Nox Arcanum. Asenath Mason
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Dennoch gibt es auch hier Hinweise, dass es eine Form des Linkshändigen Pfades gegeben hat. So stürmt im Lied Aegisdrecka eda Lokasenna der zweigesichtige Loki ein von Aegir für die Götter bereitetes Festmahl und provoziert jeden Gast mit vermeintlichen Schandtaten der Vergangenheit. Auch Odin, der oberste Göttervater, bleibt davon nicht verschont und nimmt von Loki folgende Schmähworte entgegen:
Du jedoch, sagt man, schlichest auf Samsö
Umer und klopftest, als Hexe verkleidet,
an den Hausthüren an. Du wandertest zu den Völkern
als Weissage-Bettel, als schlimmes Scheusal
nach meiner Schätzung.
Diese Worte deuten auf die altgermanische Seiðr-Magie hin, die in erster Linie von Frauen praktiziert und zur Zukunftsdeutung angewandt wurde. Seiðr stand in dem Ruf „unmännlich“ zu sein, was wir, in Anbetracht des ethischen Wertesystems der Germanen, durchaus gleichsetzen können mit dem, was in manchen Kulturen der Begriff „links“ ausdrückt. Zentral ist beim Seiðr der Verlust der Kontrolle über den Körper; ein ekstatischer Zustand wird angestrebt, in dem der Kontakt zur Anderswelt hergestellt wird. Die Sagas berichten von verschiedenen Seiðr-Seherinnen und auch ihre Verfolgung wird dort gut dokumentiert. Seiðfrauen und Seiðmänner schienen als kultische Söldner zu agieren, sie standen in dem Ruf, Hagel- und Schadenszauber zu verbreiten. Interessanterweise sind das die gleichen Vorwürfe, die man noch heute den Böns vorwirft und die ihr berühmtester Vertreter, der Yogi Milarepa, in seiner Jugend auch intensiv praktizierte. Ähnlich wie in den buddhistischen Strömungen, in denen sich zahlreiche schamanische Elemente aus der Vorzeit eingebunden haben, so mag auch der Seiðr eine Praxis sein, die vor dem Einfall der indoeuropäischen Asen gemeingültig war. Wir stoßen hier erneut auf das bekannte Prinzip: Der Seiðr gehört zu den Wanen, den Erdgöttern, den chthonischen Kräften, während es die Asen in den Himmel, nach Asgard, zieht. Auch hier lässt sich die Trennung vollziehen, wenn die beiden Kräfte in der Mythologie auch ihren Frieden miteinander schließen und sich gegenseitig achten und respektieren.
Ein oft genanntes Werkzeug auf dem Weg des Linkshändigen Pfades ist die Feuerschlangenmeditation: Kundalini-Yoga. Als Kundalini wird die Feuerschlange bezeichnet, die im Körper des Menschen schlummert und durch die nach ihr benannten Meditation erweckt werden soll: Sie ruht im Schoß und wenn sie sich durch die Kraft der tantrischen Übungen erhebt und durch die Chakren aufzusteigen beginnt, öffnet sie das dritte Auge. Die Symbolik der Schlange ist in diesem Zusammenhang ungemein interessant, ist sie doch ebenfalls im Christentum das Symbol für das Unreine und Böse (also für das „Linke“) schlechthin. Es ist daher nicht überraschend, dass viele buddhistische Strömungen das Konzept der Kundalini und auch Kundalini-Yoga ablehnen und es als gefährlich einstufen.
Im Buddhismus gibt es die Strömung des Bön-Po, die buddhistische Elemente mit weitaus älteren Praktiken und Ansichten der schamanischen Bön-Tradition vereint. Vertreter dieser Strömung bewegen sich abseits der gängigen religiösen Hierarchie und sind zumeist Einzelgänger, Eremiten und gemiedene Sonderlinge. Der moderne Buddhismus hüllt gern den Mantel des Schweigens über den Bön-Kult, er wird als Relikt einer alten und primitiven Zeit angesehen, ausgestattet mit Aberglaube und primitiven Ritualen. Dass sich dieses buddhistische Schamanentum jedoch durch die Jahrhunderte behaupten konnte, spricht für sich selbst. Eine Fundgrube für Informationen über den Bön-Kult stellt das umfangreiche literarische Vermächtnis der Alexandra David-Néel dar, die von zahlreichen Begegnungen mit Anhängern der alten schamanischen Tradition berichtet. Alexandra David-Néel (1868 - 1969) studierte in Paris Orientalistik und verbrachte mehr als drei Jahrzehnte ihres Lebens in Asien. Zumeist lebte sie in Tibet, studierte die buddhistischen Traditionen und verbrachte hier unter anderem ein Jahr in einer selbstgebauten Einsiedelei auf viertausend Metern Höhe. Sie wurde als erste Europäerin in den Stand eines Lamas berufen und verfasste eine Vielzahl von Büchern über ihr angesammeltes Wissen. In ihrem Buch „Liebeszauber und Schwarze Magie“ berichtet sie über eine Gruppe von Schwarzmagiern, die hinter buddhistischen Klostermauern am „ewigen Leben“ arbeiten und dabei auch nicht vor Menschenopfern zurückschrecken. Das Buch ist in Romanform geschrieben, doch betont David-Neel, dass die Informationen und Inhalte auf wahren Begebenheiten beruhen, die ihr verschiedene Eingeweihte des Bön-Kultes mitgeteilt haben. Beschrieben wird dort unter anderem ein Ritus, bei dem ein Elixier hergestellt werden soll, welches den Anhängern des Bön-Kultes ewiges Leben schenkt. Das Opfer wird lebend in eine Grube geworfen, die mit einer Steinplatte abgedeckt ist:
