Der Engel an meiner Seite. David Frei
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Mein Herz war zu schwach, um eine weitere Operation zu überstehen. Daher musste ich lernen, mit dem Schmerz zu leben, während meine instabilen Herzattacken mich weiterhin quälten. Für mich fühlte sich jeder Anfall so an, als wäre mein Brustkorb in einen Schraubstock eingeklemmt. Auch wenn der Schmerz variierte, strahlte er oft von der Brust bis in die Schultern, Arme und den Hals hinauf. Es tat sogar so weh, dass ich nicht immer genau sagen konnte, wo es am meisten schmerzte.
Ich musste meine Arbeit liegen lassen und zur Rehabilitierung zu Hause bleiben. Zwei Monate nach der Operation begann ich mit dem Rehabilitationsprogramm. Zu Anfang der Reha befand ich mich in einem schlimmen Zustand: Ich musste mir die Namen meiner Enkel neu einprägen und sogar das Schreiben wieder lernen. Ich glaubte, mein Herz durch Sport stärken zu können, und war sicher, je härter ich trainieren würde, desto schneller würde ich mich erholen und wieder arbeiten können. Ich war sicher, mich selbst heilen zu können, und wusste, dass ein gelegentlicher Schmerz Fortschritte bedeutete, und so betrieb ich die Reha genauso intensiv, wie ich gearbeitet hatte. Doch nachdem die Angina pectoris mich ein paar Mal flachgelegt hatte, verbot mein Kardiologe mir sämtliche Reha-Aktivitäten.
Ich ging zu meinem Arzt und wollte von ihm wissen, warum er meinen Zustand nicht verbessern konnte. Schließlich musste ich ja wieder zur Arbeit zurück! Doch wie er mir mitteilte, war das nicht mehr das Hauptproblem. Mein Hauptproblem war jetzt die Frage, wie lange ich noch leben würde. Wie mein Kardiologe mir eröffnete, würde ich nicht mehr gesünder werden. Am besten wäre es für mich, weiterhin die Medikamente einzunehmen, die gegen die Angina pectoris halfen. Eine Operation kam für mich immer noch nicht in Frage, da mein Herz nicht stark genug war, eine solche Strapaze zu überleben. Ich ging zu anderen Ärzten und bekam überall dieselbe düstere Diagnose zu hören.
Die Realität war unerträglich. Ich würde nie mehr in meinen Job zurückkehren und auch nie mehr gesünder werden. Ich war nicht mehr der Brötchenverdiener und ich war auch kein toller Ehemann oder Vater. Ich fühlte mich absolut wertlos und für alle Probleme meiner Familie verantwortlich. Mir war elend zumute und ich stellte sicher, dass sich auch mein ganzes Umfeld schlecht fühlte. Vor allem der Mensch, den ich am meisten liebte - meine Frau Nancy -, bekam das zu spüren. Ich versuchte ständig, irgendeinen Streit mit ihr anzufangen, damit sie das Leben ja nicht mehr genießen könnte.
Warum sollte sie glücklich sein, wenn ich es nicht war?
Das war im August 1992. Damals war ich 54 Jahre alt und glaubte, mein Leben sei vorbei. Ich hing zu Hause herum und wartete auf meinen Tod. So vegetierte ich die nächsten Monate vor mich hin. Die Tage zogen sich in die Länge. Ich nahm Pillen zum Aufstehen, Pillen zum Wachbleiben und Pillen zum Schlafengehen. Ich hatte keine Hoffnung und kein Leben mehr. Jeden Tag fuhr ich Nancy die wenigen Straßenblocks ins Büro und holte sie zur Mittagszeit und nach der Arbeit ab. Auch wenn ich eigentlich nicht Auto fahren sollte, wollte ich doch wenigstens meine Verzweiflung mit ihr teilen.
Nach einem Jahr dröger Routine - warum sie es so lange aushielt, ist mir schleierhaft - beschlossen wir, dass wir etwas ändern mussten. Nancy kündigte ihre Stelle und wir zogen im April 1993 nach Katy, Texas. Wir redeten uns ein, dann unseren Kindern und Enkeln näher zu sein. Doch tief in meinem Inneren spürte ich, dass Nancy einfach von Zeit zu Zeit meiner düsteren Stimmung entfliehen wollte. Ein Vorteil war unser neuer Wohnsitz in einem Vorort von Houston, das uns die beste medizinische Versorgung des Landes bot. Wenn ich nicht gerade zu Hause hockte und unausstehlich war, verbrachte ich die meiste Zeit im Methodist Hospital in Houston. Und als wären meine Herzprobleme nicht schon schlimm genug, komplizierten Kreislaufprobleme und stressbedingte Angstzustände meine Situation noch mehr. Alles zusammen ließ Selbstmordgedanken in mir hochsteigen. Und deswegen ging ich zu einem Psychiater.
