Italien - Gefangen in Land und Liebe. Alexander Frey
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Jeder musste versuchen, die Einheit in den Alpen wieder zu erreichen. Dort sollte eine neue Stellung bezogen werden.
„Sie werden mir folgen, meine Herren“, befahl der Major. „Unsere Truppen sammeln sich in den Alpen zum endgültigen ...“ Das ging schief. Mit ohrenbetäubendem Lärm heran jagende, tieffliegende Jagdbomber warfen den Herrn Major zu Boden. Wir benutzten diese Gelegenheit, sprangen auf unsere Fahrräder und fuhren in Richtung Verona davon.
„Halt, stehen bleiben!“ tönte es hinter uns her. „Ich bringe Euch vors Kriegsgericht! Befehlsverweigerung! Unerlaubtes Entfernen von der Truppe! Ihr könnt mich doch nicht allein lassen! Stehen bleiben!“
Alles Geschrei nützte nichts mehr. Wir hörten ihn kaum noch. Da war uns doch das eigene Hemd am nächsten. Wir waren Fallschirmjäger und wollten uns nicht von einem Major von der Wehrmacht in seine Einheit stopfen lassen.
Heilfroh, dem Major so glimpflich entwischt zu sein, strampelten wir weiter.
„War das vielleicht eine Pfeife“, konnte Fritz sich nicht enthalten zu bemerken.
„Kein Wunder, wenn bei denen lauter solche Typen sind, dass sie eine Pleite nach der anderen erleben.“
„Nun, wir waren auch nicht gerade nett zu ihm“, gab Paul zu.
„Du hast Recht“, stimmte ich Paul bei. „Ein bisschen mehr Haltung hätte der kleine Fritz schon annehmen können.“
„Natürlich, ich merk´s mir, schließlich bin ich noch dafür verantwortlich, wenn wir den Endsieg verpassen.“
„Genug davon“, unterbrach ich das leichte Geplauder. „Endsieg hin, Endsieg her, ich schlage vor, wir machen uns in Richtung Mantua auf. Ich möchte mich da vor allem nochmals richtig verabschieden. Das ist doch nur zu verständlich.“
„Warum nicht?“ stimmten die Kameraden zu.
Nach ca. 12 Kilometern mussten wir erneut unsere Richtung ändern. Ein Feldwebel der Luftwaffe hielt uns auf.
Entweder hatten wir geschlafen, waren derart in unsere Unterhaltung vertieft oder wir hatten unsere Sinne nicht mehr beisammen.
Jedenfalls stand der Feldwebel so urplötzlich vor uns, dass wir fast vor lauter Schreck und Überraschung mit unseren Fahrrädern im Straßengraben gelandet wären.
„Na, Jungs, was macht Ihr denn für Gesichter? Wohl noch nie einen Feldwebel gesehen? Wo soll´s denn hin geh´n?“
„Ach, nur zu einem kleinen Wochenendausflug nach Verona“, antwortete Fritz, der sich als erster gefangen hatte.
„Da werdet Ihr wohl kein Glück haben. In dieser Gegend kommt Ihr nicht durch. Hier wimmelt es nur so von Partisanen. Ein paar hundert Meter weiter halten sie deutsche Landser gefangen. Sie foltern sie bis auf´s Blut.“
„Wo sind diese Schweine?“ wurde Paul gleich wütend.
„Jetzt keine Aufregung, lasst uns in Ruhe überlegen, was wir da machen können“, versuchte ich zu beschwichtigen.
„Da ist nichts zu machen“, sagte der Feldwebel. „Wir vier können da gar nichts ausrichten. Das ist zu gefährlich, sie sind zu viele. Das wäre Selbstmord.“
„Aber wir können die Kameraden doch nicht im Stich lassen“, mischte sich Fritz ein.
„Genau, wir müssen alles versuchen, um sie zu retten“, versuchte ich dem Feldwebel klarzumachen.
„Da, seht doch selbst“, sagte der Feldwebel und zeigte in Richtung auf das Haus. „Das Haus steht mitten auf freiem Feld. Wir wissen nicht, wie viele Partisanen sich darin verborgen halten.
