Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet. Holger Dr. phil. Wohlfahrt
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Durch die Jagd nach guten Gefühlen bzw. durch das, was man neuzeitlich das „Streben nach Glück“ bezeichnet, hat sich der Mensch nicht nur behauptet, sondern rücksichtslos ausgebreitet und in weltgeschichtlich kurzer Zeit explosionsartig vermehrt. Vielleicht ist es gerade die unreflektierte Glücksjagd, die sich inzwischen in ihr Gegenteil verkehrt hat. Sie bringt vielfach kein Glück, sondern Unglück. Und sie scheint die Menschheit als Ganzes an den Rand eines Abgrunds zu führen.
Problematisch ist nämlich nicht nur, dass Glückshormone auch angesichts kulturell definierter Ideale ausgeschüttet werden. So konnten und können selbst schlimmste menschliche Entgleisungen und Barbareien geschehen, wenn sie gesellschaftlich als richtig und gut deklariert wurden. Einzelne empfinden daher auch im Angesicht schlimmster Verbrechen oder vorgeblich heilstiftender Kriege euphorisierende Gefühle des Glücks.
Doch auch die Wirkweise der Glückshormone selbst bedingt Gefahren für den Einzelnen und die Menschheit insgesamt. Hirnforscher Gerhard Roth erklärt: „Dieses [hormonell bedingte] Glücksgefühl ist nur von kurzer Dauer und verlangt schnell nach mehr.“ Tatsächlich ähneln die Glückshormone rein chemisch dem Morphium, Opium und Heroin. Doch nicht nur das. Sie wirken auch in derjenigen Region des Hirns, dem Nucleus Accumbens, die auch eine große Rolle bei der Entstehung von Sucht spielt. Und so verwundert es nicht, dass die Jagd nach euphorisierenden Momenten tatsächlich zur Sucht werden kann. Oft wird das Suchtverhalten dabei nicht mal als solches erkannt. Die Suchtforscherin Tagrid Leménager von der „Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit“ in Mannheim erklärt: „In unserer Konsumgesellschaft sind wir ständig auf der Suche nach Reizen, die ein Euphoriegefühl auslösen.“ Es werden also in immer kürzeren Abständen immer kostspieligere Outfits konsumiert, immer gewaltigere Reisen gebucht oder immer teurere und nutzlosere Artikel der Unterhaltungsindustrie angeschafft. Ein kurzzeitiges, hormonelles Gefühlshoch ist auf die Art nur allzu leicht zu bekommen. Um dann das gleiche gute Gefühl noch einmal zu erzeugen, „[…]braucht man dann mehr. Mehr Geld, mehr Partys, mehr Urlaub“, so Leménager. Die Dosis muss also, wie bei einer Drogensucht, erhöht werden. Der Einzelne wird so zu einem fremdbestimmten Wesen, das verzweifelt dem nächsten Gefühlskick nachjagt. Die Gesellschaft als solche verliert sich in einem blinden Konsumismus, für den die begrenzten Ressourcen unserer Erde herhalten müssen.
Die beglückende Freude der Zufriedenheit
Auch wenn die Auseinandersetzung mit der Neurowissenschaft es nahelegt, so muss doch festgehalten werden: Der Mensch ist nicht nur ein hormonell gesteuertes Triebwesen. Er besitzt auch Geist. Er zeichnet sich unter anderem durch seine Fähigkeit zum Nachdenken, Reflektieren, Philosophieren aber auch zum Innehalten und Meditieren aus. Diese Fähigkeiten helfen, die impulsiven Euphorie-Ausbrüche einzuordnen, in ihrer Funktionsart zu erkennen und sogar zu steuern. Der Mensch kann somit Hoheit über sich gewinnen. Er kann die Abhängigkeit von den süchtig machenden Glückskicks beenden und stattdessen eine tiefere Einsicht in die Zusammenhänge des Lebens erlangen.
Menschen, die jene rein animalisch anmutende Instinktebene der unmittelbaren Triebbefriedigung verlassen, entwickeln dabei nachweislich ein besonders tiefes Bewusstsein. Neurowissenschaftler konnten zeigen, dass bei ihnen eine evolutionsgeschichtlich sehr junge Region im Gehirn, der sogenannte Cortex, stark aktiviert wird. In diesen Arealen der Hirnrinde wird von Forschern im Prinzip das verortet, was man Zufriedenheit nennt. Zufriedenheit steht somit für etwas, das als Ergebnis bewusster Vorgänge und erlernbarer Praktiken zu erlangen ist.
