Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet. Holger Dr. phil. Wohlfahrt
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Für eine gewisse Zeit kann genau jene Tatsache das bestehende System natürlich weiter füttern. Schließlich werden zusehends neue Technologien erfunden, hergestellt und werbewirksam vermarktet, die ressourcenschonend sein sollen. Tatsächlich wies schon Bertrand Russell darauf hin, dass circa die Hälfte aller Arbeit darin besteht, die Schäden der anderen Hälfte zu reparieren. Neu entstehende Industrien können nun also neue Arbeitsaufgaben stellen, die Menschen weiterhin kurzfristig Lebenssinn geben. Dieser Sinn kann sogar insoweit tragfähig sein, als die Herstellung umweltverträglicher und ressourcenschonender Gegenstände nun als überlebenswichtig erscheint. Doch ohne Materialverbrauch kann eine produzierende Wirtschaft nicht auskommen. Um das erreichte und zur Gewohnheit gewordene Niveau an Warenüberfluss auch nur annähernd zu halten, wird es nicht genügen, eine ressourcenschonendere Wirtschaft aufzubauen. Es wird über kurz oder lang unumgänglich sein, einen radikalen Lebenswandel zu etablieren, der globalen Vorbildcharakter gewinnt und zu einer neuen Normalität wird.
In jüngerer Zeit wird deshalb immer wieder darüber nachgedacht, wie Produktion und Konsum auf verträgliche Art eingedämmt werden können. Die Idee des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ erscheint vielen als attraktiver Lösungsansatz. Jeder Bürger soll demnach eine staatlich festgelegte Zuwendung bekommen, die hoch genug ist, um den Lebensalltag zu bestreiten. Für die Finanzierung dieser Zuwendung gibt es verschiedene Modelle. So begegnen beispielsweise Vorschläge, eine hohe Konsumsteuer, eine Besteuerung der natürlichen Ressourcen und der Treibhausgas-Emissionen oder eine hohe Besteuerung jeglichen Geldtransfers einzuführen.
Aufgrund der erhöhten Steuern könnte in der Theorie die blinde Konsumlust eingedämmt werden. Das Grundeinkommen würde zugleich ein kollektives Abdriften in existentielle Armut verhindern. Die Produktion der einzigen wahrhaft relevanten, nämlich der lebenswichtigen Güter könnte überwiegend maschinell erfolgen.
Die sofortige Umsetzung derartiger Überlegungen würde aber wohl in weiten Teilen der Bevölkerung zu einer psychologischen Katastrophe führen. Selbst der letzte kleine Rest an Lebenssinn fiele für all jene, die ihren Broterwerbsjob aufgeben würden, weg. Die Gesellschaft würde endgültig in Wehleidigkeit und existentieller Leere erstarren und früher oder später einen formidablen Nährboden für dubiose Sinnverkäufer aller Art bieten.
Welche Auswirkungen der Verlust der Arbeit auf eine Gesellschaft hat, die es nicht vermag, sich selbst Lebenssinn zu geben, zeigt eine beeindruckende Studie aus den 1930er Jahren. Sie wurde in dem Buch „Die Arbeitslosen von Marienthal“ beschrieben. Das Werk von Marie Jahoda, Paul F. Lazarsfeld und Hans Zeisel gilt als Meilenstein der empirischen Sozialforschung, ist heute aber leider etwas in Vergessenheit geraten. Die Forscher untersuchten auf ungeheuer detailversessene und umfassende Art anhand verschiedenster Methoden die psychologischen Auswirkungen des Arbeitsverlusts auf die Gemeinschaft in Marienthal.
Der österreichische Ort Marienthal war um eine Fabrik herum entstanden. Die Bewohner hatten sich stark mit dieser Fabrik identifiziert, fast jeder hatte für sie gearbeitet. Sie hatte den Menschen ihren Lebenssinn gegeben. Als die Firma im Zuge der Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre insolvent wurde und ihre Tore für immer schließen musste, konnten sich auch die wenigen anderen Arbeitgeber am Ort nicht mehr halten. Letztlich wurde nahezu der komplette Ort arbeitslos. Da es allen Bewohnern in etwa gleich ging, gab es unter ihnen keine Ausgrenzungen, Herablassungen oder Neidgefühle. Für einen gewissen Zeitraum erhielten die Marienthaler staatliche Unterstützungssätze. Diese waren aufgrund der intensiven Arbeitsleistungen für die einst florierende Firma teils genauso hoch oder höher wie das Einkommen, das Bürger benachbarter Orte erhielten. Das hatte wiederum zur Folge, dass „die in der Umgebung arbeitenden Familien sich in ihrer äußeren Lebenshaltung von den Arbeitslosen kaum unterscheiden [sic].“ Umso gravierender waren dafür die psychologischen Unterschiede. Schnell stellten sich Verbitterung, Resignation und Langeweile ein. Die Sinnlosigkeit des Lebens erschien allgegenwärtig. Der einst florierende und lebhafte Ort Marienthal verkümmerte. Der herrschaftliche Park, früher Stolz der Region, verwilderte. In der Studie steht: „Obwohl fast jeder Marienthaler Zeit dafür hätte, kümmert sich niemand um den Park.“ Die Lebensmotivation der Marienthaler war verschwunden.
