmer zur Zwischenmiete suchen und ihm die langersehnte Freiheit schenken.
Sie sind hier jederzeit willkommen, Hektor. In der Hoffnung, dass er sie auch zum zweiten Mal versteht, zwinkert Niks ihm verstohlen zu.
Ich hätte Lust auf eine Tasse Kaffee, sagt Karen. Wir haben selbstgebackenen Kuchen mitgebracht.
Hektor sitzt im Gästezimmer auf dem Ausziehsofa und studiert den grauen Novemberhimmel. Da gibt es überhaupt nichts zu sehen, nur gelbe Linden und Hausfassaden in Gelb und Dunkelrot mit hellgrauen Einfassungen. Seine Mutter ist vor einer halben Stunde abgefahren, mitsamt ihren Vorschlägen und Anweisungen. Sie hat die beiden gedrängt, einander zu duzen und sie dann sich selbst überlassen. Auf welche Weise aber soll man einen einundzwanzigjährigen Jungen ansprechen, der sein ganzes Leben abwechselnd verhätschelt und herumkommandiert worden ist? Niks beschließt, den träumenden Hektor mit dem neugewählten Du und einer Schockfrage aus seiner Starre zu reißen.
Wie viele Mädels pro Nacht willst du denn mitbringen?
Er wendet sich langsamer um, als sie erwartet hat. In seinem lethargischen Blick glaubt sie, sich selbst zu erkennen: eine nutzlose, einsame, alte Frau, voller Neid auf die vielfältigen Vergnügungen der Jugend. Hektors Antwort ist leise und zögernd. Er hebt die Schultern. Seine braunen Augen liegen dunkel in seinem dämmerigen Gesicht. Niks schaltet die Lampe ein. Er blinzelt in das unangenehm grünliche Zwielicht der warm werdenden Energiesparbirne.
Sie wollen … du willst mich nicht hier haben, stellt Hektor fest. Das Licht überzeichnet seine blonden Haare so grell, als gehörten sie nicht zu ihm. Seine Schultern sind breit wie die eines Surfers oder Landarbeiters, sein dunkler Pullover ist großmaschig und zu einem dünnen Netz auseinandergezerrt; darunter entdeckt Niks ein helles T-Shirt, das lange Ärmel haben muss, sonst wäre ihm doch viel zu kalt. Nichts an ihm erinnert sie mehr an Karen; die unausgefüllte Stille ist der einzige Beweis, dass Karen eben noch hier war.
Hektor wendet den Blick wieder zum Fenster. Er wirkt viel gelassener, wenn Karen nicht dabei ist. Als wäre es ihm piepegal, was Niks von ihm hält. Niks kennt die jungen Leute, die sich Zeit lassen beim Reden. Aus deren Pausen keine Furcht spricht. Die sich phlegmatisch immer wieder korrigieren, bis sie ihren Gedanken korrekt formuliert haben. Unbeirrt gehen sie davon aus, dass man ihnen bis zum Ende zuhört.
Ich werd bestimmt bald etwas anderes finden. Hektor fährt sich mit den Fingern durch die Haare. Er stützt die Ellenbogen auf die Knie, sein Kinn in die Hände und starrt auf die dämmrigen Lindenwipfel, die im Lampenschein zu dunklen, spitz zulaufenden Silhouetten geworden sind..
Du kannst hier bleiben, solange du möchtest, sagt Niks.
Vielen Dank. Hektor richtet sich auf. Es ist nur …
Bitte?
Hektor lächelt. Ich muss morgen früh aufstehen. Kann ich zuerst ins Bad?
Ulla ist in Tränen aufgelöst. Ihre Stirn lehnt an Niks Schulter, sie heult wie eine Katze im Sack. Niks atmet mit Ullas Schluchzern mit, tätschelt Ullas Schulter. Ihr Pulli ist vorne schon ganz durchweicht, und sie versteht nicht, was Ulla ihr sagen will. Ulla atmet Schleim und Pulloverstoff ein, ihre Äußerungen sind dumpf und unerfreulich.
Alte Leute sollten sich nicht so gehen lassen, findet Niks, das ist im wahrsten Sinne des Wortes überflüssig.
Was los sei, fragt sie.
Ulla legt den Kopf zurück und zeigt rotgeränderte, wässrige Augen. Mein Sohn. Er wird heiraten.
Ullas Sohn geht auf die Vierzig zu, ganz in Grau und zuverlässig. Sein Haaransatz hat sich bereits vor Jahren Richtung Tal verschoben. Niks hat es nicht für möglich gehalten, dass er jemals heiratet. Dabei ist er nett. Er sammelt alte Feuerwehrhüte und zur fünften Jahreszeit probiert er sie aus.
Die Schlampe kennt ihn noch nicht mal ein halbes Jahr, und jetzt ist sie schwanger von ihm, schluchzt Ulla.
Niks zupft an den feuchten Stellen ihres Pullovers. Das müsste dir doch bekannt vorkommen. Außerdem wünschst du dir einen Enkel.
Ulla schüttelt den Kopf. Meine Töchter sind beide Mitte dreißig und wissen genau, in welcher Welt sie leben. Da kann ich mich auf sie verlassen. Susi hat ihren Produktdesigner, und Gabi arbeitet bei der Deutschen Bank. Sie haben genügend Geld, Erfahrung und tickende biologische Uhren. Was passiert also?
Niks hebt beide Hände und mimt trockene Ratlosigkeit.
Gar nichts passiert, fährt Ulla fort. Die beiden sind völlig ausgereift. Ich hab keine Ahnung, worauf sie warten. Stattdessen ausgerechnet Peter.
Womöglich ist es seine letzte Chance, erwachsen zu werden.
Das sagst ausgerechnet du, kreischt Ulla.
Niks fürchtet, Ulla könnte sie wie früher an den Haaren ziehen. Was hast denn du der Welt gegeben? Kein Kind, keine Familie, keine Wärme, nichts, das bleibt und weitergeht. Und da erlaubst du dir, über meinen Sohn zu urteilen!
Niks schenkt Kräutertee nach, gönnt sich ein Plunderteilchen mit Sahnekringel obendrauf. Der Sohn von Karen wird für eine Weile bei mir wohnen. Sie hofft, Ulla mit diesen Worten aus ihrer ichbezogenen Trübsal herauszureißen, doch Ulla hört nicht. Niks mustert Ullas Säulenkörper, das verschwindende Kinn, die wässrigen Beine, die sie unter weinroten Samthosen versteckt hält. Die frühere Ulla hatte fliegende, seidige Haare; sie ging mit drahtiger Anmut ihres Weges, und die dunklen Ringe unter ihren Augen schienen gewollt, als Spiegelung ihrer immerschwarzen Klamotten, die ihren Blick noch intensiver machte. Es ist anstrengend, einen Menschen lange zu kennen. Die Erinnerung verwandelt Ullas Anblick in ein Kippbild der Vergänglichkeit.
Was ist dein Problem?
Mein Problem? Ulla streicht sich sichtbar angewidert über ihre künstlichen, grauen Locken. Mein Sohn ist viel zu gutmütig. Das hat er von mir. Und jetzt kommt diese … diese …
Frau, sagt Niks.
Meinetwegen. Ich hatte ein anderes Schimpfwort im Sinn. Auf jeden Fall ist sie nicht in der Lage, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Sie hält sich