Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet. Holger Dr. phil. Wohlfahrt
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Im Sinne ihrer Funktionsfähigkeit, sollte zwischen den Angehörigen eines Nationalstaates idealerweise eine nahezu familiäre Verbundenheit herrschen. Die Etablierung einer gemeinsamen Sprache innerhalb der jeweiligen Staatsgebiete wurde forciert. In Mythen wurden gemeinsame Ursprünge und besondere Eigenarten des Volkes betont. Die klare Abgrenzung zu anderen Völkern stärkte das innere Zusammengehörigkeitsgefühl. Völkische Bewegungen entstanden.
Die Transzendenz der religiösen Sinnangebote konnten völkische Ideen zwar meist nicht mehr bieten. Dennoch war ihre Wirkung immens – und zeitigte katastrophale Folgen. Bekanntlich ist es noch nicht lange her, dass Menschen auch und gerade in Deutschland „für Volk und Vaterland“ begeistert in Kriege zogen, fröhlich dem grausamen Tod entgegen. Ihr Tun erschien ihnen zutiefst sinnhaft. Es übersteigerte das eigene Ich. Man zog schließlich nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Familie, die Freunde, die Nachbarn, letztlich für das ganze gegenwärtige und zukünftige Volk in die Schlacht. Das sinnstiftende und dabei glücksspendende Gefühl tiefer Eingebundenheit wurde in ein erschreckendes Extrem getrieben und sollte schließlich zum gewichtigen Grund für Krieg und Terror werden.
Glücklicherweise wurden zunächst viele richtigen Lehren aus den Tragödien der Weltkriege gezogen. Die einzelnen Staaten wurden in große internationale Organisationen und Institutionen eingebunden. Eine größere, wechselseitige Abhängigkeit in Form von politischer und vor allem wirtschaftlicher Verzahnung wurde geschaffen und künstlich verstärkt. Freiwillige Abgrenzungen zu anderen Nationen erschienen angesichts dessen nicht mehr attraktiv.
Was den zwischenstaatlichen Frieden stärkte, konnte dem Einzelnen in seiner Abstraktion und Künstlichkeit jedoch kein umfassendes Sinn-Angebot mehr sein. Auch deshalb klammern sich Menschen in jüngster Zeit weltweit wieder an die sinnstiftenden Angebote einzelner Demagogen, die überkommene völkische Ideen aufgreifen und damit ganz wesentlich innere Leere und Empfindungen tiefer Sinnlosigkeit zu füllen versprechen.
Die wohl tief im Menschen verankerten Bereitschaft, das eigene, begrenzte Leben zu überschreiten und in einem größeren Ganzen oder wenigstens einer großen Gemeinschaft aufzugehen, kann also in dem Moment, in dem es dem Einzelnen tatsächlich das Gefühl des Eingebunden- und Verwoben-Seins, des tieferen Sinns und damit auch eines grundlegenden Glücksempfindens bereitet, zur Gefahr für die Spezies Mensch als solche werden.
Tatsächlich birgt auch das dritte (nach Religion und Nation), gegenwärtig am stärksten etablierte Sinnmodell große Probleme. Wieder geht es um das etablierte Arbeitswesen der westlichen Welt!
Das menschliche Bedürfnis, sich in eine große, über das eigene Ich hinausgehende Sache einzufügen und damit tragende Sinn-Zusammenhänge zu kreieren, haben sich heute in weiten Teilen der Welt nämlich längst die globalen Eliten der Wirtschaft zunutze gemacht. Inzwischen ist das Modell der sogenannten amerikanischen Firmenkultur, die stark von psychologischen Erkenntnissen geleitet wird, zum Standard geworden.
So wird Angestellten in heutigen Unternehmen in der Regel vermittelt, dass sie sich im Grunde genommen nicht nur für eine Firma, sondern für eine große Sache engagieren. Gerne wird auf Hilfsprojekte des jeweiligen Unternehmens verwiesen. Kaum eine Firma von Rang verzichtet darauf, mehr oder weniger förderliche Hilfsprogramme im Sozialen, im Bildungswesen oder der Welthungerhilfe zu initiieren oder wenigstens zu unterstützen.
Vor allem wird aber mit verschiedensten Maßnahmen ein gesteigertes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Firma zu erzeugen versucht. Man nutzt gemeinsam das interne Fitness-Studio, tritt in Firmenmeisterschaften im Fußball gegeneinander an oder unternimmt Tandem-Fallschirmsprünge. Letztlich geht es bei all dem darum, einen möglichst extremen Team-Charakter zu bilden, in dem der Einzelne schließlich aufgehen soll. Er soll dahin kommen, sein eigenes Selbst bereitwillig der Gemeinschaft des Unternehmens und dessen Erfolgs unterzuordnen. Das Bedürfnis nach glückstreibender Sinnhaftigkeit bringt heute tatsächlich viele Menschen in der hochentwickelten, satten Welt dazu, sich für sonderbarste Firmenmodelle zu prostituieren und somit zumindest kurzzeitig einen Moment der Sinnhaftigkeit zu erfahren.
