Bonzentochter. Michaela Martin

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Bonzentochter - Michaela Martin

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muss und ich gestehen muss, dass ich ihn nicht weiß.“

      Erst als ich die Begründung für meine Frage lieferte, fiel mir selber auf, wie peinlich sie war.

      Der Mann an meiner Seite ließ sich jedoch nicht anmerken, ob er mich gleich unter der Rubrik „Frau, blond und doof“ einordnete, denn er antworte ganz freundlich: „Ach so, natürlich. Das ist hier die Ludwig-Maximilians-Universität.“

      Nach einer kleinen Pause fügte er zur Sicherheit hinzu:

      „Von München.“

      Er war offensichtlich der Meinung, dass jemand, der den Namen der Uni nicht wusste, auf der er beabsichtigte, die nächsten fünf Jahre zu verbringen, möglicherweise auch den Namen des Ortes nicht wusste, an dem er sich gerade befand. Egal für wie blöd er mich hielt, es hielt ihn nicht davon ab, mit mir eine sehr anregende Unterhaltung zu beginnen.

      Nach fast zwei Stunden hatte ich einiges von ihm erfahren. Er war 22 Jahre alt, kam aus der schönen Pfalz und war zwei Wochen zuvor aus der Bundeswehr entlassen worden, wo er die letzten zwei Jahre als Zeitsoldat verbracht hatte.

      Die Bundeswehrzeit brachte ihm bei mir gleich Minuspunkte ein. Als überzeugte Pazifistin war ich grundsätzlich gegen die Bundeswehr und ganz besonders gegen ihre Soldaten. Ein weiteres von mir gepflegtes Vorurteil war: „Soldaten sind alles fremdbestimmte Befehlsempfänger und Säufer und deshalb blöd.“ Gekannt hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt keinen Soldaten persönlich. Deshalb ja auch das Bekenntnis zu einem Vorurteil.

      Klaus schien meine unausgesprochene Abneigung gegen die Bundeswehr zu spüren, denn er sah sich unaufgefordert veranlasst, mir den Grund für seine zwei freiwilligen Jahre beim Bund zu erläutern. Er war der Jüngste von fünf Geschwistern, sein Vater war selbstständiger Sattlermeister gewesen, inzwischen aber schon in Rente, seine Mutter eine gute katholische Hausfrau. Das Geld war immer knapp im Hause Koch. Klaus beabsichtigte, Betriebswirtschaft zu studieren und brauchte etwas Geld. Während der zwei Jahre beim Bund konnte er gut für sein Studium sparen. Zeitsoldaten verdienten nämlich deutlich mehr als die normalen Wehrdienstleistenden, die nur sechs Monate weniger für das Vaterland im Einsatz waren, aber deutlich weniger Sold erhielten.

      Sein Lebenslauf und seine familiäre Situation erklärten mir zwar seine Entscheidung, gutheißen konnte ich diese trotzdem nicht. Dennoch fand ich, meinem Vorurteil zum Trotz, Klaus gleich sympathisch, wenn ich mich auch nicht gleich in ihn verliebte.

      Klaus gestand mir ein paar Wochen später, dass es bei ihm Liebe auf den ersten Blick gewesen war, wovon ich selbst aber nichts merkte. Das mag daran gelegen haben, dass ich, zumindest noch mit halbem Herzen an meinem Freund Jürgen hing, der allerdings im fernen Marburg studieren wollte. Die Beziehung zu Jürgen dauerte schon fast zwei Jahre und hielt überhaupt nur deshalb so lange, weil wir ständig getrennt waren. Ich lebte bis zum Abitur in der Nähe von Frankfurt, er in Marburg. Jürgen und ich passten einfach nicht zusammen, das wussten alle anderen von Anfang an und wir beide ahnten es inzwischen auch. Nach dem Abitur war uns jedenfalls klar geworden: Keiner liebte den anderen so sehr, als dass er auf seinen Lieblingsstudienort verzichtet hätte. Meiner war München, was jeder verstehen konnte, und seiner eben Marburg, warum auch immer. Heute weiß ich, der Grund hieß Gesine und wurde 18 Monate später seine erste Ehefrau. So weit waren wir aber im Oktober 1972 noch nicht und deshalb tat sich Klaus erst einmal schwer mit mir, obwohl er sich von Anfang an sehr anstrengte.

      Nachdem wir unsere vollständigen Immatrikulationsunterlagen persönlich bei der zuständigen Verwaltungsstelle eingereicht hatten, beschlossen wir, zur Belohnung erst einen Kaffee trinken und danach ins Kino zu gehen. Es war „Der Diktator“ von Charly Chaplin. Der Film ist heute noch Kult und gefiel uns beiden sehr. Wir stellten eine erste Gemeinsamkeit fest, unsere Begeisterung für Kino. Am späten Nachmittag trennten wir uns mit den Worten: „Man sieht sich!“

