Bonzentochter. Michaela Martin

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Bonzentochter - Michaela Martin

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Dafür war die Wohnung aber viel zu klein, also sind wir auf die Suche nach einer neuen, größeren Wohnung gegangen. Weil die meisten unserer Freunde im Münchner Norden oder Schwabing leben, suchten wir schwerpunktmäßig eine Wohnung in diesen Stadtbezirken. Wir hatten Glück. Eine kleine Annonce im Nordanzeiger klang vielversprechend. Die Zweizimmerwohnung in Freimann in einem Zweifamilienhaus in einer ruhigen Seitenstraße ist fast doppelt so groß wie unsere alte und wie für uns gemacht. Sie hatte nur den Nachteil, dass die Vermieter im Erdgeschoss des Hauses lebten, was für mich nach ständiger Kontrolle roch. Aus taktischen Gründen hatte ich der Vermieterin am Telefon nicht gebeichtet, dass wir ein unverheiratetes Studentenpaar mit kleiner Schwester waren. Konstellationen dieser Art waren in den siebziger Jahren bei Münchner Vermietern nicht sehr gefragt, was ich sogar verstehen kann. Dennoch lief alles ganz anders ab als gedacht.

      Unsere zukünftige Vermieterin, Frau Braun, begrüßte uns so herzlich, als hätte sie ihr Leben lang auf uns gewartet. Eine ungewöhnliche, offene Frau, die meine Vorurteile über die konservativen Münchner schon bei der ersten Begegnung über den Haufen warf. Offensichtlich hatte sie sofort Gefallen an meiner Schwester gefunden. Ein paar Wochen später gestand sie mir, dass sie Sylvie an ihre Tochter Marie erinnert. Nach einer halben Stunde waren wir uns über die Konditionen einig und vier Wochen später zogen wir in unser neues Heim. Seitdem leben wir zu dritt in unserem neuen Zuhause in München Freimann, zwei Haltestellen von der Studentenstadt entfernt.

      Bis heute läuft unser Zusammenleben besser als gedacht, Es ist alles eitle Harmonie, was ich uns nicht zugetraut hätte, wenn ich ehrlich bin. Sylvie hat ihr eigenes Zimmer, in dem sie tun und lassen kann, was sie will. Die Wohnung ist wunderbar hell und die Vermieter sind sehr nett.

      Jetzt hätte ich vor lauter Träumereien fast meine Haltestelle verpasst! Es ist wirklich nicht zu glauben, dass mich die Aussicht auf zwei Stunden Einsamkeit in der Badewanne mit Gesichtspackung, etwas Musik und Wein, so ins Träumen versetzen kann, dass ich das Aussteigen vergesse. Mit mir ist es wirklich weit gekommen. Meine Anforderungen an ein bisschen Glück sind mittlerweile sehr bescheiden. „Nächster Halt: Kieferngarten. Endstation!“ schallt es in gewohnt bayerisch-nasalem Dialekt aus dem U-Bahnlautsprecher, als ich aussteige.

      Drei Minuten später stehe ich vor unserer Gartentüre. Ich nehme die Post aus dem Briefkasten und klemme sie mir unter den Arm. Wie jeden Tag fängt danach die Suche nach dem Haustürschlüssel in meiner Handtasche an. Die Tasche ist schick und auch praktisch, weil sie sehr groß ist, nur findet man leider nichts in ihr. Ich wühle mit der rechten Hand in meiner Tasche, die ich mir über die Schulter gehängt habe, als mir die Hälfte meiner Post auf den Boden fällt.

      „So ein Mist!“, stöhne ich laut auf und suche hektisch nach meinem Haustürschlüssel. Ich bin kurz davor, den gesamten Tascheninhalt auf dem Boden auszuleeren, als meine Finger endlich die metallische Kühle meiner Schlüssel spüren. Inzwischen habe ich auch einen starken Druck auf meiner Blase. Ich weiß nicht, an was es liegt, aber sobald ich unser Toilettenfenster von außen sehe, muss ich ganz dringend. Es ist zwar albern, aber wahr: Immer, wenn ich auf unser Haus zugehe, bemühe ich mich mittlerweile geradezu zwanghaft, nicht zu unserer Wohnung hinaufzusehen, aus lauter Angst, dass mein Blick unser Badezimmerfenster streift, bevor ich meinen Schlüssel in der Hand halte. Es gibt nämlich nichts Unwürdigeres, als wenn man dringend auf die Toilette muss und deshalb mit verschränkten Beinen leicht zappelnd vor seiner verschlossenen Gartentüre steht, weil man minutenlang nach seinem Schlüssel sucht. Diese erniedrigende Situation habe ich in meinem Leben schon mehrfach durchlebt und werde deshalb fast panisch, wenn ich vor einer verschlossenen Haustüre stehe und sich meine Blase meldet.

      Als ich den Schlüssel endlich in der Hand habe, bücke ich mich, um die heruntergefallene Post aufzuheben. Ich will sie mir gerade wieder unter den linken Arm klemmen, als ein weißes DIN A4 Blatt zu Boden flattert.