Das Sinn-Angebot moderner Firmen ist zweifelsohne harmlos im Vergleich zu dem, was einst Kirche und Nation anboten. Der angemessene Einsatz für den Glauben oder das Vaterland musste schließlich auch die Bereitschaft beinhalten, für beides zu sterben. Die Sinn-Angebote moderner Firmen können demgegenüber noch so ausgefeilt sein – sie sind meist doch zu mickrig, als dass man sein Leben für sie aufs Spiel setzen wollte.5
Ungefährlich ist allerdings auch ihr Modell nicht. Es wurde bereits thematisiert, dass der Sinn im sinnlosen Wirtschaften darin besteht, stetig mehr zu produzieren, um mehr konsumieren zu können. Der Mensch bleibt somit in einem künstlichen Rahmen aktiv und bekommt von außen klare Aufgaben und Strukturen vermittelt. Indem nun immer mehr Menschen sich immer ausgefalleneren Berufsmodellen unterordnen und dabei die überlebenswichtigen Ressourcen der Erde dazu benutzen, immer unnützere Dinge zu produzieren und zu vermarkten, um dann noch unnützere Dinge konsumieren zu können, werden, wie schon beschrieben, eben jene Ressourcen merklich weniger. Auch das pure Überleben könnte angesichts des aktuellen Wirtschaftsmodells und den damit einhergehenden Langzeitfolgen selbst in den globalen Zentren mittelfristig wieder zunehmend unsicher werden.
Alternativen zu dem gegenwärtigen Wirtschaftsmodell müssen und werden daher früher oder später gefunden werden. Einen ersten Schritt hin zu derartigen Alternativen stellt bereits die stärkere Bewusstwerdung der menschlichen psychologischen Konstitution mit ihrem Bedürfnis nach Sinn dar. Indem die einzelnen Motivationen für das überwiegend sinnlose Produzieren und Vermarkten von Überfluss erkannt und demaskiert werden, fällt es leichter, sich davon zu verabschieden und nach neuen Modellen zu suchen.
Neurobiologisch kann dieses Bedürfnis mit dem Glückshormon Oxytocin begründet werden.6 Das Oxytocin bedingt Glücksgefühle, die in einem vertrauensvollen Beisammensein mit anderen Menschen aufkommen. Nicht nur bei konkreten körperlichen Berührungen, sondern auch bei dem Gefühl, sich in einem vertrauten, wohlgesonnenen Umfeld zu befinden oder sich eben eingebettet in einen größeren Zusammenhang zu wissen, wird Oxytocin ausgeschüttet. Die wahrhafte und tief empfundene Verbindung mit der Umgebung bewirkt durch die körpereigene Oxytocinproduktion daher immer Wohlgefühle. Diese sind vielfältig und daher besonders intensiv. So wirkt Oxytocin auch beruhigend und angstmildernd. Der unbewusste Wunsch, die Wirkung des Hormons zu spüren, ist daher groß.
Aus evolutionärer Perspektive ist das Streben nach Zusammenhang und Eingebundenheit damit zu begründen, dass isolierte und ausgestoßene Individuen in einem Urzustand nicht lange überleben konnten. Sie konnten ohne die Einbindung in das vertraute Netzwerk ihrer unmittelbaren Umgebung auf lange Sicht weder genug Nahrung finden, noch sich vor Raubtieren schützen. An Fortpflanzung und die Weitergabe der eigenen Gene war in einem Zustand der Isolation sowieso nicht zu denken.
Vor diesem Hintergrund könnten selbst abstrakte Ideen, wie etwa ein gemeinsam gelebter Glaube, auch als Instrument des Überlebens betrachtet werden. Die verbindende Wirkung einer gemeinsamen Idee würde demnach die Zusammenfindung zu einer Gemeinschaft forciert haben. Der evolutionäre Überlebenskampf ließ sich in Gemeinschaft schließlich besser bestreiten.
Versuche, das menschliche Bedürfnis nach dem Eingebunden-Sein schlichtweg zu negieren, sind daher stets gescheitert. So wollten beispielsweise die Dadaisten in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vergeblich den Unsinn als Waffe gegen zu tiefes Sinn-Streben in Stellung bringen. Ihr Versuch sorgte zwar für einiges