Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet. Holger Dr. phil. Wohlfahrt
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Genau dieses Herausspüren eines Sinns ist jedoch etwas, das in jeder Lebensphase seinerseits sinnstiftend und damit tragend sein kann. Es ist nie zu spät, sich auf die Suche zu machen. Diese kann in einer intensiven, nie enden wollenden Reflexion über sich und die umgebende Welt münden, die beispielsweise auch dahin führt, sich allgemein mit den geistigen und materiellen Grundlagen der Menschheit zu beschäftigen und daraus Lebensmaximen zu entwickeln. Die Voraussetzung des Unterwegsseins wäre dabei erfüllt. Der Stein des Sisyphos wäre in dem Fall geistiger Natur.
Doch einfacher und zielführender ist es sicherlich, seinem Leben durch klar umrissene Meta-Ziele Sinn und Zweck zu geben. Hilfreich ist es, sich zu überlegen, für was man als Mensch steht oder stehen will. Was würde man seinen Enkelkindern oder auch nicht verwandten Nachfahren gerne als Vermächtnis hinterlassen? Fühlt man sich gut dabei, wenn die Enkel und womöglich noch deren Enkel dereinst einen Vorfahren vor Augen haben werden, der vor allem in rücksichtslosem Egoismus schwelgte oder ein sinnloses, da zweckbefreites Leben führte?
Vielleicht ergibt sich aus derartigen Gedanken eine Orientierung. Vielleicht ergeben sich auch mehrere Pfeiler, die einen individuellen Gesamtsinn des Lebens tragen. So könnten sich aus solcherlei Überlegung zum Beispiel die Ziele entwickeln, sich für eine lebenswerte Welt voller natürlicher Vielfalt und Buntheit einzusetzen und dabei ein reflektiertes, Mensch und Natur freundlich gesinntes, werte-gebundenes Weltbild für sich und andere zu entwickeln. Daraus könnten sich durchaus sinnstiftende Sekundärziele entwickeln, wie z.B. gesellschaftliches Engagement, öffentliche Hilfsbereitschaft oder verstärkte Achtsamkeit.
Derartige Ziele können das punktuelle Glücksempfinden natürlich jederzeit torpedieren. Warum beispielsweise an die Enkel oder gar nicht-verwandte Nachfahren und deren natürlichen Lebensraum denken, wenn man doch nur den nächsten Gefühlskick sucht und daher gerne das nächste Billigflugangebot ans andere Ende der Welt annehmen möchte oder sich an der Anschaffung eines weiteren Sportwagens berauschen will?
Um sich von derart kleinen, aber langfristig süchtig machenden Verheißungen nicht vom großen Weg abbringen zu lassen, kann es hilfreich sein, die erdachten Ziele in gut begründeter Form zu verschriftlichen und damit zu visualisieren. Auf diese Art werden sie zu einer Landkarte, die den Weg der lebenslänglichen Reise immer wieder aufs Neue weist.
Dabei ist es durchaus wichtig, sich für unterwegs Zwischenziele zu suchen. Sonst könnte der Weg zu ermüdend werden. Ein erreichtes kleines Ziel tut gut und bringt Erleichterung. Wer seinen Weg jedoch nie gänzlich abbricht, sondern stetig der vorgegebenen Richtung weiter folgt, wird insgesamt einen größeren Lohn erhalten als nur gelegentliche Momente der Euphorie innerhalb einer großen Leere: nämlich Erfüllung, Sinn und ein dauerhaft abrufbares, tiefes Glücksempfinden.
II.
Das Glück der Generativität
Oder: Von der Unsterblichkeit des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Eingebunden sein
Große und dabei klar umrissene Ziele können dem Leben also Sinn verleihen. Vergleichbar der aufgehenden Sonne, schafft Sinn nicht nur Orientierung,4 sondern lässt die Dinge auch in einem wärmeren Licht erscheinen. Selbst die unschönen Seiten der Welt wirken plötzlich weniger düster.
Der bisher beschriebene Sinn ist „teleologischer“ (von altgr. „telos“, „Ziel“ „Ende“) Art. Er treibt an, gibt die Richtung vor, sorgt dafür, dass man weiß, warum man morgens aufsteht.