Es ist unmöglich, das Haus zu stürmen. Wenn wir auch nur den geringsten Versuch wagen, dann bedeutet das erst recht den Tod für unsere Leute. Es gibt keine Chance. Mit diesen Burschen ist nicht zu spaßen. Die kennen keine Gnade. Und seit sie wissen, dass wir uns auf der Straße der Verlierer befinden, schon gar nicht mehr.“
Wir sahen uns gegenseitig an. Man spürte bei jedem Einzelnen nur zu deutlich die Niedergeschlagenheit. Ich verspürte wieder dieses ekelhafte Gefühl der eigenen Ohnmacht, das mich schon so oft befallen hatte. Ich glaube, es gibt nichts, was so niederschmetternd ist, wie im Angesicht der Gefahr hilf- und tatenlos zusehen zu müssen, helfen zu wollen – es aber nicht zu können.
„Dann nehmen Sie uns doch bitte mit“, bat ich den Feldwebel.
„Das ist unmöglich, das sehen Sie doch“, antwortete er. „Wie soll ich Sie denn in meinem Beiwagenkrad mitnehmen? Soll ich meinen Beifahrer hier stehen lassen?“
Es blieb uns nichts anderes übrig, wollten wir wenigstens unser eigenes Leben retten, unseren Marsch auf Umwegen fortzusetzen.
So vorsichtig es ging, schlugen wir wieder unsere alte Richtung auf Verona ein, querfeldein über kleine unwegsame Feldwege.
Mit viel Mühe schlugen wir uns so bis ungefähr dreißig Kilometer vor Verona durch.
Über Landstraßen, Feldwege, durch verlassene und halb verlassene Dörfer versuchten wir, so gut wir konnten, jedes Hindernis zu umgehen. Vermieden es jetzt um so mehr, mit der Bevölkerung in Berührung zu kommen. Zwei Maschinenpistolen hielten wir schussbereit nach vorne, eine Maschinenpistole hatte der letzte Mann schussbereit nach hinten gerichtet.
So schön unsere Tour am Morgen begonnen hatte, von einem Wochenendausflug konnte jetzt nicht mehr die Rede sein. Nicht einmal im Spaß.
In der ständigen Angst, doch noch entdeckt zu werden, bei sengender Sonne und einem quälenden Hungergefühl in der Magengegend, war uns auch die letzte Lust an Späßen vergangen. Wir dachten nicht einmal an Essen oder Rast.
Uns trieb nur ein Gedanke, der Gedanke, selbst zu überleben. Gegen Abend fanden wir dann endlich eine Scheune, die uns geeignet schien, einigermaßen ungestört die Nacht zu verbringen.
Völlig erschöpft ließen wir uns fallen und schliefen sofort ein.
Am frühen Morgen kam eine Italienerin zu uns in die Scheune gelaufen und schrie immerfort: „Carroarmato, Panzer, Panzer, deutsche Panzer!“
„Denkste, das sind Ami-Panzer“, gab ich meinen Kameraden zu verstehen. „Wo wollen denn da noch deutsche Panzer her kommen? Wir haben seit Tagen keine mehr gesehen.“
Wir waren natürlich wie erstarrt. Da saßen wir, wie die Maus in der Falle. Zur Straße konnten wir nicht mehr.
Aus dem Haus gegenüber versuchten zwei Kameraden aus einer anderen Einheit auf Pferden zu fliehen. Gleich darauf peitschten einige Schüsse aus einer Panzerkanone. Wir konnten sehen, wie unsere Kameraden zu Boden stürzten. Da war uns klar, dass eine Flucht völlig sinnlos wäre.
Der reine Selbstmord.
Vor lauter Überraschung wussten wir nicht recht, was wir machen sollten. Irgendwie kamen wir uns total hilflos vor. Woher wusste man überhaupt, dass wir uns hier versteckt hielten? Hatte man uns am Abend vorher doch beobachtet? Nachdem ich mich von meinem ersten Schrecken einigermaßen erholt hatte, lief ich hinaus, um zu sehen, was los war. Mir stockte fast der Atem. Von Entsetzen gepackt blieb