Bonzentochter. Michaela Martin
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Klaus allerdings hat eine ganz besondere Eigenschaft, die in unserer Familie nicht besonders ausgeprägt ist. Er kann gut zuhören und er quatscht nicht dazwischen, wenn sich andere Leute unterhalten, sondern wartet, bis man ihn aufmunternd anschaut. Allein wegen dieser Eigenschaft hätten ihn meine Eltern eigentlich lieben müssen. Ich vermute jedoch, dass sie ihm diese Rücksichtnahme als Schwäche auslegten. Tatsache ist, dass Klaus im Kreis unserer Familie deutlich weniger Gesprächsanteile hat als alle anderen Familienmitglieder. Wenn er allerdings zu Wort kommt, dann verschafft er sich auch Gehör. Er redet nur, wenn er gefragt wird oder wenn er etwas von „Bedeutung“ zu sagen hat. Meist sitzt er schweigend in unserer Runde, was meine Mutter zu der Bewertung veranlasste: „Der arme Klaus!“
Ich kann es schon nicht mehr hören, immer heißt es: „Der arme Klaus, kommt bei dir nicht zu Wort!“ Der arme Klaus muss waschen, kochen, putzen, der arme Klaus dieses und der arme Klaus jenes. Ich komme mir schon vor wie eine Xanthippe. Schließlich kann ich ja nichts dafür, dass der Mann den Mund nicht aufbringt, von mir aus kann er reden, so viel er will. Ich bin mir fast sicher, dass meine Mutter inzwischen die Vorteile von Klaus zu schätzen weiß. Wahrscheinlich ist sie sogar der Meinung, dass Klaus eine nettere, liebenswürdigere Frau verdient hätte als ihre älteste Tochter, aber sie nimmt ihn nach wie vor nicht ganz für voll. Klaus ist einfach zu nett, um von meiner Familie hoch geschätzt zu werden.
Ich nehme mir fest vor, Klaus heute Abend besonders liebevoll zu begrüßen, auch dann, wenn er mit zig Einkaufstüten vor mir steht. Auf keinen Fall darf ich heute meckern, selbst dann, wenn er wieder einmal die ganze Lebensmittelabteilung des Kaufhofes am Marienplatz aufgekauft hat und ich heute schon weiß, dass wir einiges davon spätestens am Mittwoch wegschmeißen müssen, weil wir es gar nicht alles aufessen können.
Klaus gehört zu der ungewöhnlichen Sorte Mensch, die mit ständig wachsender Begeisterung durch die Lebensmittelabteilungen sämtlicher Einkaufshäuser Münchens geht. Dabei besteht immer die Gefahr, dass er einem wahren Kaufrausch erliegt. Er scheint geradezu magisch angezogen von den Delikatessen der Frischwarenabteilungen seiner bevorzugten Lebensmittelhändler. Egal ob Fleisch, Fisch, Käse, Obst oder Gemüse, Klaus hat an allem seine Freude. Geradezu glücklich ist er, wenn ihm kleine Kostproben angeboten werden. Er nimmt sich gerne die Zeit und so kann er Stunden in der Lebensmittelabteilung zubringen. Was Lebensmittel angeht, verhält sich Klaus total atypisch zu seinem sonstigen Charakter, denn in allen anderen Lebenslagen neigt er zu großer Sparsamkeit, um das Wort Geiz zu vermeiden.
Ich dagegen werde bei Lebensmitteleinkäufen von der reinen Vernunft geleitet. Zielstrebig gehe ich von Regal zu Regal und kaufe die Sachen, die mir aufgetragen wurden oder von denen ich weiß, dass sie aufgefüllt werden müssen, weil es unter der Würde meiner Mitbewohner ist, an so profane Dinge wie Klopapier, Wasch- und Putzmittel oder die immer wieder gerne vergessene Zahnpasta zu denken. Ich bin der Gegenbeweis für die Regel, dass jeder, der gerne isst, auch gerne kocht. Tatsache ist, dass meine fehlende Begeisterung für zeitintensive Besuche in den Lebensmittelabteilungen der Münchner Kaufhäuser oder auch Tante-Emma-Läden eher daher rührt, dass ich keine Ahnung vom Kochen habe. Dank der Kochbegeisterung meiner Mitbewohner kann ich mich bisher auch immer erfolgreich ums Kochen drücken, obwohl ich leidenschaftlich gerne esse.
Meine Eltern kochen sehr gut, besonders mein Vater kocht hervorragend und auch sehr gerne. Bei meiner Mutter hält sich die Begeisterung fürs Kochen wie bei mir in Grenzen. Wer sieben Tage in der Woche für fünf Leute kochen muss und für seine Arbeit nur selten Komplimente erhält, der verliert schon einmal die Lust am Kochen. Mein Vater bereitet immer noch mit Begeisterung das Essen zu, bevorzugt natürlich an den Wochenenden. Eigentlich gilt im Hause der Familie Schneider die klassische Rollenverteilung der Nachkriegsjahre. Mit Ausnahme der Essenszubereitung. Beim Kochen übernahm Vater sehr schnell die Vorherrschaft in der Küche. Der Grund dafür lag in einem kleinen Missgeschick unserer Mutter gleich zu Beginn der Ehe: Vater liebte Kalbsleber mit Zwiebeln und Kartoffelpüree. Mutters Versuch, ihrem frisch angetrauten Ehemann das Lieblingsgericht zu bereiten, ging gründlich schief. Die Leber war schwarz wie die Nacht und schmeckte nach Schuhsohlen. Behauptet jedenfalls Vater, Mutter verweist auf den Hang zu Übertreibungen ihres Mannes, wenn diese Geschichte zum wiederholten Male die Runde macht.