Eine Steinkonstruktion in Form eines großen viereckigen Tisches nahm fast die ganze Höhle ein und ließ nur einen sehr schmalen Gang ringsum. Die Deckplatte dieses Tisches war ganz aus Eisen und von mehreren großen Löchern durchbrochen. Es konnte ein kunstloser, dem Berggenius oder irgendeinem Dämon geweihter Altar sein. Der Bön führte verschiedene Gebärden aus. Er ließ sein Gewand fallen und erschien nackt; ein Skelett, wie sein Gesicht mit einer dünnen, über die Knochen gespannten Haut bedeckt. Von einem Felsvorsprung nahm er einen kleinen runden hohlen Löffel, der mit einem langen Stiel versehen war, tauchte diesen dann in eines der offenen Löcher der Tischplatte und schien etwas zu schöpfen. Er wiederholte dies mehrmals, indem er den Gehalt des Löffels jeweils über verschiedene Teile seines Körpers goss und ihn dann einrieb. Währenddessen hörte sein gedämpfter Singsang nicht auf. (…)
‚Dies ist der wahre Trank der Unsterblichkeit‘, brachte er lehrhaft hervor. ‚Die Lebenskraft junger und kräftiger Männer ist darin aufgelöst. Für jeden anderen als einen Eingeweihten ist dieser Trank tödlich; für den auf seine Aufnahme vorbereiteten Eingeweihten wird er zur Quelle unvergänglicher Kraft. Schätzt Euch glücklich, mein Sohn, dass Ihr zum Unterhalt dieser Quelle habt beitragen können, die die oberen Meister zu wahren Göttern machen wird.‘2
Der Bön-Meister spricht hier zu seinem Opfer unterhalb des Altars, der, in der Grube eingeschlossen, bei lebendigem Leibe zwischen den Überresten seiner Vorgänger verwest und aus dessen Verwesungsdämpfen der Unsterblichkeitstrunk gebraut wird.
Der eben zitierte Passus soll nun keineswegs als symptomatisch für Praktiken des linkshändigen Pfades stehen; er soll lediglich verdeutlichen, dass der Vama Marg eben nicht nur eine Philosophie der Autonomie und Individuation darstellt, sondern sich mitunter tatsächlich in jene Gefilde begibt, die wir als unethisch betrachten. Wir müssen uns dabei vor Augen halten, dass der eigentlich relevante Part der zitierten Passage die Bindung an die Erde und an das Fleisch ist, und nicht der Weg, den wohl auch die meisten der heutigen Bön-Schamanen als unethisch betrachten würden. Über die Ngagpas berichtet David-Néel folgendermaßen:
Die Ngagpas, die „Leute der geheimen Worte“, sind Zauberer. Sie haben das Erbe der Bön-Schamanen angetreten, die, ehe der Buddhismus nach Tibet kam, dort als Priester herrschten. Der von den Hindusendboten seit dem 8. Jahrhundert in Tibet gepredigte Buddhismus war bereits weit von der Lehre des Buddha entfernt; er hatte dem Tantrismus allerlei abergläubische Bräuche entlehnt. Diese waren den Grundlehren der tibetischen Bön-Schamanen so ähnlich, dass einer teilweisen Verschmelzung der neuen und der alten Religion keine unüberwindlichen Hindernisse im Weg standen. So kommt es denn, dass unter dem Namen Ngagpas richtige Schamanen zur lamaistischen Geistlichkeit gehören, wenn auch „uneigentlich“. Ihre Aufgabe ist der Verkehr mit den Geistern. Dieser dienen sie auf verschiedene Weise, die einen zu unabhängigen Gruppen zusammengeschlossen, die sich zu bestimmten Zeiten in eigenen Tempeln vereinigen, im Übrigen aber bei ihrer Familie leben (sie dürfen heiraten), andere stehen ganz für sich und üben die von einem Meister ihrer Sekte erlernten Zauberkünste zu ihrem eigenen Nutzen aus oder, häufiger, gegen Vergütung, wenn Leute ein durch Geister erzeugtes Unheil von sich ablenken oder einen Mitmenschen auf solchem Wege schädigen wollen. Es gibt jedoch noch eine dritte Art. Einige große lamaistische Klöster der Gelbmützensekte, wie Labrang, haben sich außerhalb der Mauern eine Gruppe Ngagpas angegliedert, die als Stellvertreter der Mönche den Verkehr mit den bösen Geistern aufrechterhalten.