      „Das gibt es doch nicht, jetzt langt‘s mir aber!“, fluche ich.

      Langsam werde ich hektisch, denn der Druck meiner Blase steigt beständig. Ich hebe das Blatt auf und registriere dabei, dass auf dem Blatt Papier schwarze Buchstaben aufgeklebt sind.

      „Ich hasse Werbung!“ Entnervt stöhne ich auf und unternehme gleichzeitig einen weiteren Versuch, die gesamte Post unter meinem linken Arm zu deponieren, damit ich endlich mit der rechten Hand die Haustüre aufsperren kann. Dieses Mal klappt es auch und kurz darauf stehe ich in unserer Wohnung. Ich werfe die Post auf den Küchentisch, die Tasche auf den Stuhl und renne ins Bad. Gerettet, in letzter Sekunde.

      Der Griff zum Wasserhahn der Badewanne ist mühelos von der Toilette aus zu erreichen. Mechanisch lasse ich Wasser in die Badewanne ein. Als mir der Geruch des Badesalzes in die Nase steigt, ist der Ärger verflogen. Jetzt kommt der gemütliche Teil des Tages, daran kann mich nichts und keiner mehr hindern.

      Bevor ich in mein Dampfbad steige, höre ich gewohnheitsmäßig den Anrufbeantworter ab. Klaus hat angerufen. Er informiert mich darüber, dass er in seiner Mittagspause Lebensmittel eingekauft hat, damit ist unsere Versorgung für das Wochenende gerettet. Erleichtert denke ich seit Langem wieder einmal: „Er ist der Beste!“

      Klaus und ich haben uns vor fünf Jahren an der Uni kennengelernt. Am Tag der Einschreibung standen wir nebeneinander in einer Menschenschlange. Hunderte von Studenten vor uns, die alle dasselbe wollten: den Immatrikulations-Stempel. In Anbetracht der Länge der Schlange konnte es leicht Stunden dauern, bis ich an die Reihe kommen sollte.

      Da ich keine Lust hatte, die Zeit stumm zu verbringen, riskierte erst einmal einen Blick zu meinen direkten Nachbarn auf meiner rechten Seite.

      „Leute gucken“ gehört zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, damit kann ich Stunden verbringen. Ich schaue mir die Menschen an und male mir aus, was es für Typen sind, welches Leben sie wohl führen.

      Der Kollege rechts neben mir war von der Sorte: „Herr Lehrer, Herr Lehrer, ich weiß was!“ Ich schätzte, dass er das Abitur über den zweiten, vielleicht sogar dritten Bildungsweg gemacht hatte. Später sollte sich herausstellen, dass ich mit meiner Einschätzung Recht gehabt hatte. Der Knabe studierte Jura und hatte die gleichen Kurse wie ich belegt. Manfred war sein Name. Er war deutlich älter als die anderen Studenten, ich schätzte, dass er schon an der 30 knabberte. Er hatte leider so gar nichts von einem flotten Studenten. Hätte ich ihn in der U-Bahn das erste Mal getroffen, hätte ich ihn in die Kategorie Bankangestellter, Versicherungsfachmann oder Siemens-Mitarbeiter, mittlere Laufbahn, eingeordnet. Er hatte eine Glatze, einen kleinen Bauchansatz, trug Cordhose und Sandalen mit Socken.

      Ich gestehe freimütig, dass ich ein Mensch bin, der seine Vorurteile hütet wie einen Augapfel. Manche Enttäuschung bleibt mir dadurch erspart. Beweisen kann ich es natürlich nicht, aber mit meinen Vorurteilen liege ich nur selten daneben. Bereits mehrfach bestätigt wurde mein Vorurteil, wonach Männer in Cordhosen, Socken und Sandalen schreckliche Spießer oder Muttersöhnchen sind, darauf gehe ich inzwischen jede Wette ein. Manfred gehörte zur letzten Sorte. In den Jahren unseres gemeinsamen Studiums hatte ich ihn zigmal mit Frau Mama und Dackel zur Uni kommen sehen. Selbst zur Prüfung hatte ihn die Mama begleitet und gewartet, bis der liebe Bub in den Gemäuern des Justizpalasts verschwand.

      Mein Nachbar zur Linken war zwar auch kein Robert Redford, aber doch deutlich attraktiver. Dunkelhaarig, schlank, 186 cm groß und Brillenträger. Zugegeben, die Brille war scheußlich, aber das konnte man leicht korrigieren. Gegen Bauchansatz und Glatze ist Frau hingegen machtlos. Klaus sah auf jeden Fall wie einer aus, der auch ohne Anleitung seiner Mutter den Hörsaal findet. Ich beschloss, ihn anzureden. Es sollte keine plumpe Anmache sein, deshalb suchte ich einen intelligenten Vorwand.

      Ich zog meine Immatrikulationspapiere aus der Tasche und einen Kugelschreiber und sprach ihn mit meinem liebenswertesten Lächeln an: „Kannst du mir sagen, wie die Uni hier heißt?“

      Seine Antwort verblüffte mehr, als dass

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