Fakt ist, seitdem ich denken kann, ist Vater für alle Fleisch- und Fischgerichte zuständig. Mutter für den Rest, inklusive der Beseitigung aller Schmutzspuren, die ihr Ehemann bei der Zubereitung seiner Gerichte hinterlässt. Vaters üppiger Gebrauch von unzähligen Töpfen, Schüsseln und sonstigen Küchenutensilien führt bei unseren Eltern regelmäßig zu Streit. Selbst seitdem die Spülmaschine in den Haushalt meiner Eltern eingezogen ist, kommt es zu hitzigen Wortgefechten über die Frage der Notwendigkeit, bei der Zubereitung eines einzigen Fleischgerichtes alle Pfannen und Töpfe nutzen zu müssen, die der Haushalt bereit hält. Die Kapazitäten der Spülmaschine reichen nie aus, wenn Vater für seinen Fünfpersonenhaushalt aufkocht. Es bleiben immer Töpfe, Pfannen und viel Geschirr übrig, die Mutter nach den Mahlzeiten mit der Hand abwaschen muss. Leider bleiben auch wir Kinder von der lästigen Reinigungsarbeit nicht verschont. Nach dem Motto „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ verdonnert uns Mutter regelmäßig zu Aufräumarbeiten in der Küche.
Vaters Leidenschaft für das Kochen hat sich inzwischen bei allen Verwandten und Freunden der Familie herumgesprochen. Jeder, der in den Genuss seiner Kochkünste kommt, lobt ihn überschwänglich. Völlig zu Recht, wie ich meine. Egal, ob vom Rind oder Schwein, seine Fleischgerichte sind zart und rosa, au Point, wie der Meister zu sagen pflegt. Bei seinen Geflügelgerichten ist die Haut kross und das Fleisch saftig und die Krönung von allem sind seine Wildgerichte, die er an besonderen Feiertagen serviert. Die Beilagen unserer Mutter krönen jeden Gang. Beide zusammen sind ein perfektes Team in der Küche, wenn da nur nicht immer der Streit um die lästigen Aufräumarbeiten wäre. Vater weigert sich beharrlich und bis heute auch erfolgreich, sich an diesen, wie er meint, klassischen Frauenarbeiten zu beteiligen. Aber immerhin ist mein Vater in unserem Verwandten- und Bekanntenkreis der einzige Mann seiner Generation, der sich überhaupt in der Küche blicken lässt.
Vater ist der Exot unter seinen Geschlechtsgenossen. Kochen ist in deren Augen Weiberkram. In den 60er und 70er Jahren interessiert sich ein richtiger Mann für Fußball, Boxen und wenn er ein Weichei ist, vielleicht noch fürs Eiskunstlaufen, spätestens seitdem Marika Kilius und Hans Jürgen Bäumler die Eiskunstlaufszene eroberten. Die Frauen beneiden meine Mutter wegen der Kochbegeisterung ihres Mannes und himmeln meinen gutaussehenden Vater noch mehr an. Mutter trägt es mit Fassung. Allerdings erlaubt sie sich gelegentlich, auf die Verwüstungen in ihrer Küche hinzuweisen. Aber auch diese Einblicke trüben die Begeisterung der Gäste nicht, warum auch, schließlich müssen sie ja nicht aufräumen. Vater ist als Gastgeber der ungekrönte König und er genießt es sehr, von seinen Gästen die Bewunderung zu erhalten, die ihm seine Familienmitglieder wegen ein paar schmutziger Töpfe und Pfannen häufig verweigern.
Damit es mir nicht genauso geht wie meiner Mutter, habe ich die gesamte Kocharbeit meinem Lebensgefährten Klaus überlassen und freiwillig die leidigen Aufräumarbeiten danach übernommen. Ich denke, die Aufteilung ist gerecht, Klaus kocht gerne und auch gut. Allerdings braucht er deutlich mehr Zeit fürs Einkaufen und Kochen, als ich für das Aufräumen danach. Dafür macht ihm die Arbeit Spaß, während ich still vor mich hin leide.
Seit Sylvie bei uns wohnt, hat Klaus Gesellschaft in der Küche. Sylvie hat offensichtlich das Kochinteresse von ihrem Vater geerbt. Für mich ein Grund mehr, der Küche fernzubleiben, denn zu dritt haben wir in ihr einfach keinen Platz.
Seit wir eine Spülmaschine unser