Bereits im 18. Jahrhundert schrieb der britische Universalgelehrte Samuel Johnson (1709-1784): „Zufriedenheit muss dem Verstand entspringen. Jener, der die menschliche Natur so wenig kennt, dass er bei der Suche nach dem Glück alles ändert außer seiner Anlage, wird sein Leben in fruchtlosen Bemühungen verschwenden und das Leid, das er beseitigen möchte, vervielfachen.“
Und damit kommen wir zur dritten und letzten Glücksdefinition. Um sie soll es im weiteren Verlauf des Buches vorrangig gehen.
Die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt meint, dass all das, was gegenwärtig als „Glücksforschung“ bezeichnet wird, in Wahrheit ohnehin eine „Zufriedenheitsforschung“ sei. Doch der Begriff Zufriedenheit wird jenem grundlegenden Wohlbefinden, das dem menschlichen Gefühlshaushalt zugrunde liegen kann, vielleicht nicht ganz gerecht.
Wer ausschließlich danach strebt, in gelassener Dauerruhe dahinzuvegetieren, droht seinerseits zum apathischen, teilnahmslosen und interessenlosen Wesen zu werden. Ein Streben nach Zufriedenheit kann schnell zu einem aus Bequemlichkeit vollzogenen Abschied aus dem tätigen und selbstbestimmten Leben degenerieren. Irgendwann, und sei es erst am Sterbebett, droht genau dieses Verharren auf einer niedrigen, vermeintlich wunschlosen Gefühlsebene, die zwar behaglich und bequem, aber eben auch „un-lebendig“ ist, für Unzufriedenheit zu sorgen. Im Bewusstsein kann sich ein „Un-Frieden“ breit machen. Der Philosoph und Dichter Khalil Gibran (1883-1931) drückt das in seinem Buch „Der Prophet“ so aus: „Die Behaglichkeit wird zu einem Bändiger und mit Haken und Peitsche macht sie Marionetten aus euren größeren Wünschen. […] Wahrlich, die Gier nach Behaglichkeit mordet die Leidenschaft der Seele und mischt sich dann grinsend in den Trauerzug.“
Wer in einem glücklichen Sinne zufrieden sein will, sollte daher vielleicht gerade nicht ausschließlich nach behaglicher Zufriedenheit streben. Stattdessen gilt es eine Art der Lebenskunst zu entwickeln, die es ermöglicht, das Leben in seiner Vielfalt, in seiner Schönheit, aber auch Tragik anzunehmen, voranzutreiben und auszukosten. Eine Lebenskunst, die dabei hilft, äußeres Glück genauso wie Pech, Erfolge genauso wie Niederlagen, Momente größter Wonne genauso wie schlimmste Schicksalsschläge zu akzeptieren und in die Geschichte des eigenen Lebens sinnvoll zu integrieren. Wem das gelingt, der empfindet wohl mehr als schlichte Zufriedenheit. Der Philosoph Robert Spaemann (1927-2018) spricht von einem Empfinden „inneren Jubels, der […] dauerhaft als Unterton mitschwingt.“ Er meint eine grundlegende Lebensfreude, die weit mehr ist als bloßes Glück. Bei dem großen Dichter Rainer Maria Rilke (1875-1926) heißt es dazu:
„Freude ist unsäglich mehr als Glück,
Glück bricht über die Menschen herein, Glück ist Schicksal –
Freude bringen sie in sich zum Blühen,
Freude ist einfach eine gute Jahreszeit über dem Herzen;
Freude ist das Äußerste, was die Menschen in ihrer Macht haben.“
Um jene Freude, deren Grundton ein „innerer Jubel“ ist, soll es in vorliegendem Buch nun überwiegend gehen. Die euphorisierende Wirkung des Kurzzeitglücks wird dabei jedoch nicht ausgeklammert. Sie wird immer wieder auf ihre Nutzbarmachung für wahrhafte Lebensfreude überprüft.
Warum es nicht nur einen Weg zum Glück gibt
Der antike Philosoph Platon (428/427-349/348 v.Chr.) hat mit seiner „Ideenlehre“ eine der bekanntesten und einflussreichsten Theorien der Menschheitsgeschichte entwickelt. Er geht davon aus, dass alle Erscheinungen der konkreten Welt als Abbilder ewiger Ideen zu begreifen sind. Diese ewigen Ideen hinter den Erscheinungen sind die wahre Wirklichkeit. Sie sind mit den menschlichen