Als ich Dr. Attar sagte, dass ich keinen Hund mehr wollte, ignorierte sie mich einfach. Das tat sie meistens. Sie machte mich ständig wütend. Ein Teil der Wut war die Nebenwirkung meiner Medikamente, doch der größte Teil kam daher, weil ich ein wütender, frustrierter Alpha-Typ-Macho-Idiot war. Da Wut der einzige Schutzmechanismus war, den ich hatte, ließ ich sie bei der Psychiaterin oft heraus. Ich wusste, ich würde sowieso sterben - dagegen konnte Dr. Attar genauso wenig tun wie ich selber. Und es war mir egal. Im Gegenteil: Ich hatte vor, den Prozess ein bisschen zu beschleunigen. Wenn ich die Sicherheit gehabt hätte, dass Nancy nach meinem Tod genügend Geld für ihren Lebensunterhalt haben würde und die Lebensversicherungsgesellschaften keine dummen Fragen stellen würden, dann hätte ich mein Leben sofort beendet und sie von ihrer Last befreit.
Das wusste auch Dr. Attar. Ich war seit meiner Ankunft in Houston wegen Depressionen und Angstzuständen bei ihr in Therapie und sie hörte sich jede Woche meine Wut, Drohungen, Depressionen und Lügen an. Während der jetzigen Sitzung wollte ich aufstehen, doch sie ließ mich nicht.
»Bleiben Sie sitzen und hören Sie mir gut zu«, sagte Dr. Attar. »Dr. Young und ich sind beide der Meinung, dass Sie keine Fortschritte machen. Sie haben eine Wut auf die ganze Welt, und Sie lassen Ihre Wut an allen Leuten um Sie herum aus - vor allem an ihrer Frau«, schimpfte sie mit mir. »Sie müssen etwas tun, das Sie aus dem Haus lockt - etwas, wodurch Sie sich körperlich betätigen.«
Ich hatte immer gedacht, meine Psychiaterin sei dazu da, mich abzuregen statt aufzuregen.
Bei einem meiner ersten Termine bei meinem Kardiologen Dr. Young hatte ich eine schwere Angina-pectoris-Attacke in seiner Sprechstunde gehabt. Er hatte mich sofort ins Krankenhaus eingewiesen. Hinterher hatte ich ihm gesagt, dass ich mir wünschte, er hätte mich einfach sterben lassen. Ich konnte nicht begreifen, warum er seine Zeit mit mir verschwendete, während er einen anderen Patienten hätte retten können, der seiner Zeit und Mühe wert war.
Dr. Attar schien zu wissen, dass ich mich insgeheim so fühlte - trotz meiner aufrichtigen Bemühungen, ihr vorzugaukeln, es würde mir gut gehen.
»Mike, wir brauchen etwas, womit wir auch an Ihrer psychischen Heilung arbeiten können. Dr. Young und ich glauben, ein Therapiehund könnte die Lösung sein.«
»Warum kann ich dafür nicht einfach Abbey nehmen?«, fragte ich. Abbey war unser Golden Retriever.
»Ihre Frau hält Abbey für zu nervös. Sie brauchen einen ruhigeren Hund«, antwortete sie.
»Ich brauche gar keinen Hund«, widersprach ich. »Und mit Sicherheit brauche ich keinen Therapiehund, was immer das auch sein soll.«
Dr. Attar blieb beharrlich. »Sie brauchen eine Ablenkung. Sie haben zu viel Zeit und das gefällt mir gar nicht. Ich will nicht, dass Sie mir aufkündigen.«
»Ja logisch.« Ich hatte ihr längst aufgekündigt und sie wusste das. Sie wusste, dass jede Woche ihre letzte Chance bei mir sein konnte.
Ich hatte immer noch genügend Energie, ihr eine sarkastische Antwort zu verbraten: »Na toll, ich habe ja auch so viel, für das es sich zu leben lohnt, stimmt’s? Ich komm nicht mehr aus dem Bett raus und ich stehe 24 Stunden am Tag unter Drogen.«
Ich hatte mir schon genau überlegt, wie ich die Sache sauber beenden könnte. Ich hatte einen Flugschein und dachte daran, mir einen Flieger zu mieten und in den Sonnenuntergang zu fliegen. Auch hatte ich mir eine Pistole zugelegt. Und ich hatte zu Hause eine Menge Tabletten herumliegen. Wie ich wusste, brauchte ich bloß eine Handvoll meiner Antidepressiva zu schlucken oder auch einfach aufzuhören, die Herzpillen zu nehmen, die mich am Leben erhielten - beides würde das erwünschte Resultat bringen. Wofür lebte ich eigentlich noch? Meine Gesundheit war ruiniert, meine Medikamente brachten nichts, ich konnte nicht mehr arbeiten, ich war meiner Familie zur Last geworden, meine Ersparnisse schmolzen dahin, meine Ehe war durch den Stress ziemlich am Ende