      Zugegeben eine sehr optimistische Form der Verabredung in Anbetracht der Tatsache, dass München rund eine Millionen Einwohner hat und circa 20.000 davon Studenten sind. Aber es stellte sich sehr bald heraus, dass Klaus nicht umsonst bei der Bundeswehr gewesen war, denn er ging in der darauffolgenden Woche generalstabsmäßig vor. Ich hatte ihm erzählt, dass ich im Münchner Osten zur Untermiete wohnte und deshalb immer mit der Straßenbahn der Linie 4 und der U-Bahn zur Uni fuhr. Also was tat mein Bundeswehr geschulter neuer Verehrer Klaus? Er informierte sich darüber, wann die Grundkurse für Juristen stattfanden und stellte sich dann an die Straßenbahnhaltestelle Perusastraße und wartete auf mich. Am dritten Tag hatte er Erfolg. Er stand schon an der Haltestelle, als ich kam und strahlte mir entgegen. Ich freute mich auch, ihn so unerwartet und bald wiederzusehen, denn ich kannte noch nicht so viele Menschen in München, mit denen ich mich so anregend unterhalten konnte wie mit Klaus. Leider hatte Klaus an diesem Tag viel Pech gehabt. Er hatte seinen Haustürschlüssel am Morgen zu Hause liegen lassen und konnte deshalb nicht in seine Studentenbude, bis sein Vermieter von der Arbeit nach Hause kam. Das konnte aber noch leicht zwei bis drei Stunden dauern. Es regnete fürchterlich und wir waren beide trotz Schirm schon ziemlich durchnässt. Deshalb schlug ich ihm spontan vor, mit zu mir nach Hause zu kommen: „Ich koche uns einen Tee oder Kaffee und wir quatschen einfach. Wir kriegen die Zeit schon rum, bis dein Vermieter nach Hause kommt.“

      Klaus war sichtlich dankbar über meinen Vorschlag, denn er sagte sofort zu, wenn auch unter dem kleinen Vorbehalt: „Aber du musst mir versprechen, dass ich nächste Woche einmal für dich kochen darf, als kleines Dankeschön dafür, dass du mir heute Asyl gewährst.“

      Klaus hatte instinktiv meinen schwächsten Punkt getroffen, nämlich meine große Leidenschaft für gutes Essen. Meine beiden Eltern konnten sehr gut kochen, ich hingegen leider nicht. Das Essen in der Mensa war ungenießbar und das in den Münchner-Kneipen unbezahlbar. Deshalb litt ich unter einer starken Unterversorgung an warmen Mahlzeiten, seitdem ich in München lebte. Ich war für jedes Angebot, das diesen leidigen Zustand unterbrach, sehr dankbar.

      Erstaunlicherweise bin ich nie auf die Idee gekommen, Klaus zu fragen, warum er an diesem Tag an der Haltestelle Perusa-straße der Linie 4 stand. Er fuhr nämlich immer mit der S-Bahn in eine ganz andere Richtung und das wusste ich auch. Als er mich viele Wochen und warme Mahlzeiten später über seine Strategie aufklärte, war ich sehr gerührt, vor allem aber sehr geschmeichelt über so viel Einsatz. Zu diesem Zeitpunkt gehörte Jürgen endgültig der Vergangenheit an, sodass ich mich auch gefühlsmäßig einem neuen Mann zuwenden konnte. Seit über fünf Jahren sind wir jetzt ein Paar, seit drei Jahren leben wir zusammen und seit einem Jahr zu dritt mit meiner kleinen Schwester Sylvie.

      Als ich Klaus meinen Eltern vorstellte, sah ich ihren Mienen sofort an, dass sie von ihm alles andere als begeistert waren. Als geübte Tochter bemerkte ich es an den Blicken, die sie sich gegenseitig zuwarfen. Dabei gab es an Klaus auf den ersten Blick überhaupt nichts auszusetzen. Gegenüber meinen Verflossenen hatte er einen sichtbaren Vorteil, er war nämlich deutlich größer als ich, mit 1,86 m überragte er mich um fast zehn Zentimeter. Er hatte keine Glatze, keinen Bauch und er kaute nicht an den Fingernägeln, die dazu noch sauber waren. Dreckige, abgefressene Fingernägel sind bei meinen Eltern ein K.o.-Kriterium. Klaus konnte perfekt mit Messer und Gabel essen, was insbesondere für meinen Vater besonders wichtig war, schließlich hatte er seinen Töchtern schon mit knapp fünf Jahren beigebracht, wie man Hähnchen mit Messer und Gabel zerteilt und isst. Ich denke heute noch mit Grauen an die vielen Übungsstunden in unserer Lieblingskneipe im Dorf. Einmal in der Woche ging es zum Hähnchenessen in unsere Dorfkneipe „Zur glücklichen Henne“. Wenn unser Vater uns in die Anatomie des deutschen Huhns einweihte und uns freundlich zum Zerlegen des knusprigen Hähnchens mit Messer und Gabel aufforderte, hielt unsere Mutter jedes Mal den Atem an. Es dauerte nicht lange und eine ihrer drei Töchter stellte die Frage nach dem „Warum“: „Warum müssen nur wir das Hähnchen mit Messer und Gabel essen? Alle anderen Menschen um uns herum essen es doch auch einfach mit den Fingern!“ Unser Vater antwortete über Jahrzehnte, so lange dauerte es nämlich, bis auch die Jüngste

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