Die Forscher gingen soweit, sogar die Bewegungen der Bewohner zu untersuchen. Sie fanden heraus, dass diese langsamer und schleppender wurden. Marienthal hatte „die Beziehung zur Zukunft verloren“. Es gab keine antreibenden Ziele mehr. Das Leben wurde sinnlos. Aus der Auswertung zahlreicher Fragebögen leiteten die Forscher ab, dass die meisten Marienthaler nicht mehr wussten, womit sie ihre Tage füllen sollten. „[…] was zwischen den drei Orientierungspunkten Aufstehen – Essen – Schlafengehen liegt, die Pausen, das Nichtstun ist selbst für den Beobachter, sicher für den Arbeitslosen schwer beschreibbar.“ Nur vereinzelt wurden noch sinnerfüllte Handlungen notiert: „Buben waschen, Hasen füttern usw. Alles was sonst geschieht, steht mit der eigenen Existenz in keinem sinnvollen Zusammenhang.“ Aus den Einzelbeobachtungen der Forscher lässt sich erkennen, dass oft gerade diejenigen Marienthaler, die vornehmlich nach beruflichem Erfolg und Karriere strebten, in tiefer Verzweiflung endeten. Sie hatten als Lebensziel allein den abstrakten Plan „nach oben“ zu kommen. Eigene, darüber hinausgehende Aufgaben hatten sie sich nicht zu geben gelernt.
Doch es begegnen auch Ausnahmen. So wird ein Mann genannt, der sich schon in seinem früheren Leben durch starke Selbstbestimmung ausgezeichnet hatte. Im Ersten Weltkrieg hatte er eine Beförderung abgelehnt und sich auch immer wieder gegen seine Vorgesetzten gewehrt. Stets hatte er eigene Pläne und Ziele. In italienischer Kriegsgefangenschaft hatte er sich vorgenommen, Italienisch zu lernen. Er gestaltete selbst diese für seine Mithäftlinge schwere Zeit somit zu einer sinnvollen und damit erfüllenden Lebensphase. Später übernahm er politische Funktionen. Außerdem war er ein leidenschaftlicher Leser, hatte das Ziel, die Welt möglichst umfassend zu verstehen. Auch im Moment der ausweglosen Arbeitslosigkeit schaffte er es, seinem Leben in Form eines privaten Literaturstudiums Sinn zu geben. Sicher diente ihm die Literatur dabei nicht zur bloßen Unterhaltung. Er missbrauchte sie nicht zu dem Zweck, sich abzulenken und der Welt zu entfliehen, sondern er begriff sie als Chance, sich und sein Denken zu erweitern und fortzuentwickeln. Und so blieb er geistig lebendig und hoffnungsvoll. Er litt weniger als andere.
Das Herausspüren des Sinns
Die Studie aus Marienthal verdeutlicht also nachdrücklich, wie wichtig es ist, für sich selbst Sinn finden zu können. Wenn eine Idee wie die des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ je realisiert werden soll, muss der Mensch zunächst und von klein auf lernen, sich selbst passende Ziele zu setzen. Diese „fallen einem schließlich nicht in den Schoß“, wie US-Psychologe Todd Kashdan betont. Die einflussreiche österreichische Psychotherapeutin und Psychologin Elisabeth Lukas bekräftigt: „Ein solcher [nachhaltig glücksstiftender und lebenserhaltender] Sinn kann nicht willkürlich gesetzt werden, den muss jeder für sich herausspüren.“
Wichtig wäre daher, dass bereits Kinder vor allem angeregt werden, herauszufinden, was ihrem Leben Sinn geben kann. Dafür benötigen sie geistigen Freiraum. Statt in immer stärker einengende Förderprogramme gesteckt zu werden, statt immer mehr darauf konditioniert zu werden, simple vorgekaute Fakten auswendig zu lernen und nachzukauen, statt unentwegt bespaßt zu werden, wäre es hilfreich, wenn der pädagogische Fokus stärker auf die geistige Entwicklung und Kreativitätsbildung gelegt werden würde. Statt künstlerische Fächer in der Schule einzuschränken und gegenüber den faktenbasierten Fächern abzuwerten, müssten sie eine Aufwertung erfahren.
Schon kleinste Kinder der heutigen Zeit werden nur allzu oft an ein Leben gewöhnt, das ausschließlich aus blinder Arbeitswut und ablenkendem Spaß besteht. Es geht ihnen wie einem Menschen mit einem krankhaften Gelüst nach Pfeffer. Sind die Geschmacksnerven erst einmal betäubt, muss die Menge erhöht werden. Das geht so lange, bis der Mensch gar nichts mehr schmeckt oder erstickt.
Die Unterhaltungsindustrie