Daneben gibt es aber eine weitere relevante Erscheinungsform des Sinns. Sie kommt in dem Gefühl des Eingebunden-Seins zum Ausdruck. Ein enges, Zeit und Raum übergreifendes Netz gibt dem Leben dabei eine logische Struktur. Das persönliche Leben in seiner konkreten Erscheinungsform wird als Bestandteil einer Welt erkannt, die umfassender ist als die unmittelbare Wirklichkeit. Bei Bertrand Russell heißt es hierzu: „Um in dieser Welt glücklich zu sein, zumal wenn die Jugend vorbei ist, darf man sich nicht nur als Einzelwesen fühlen, dessen Tag bald abgelaufen ist, sondern muss sich als ein Teil des Lebensstromes empfinden, der vom ur-ersten Keim bis in die fernste unbekannte Zukunft fließt.“
Über Jahrtausende wurden Menschen automatisch in derartige Sinn-Netze hineingeboren. Gesponnen wurden sie von den Vertretern der institutionalisierten Religionen. Von Geburt an waren Menschen Mitglied einer Glaubensgemeinschaft. Sie sahen sich in einen über Generationen hinausgehenden Zusammenhang eingeordnet und waren automatisch Teil eines metaphysischen Bezugssystems. Alternativen waren kaum jemandem bekannt und schienen daher auch nicht zu existieren. Den Menschen wurden klare Vorgaben und Richtlinien mit auf den Lebensweg gegeben. Noch bis weit in die Neuzeit hinein bestimmte auch in der westlichen Welt vornehmlich die Religion, was man im Leben zu tun oder zu lassen hatte und was der tiefere Sinn hinter allem war. Der Sinn des Lebens innerhalb einer christlichen Gemeinde bestand darin, gottgerecht zu leben. Was als gottgerecht zu gelten hatte, legte die Kirche fest.
Eine Auflösung dieser Strukturen begann in der westlichen Welt mit den Reformatoren um Martin Luther (1483-1546). Sie forderten den Menschen auf, anhand des Studiums der Bibel selbst zur religiösen Wahrheit zu finden und nicht mehr nur den offiziellen Kirchenvertretern Glauben zu schenken. Die Folge war, dass unzählige verschiedene Religionsinterpretationen entstanden. Das verbindende Netz der religiösen Einheit löste sich ab diesem Moment auf.
Etwa zeitgleich wurden technische Instrumente entwickelt, die neue Weltanschauungen ermöglichten. So wurde innerhalb der vergleichsweise kurzen Zeit von drei Jahrhunderten klar, dass die Erde nicht im Zentrum des Universums steht und der Mensch wohl Ergebnis eines evolutionären Prozesses und nicht einer biblischen Schöpfungsgeschichte ist. Neben der Vielfalt religiöser Interpretationen verbreiteten sich somit auch noch säkulare, streng am Stand des jeweils aktuellen Wissenschaftsparadigmas orientierte Weltbilder.
Indem die rasante Fortentwicklung neuer Techniken es zudem immer besser ermöglichte, in weit entlegene Teile der Welt vorzudringen, entstand sukzessive ein Bewusstsein für die Relativität der eigenen Anschauungen. Es wurde erfahrbar, dass eigene Weltbilder und eigene Glaubenssätze immer stark abhängig von der unmittelbaren Umgebung sind. Damit wurde es noch schwerer, an die überzeitliche Allgemeingültigkeit einer religiös oder auch anders gearteten Wahrheit zu glauben.
Ein festes, Zeit und Raum übergreifendes Glaubenssystem, das die Menschen kollektiv in einen existentiellen Sinnzusammenhang einfügt, gibt es trotz einzelner Bemühungen, es wieder neu zu schaffen, nicht mehr. Lediglich vereinzelte, isolierte Gemeinschaften vermögen noch ein hermetisches Sinnsystem aufrecht zu erhalten.
Heute ist stattdessen ein regelrechtes Wettstreiten sowohl unter verschiedenen Wissenschaftsmodellen als auch unter Religionen und anderen spirituellen Angeboten im Gange. So werden jedes Jahr neue Religionen erfunden. Aktuell gibt es 4200 offizielle religiöse Konfessionen, von der fast jede ihrerseits zahlreiche Varianten aufweist. Allein der christliche Protestantismus ist wiederum in ca. 20 000 Unterkonfessionen und Bewegungen aufgegliedert. Gerade in der westlichen Welt neigen immer mehr Menschen dazu, sich einen Glauben nach eigenem Gutdünken zurechtzuschustern. Das verbindende Element geht dabei oft verloren. Der Zweifel überwiegt.
Was einen großen Gewinn im Ringen um die individuelle Freiheit und die Möglichkeiten des ungezwungenen, menschlichen Selbstentwurfs darstellt, bedeutet für viele jedoch zugleich eine psychologische Überforderung.