Ein Sommer in Berlin. Beate Vera

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Ein Sommer in Berlin - Beate Vera

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wehte ein frischer Wind in unser neues Leben. Sie hatte zahlreiche Bekannte, die sie, ohne zu zögern, abrief, um mir ein wenig Hilfe beim Renovieren zukommen zu lassen. Jake unterstützte mich beim Zusammenbauen einiger Möbelstücke, zur Verzückung von Helene, die auf einmal ein Interesse am Möbelbau entwickelte, das man ihr vorher nicht zugetraut hätte.

      In den kurz darauf beginnenden Herbstferien schickte ich die Kinder für zwei Wochen ins Bauernhof-Ferienlager nach Brandenburg. Hanno weilte mit seiner Dana in der Finca von deren Eltern auf Mallorca. Ich nutzte die Zeit und renovierte unser neues Heim in einem wahnwitzigen Tempo. Das Ergebnis war zufriedenstellend. Nach fünfzehn Jahren Übung im Umsetzen der neuesten Deko-Trends verfügte ich über nicht zu missachtende Fähigkeiten auf dem Gebiet der Inneneinrichtung.

      Die Kinder wechselten nach den Herbstferien die Schulen. Sie gewöhnten sich bemerkenswert rasch an ihr neues Umfeld und schlossen neue Freundschaften. Ich beneidete sie darum. Mir fehlte unser großer Garten mit meinen über Jahre gehegten Rosensträuchern und der großen Haselnuss hinten am Zaun ebenso wie das gelegentliche Plauschen über den Gartenzaun mit vorbeischlendernden Nachbarn.

      Daniel machte mir Sorgen. Seit sein Vater uns alle entwurzelt hatte, schlief er nicht mehr alleine. Ich genoss es zwar, den Zwerg in meinen Armen zu haben, während wir in meinem Bett lagen und ich ihm eine Gutenachtgeschichte vorlas, doch es wurde Zeit, ihn wieder an sein eigenes Zimmer zu gewöhnen. Bald.

      Franziska meldete sich weiterhin kaum bei mir. Dauerstress im Job, so lautete die Antwort auf meine SMS, und ich war doppelt froh über die neue Freundschaft, die sich mit Astrid anbahnte. Während ich renovierte, half Astrid, wo sie nur konnte: Sie versorgte mich mit einer warmen Mahlzeit am Tag, wusch Wäsche für mich, bis unsere eigene Maschine installiert war, und zeigte sich am Ende meiner Hauruck-Aktion voll ehrlicher Bewunderung für meine Leistung. Ich hatte sie sofort gemocht und empfand es als Glück, sie kennengelernt zu haben. Astrid versuchte stets, mich auf bessere Gedanken zu bringen. Ihr Mann Diego war viel im Ausland unterwegs, vorrangig in spanischsprachigen Ländern. Er war Ingenieur und verantwortete die Installation modernster Turbinentechnik für ein börsennotiertes Unternehmen mit Sitz in Berlin. Bislang kannte ich ihn nur aus den Erzählungen seiner Familie, die ihn liebevoll »El Cid« nannte, wobei Astrid regelmäßig ihre gelungene Charlton-Heston-Imitation zum Besten gab. Das Paar in dem Film El Cid mit der unglaublichen Sophia Loren habe sich ähnlich selten gesehen, erklärte sie. Astrids Kinder Pilar und Jake waren maßgeblich verantwortlich für alles, was Helene derzeit »übelst krass« oder »übelst scheiße« fand. Astrid und ich waren bei unserem zweiten Treffen bereits zum Du übergegangen, und sie versuchte unermüdlich, mir den Rücken zu stärken und mir Mut zu machen.

      Ein kurzer Schultag. Mathe und Chemie waren bei Helene ausgefallen. Meine Tochter machte das besonders fröhlich, da sie mit beiden Fächern auf dem Kriegsfuß stand. Bei strahlendem Sonnenschein und karibikblauem Himmel war es auch recht viel verlangt, sich für lineare Gleichungssysteme sowie Stoffe und ihre Eigenschaften zu interessieren, wenn die nicht aus einem Klamottenladen kamen.

      Helene sah mich verwundert an, als sie am späten Vormittag von der Schule nach Hause kam. Ich stand in der Küche, Placebo dröhnte durch die Wohnung, die ältere CD, die mit den Coversongs. Astrid hatte sie mir gebrannt, nachdem sie mitbekommen hatte, wie viele Alben dieser Band ich verpasst hatte. Natürlich war bei uns in Kleinmachnow nur Klassik und Jazz in gedämpfter Lautstärke gespielt worden. Hanno besaß schließlich einen gehobenen Geschmack, dem ich mich über die Jahre angepasst hatte. Bei diesem Gedanken musste ich unwillkürlich den Kopf schütteln. Ich hatte so gerne Musik gehört. Das war auch das Erste gewesen, was ich direkt nach unserem Umzug wieder getan hatte. Ich hatte meine alten CDs aus den Kartons geholt und Paps’ alte Revox-Anlage, die er seit den frühen Achtzigern besessen und nun uns überlassen hatte, auf ihre Leistung getestet. Beim Auspacken und Einräumen während des Umzugs und der Renovierung der neuen Wohnung hatten mir die alten Scheiben Trost gespendet. Astrid hatte laut gelacht, als sie meine kleine Sammlung gesehen und vor allem festgestellt hatte, wo diese zeitlich aufhörte. Sofort hatte sie beschlossen, meine mangelhaften Kenntnisse moderner Rock- und Pop-Geschichte aufzufrischen. Seitdem bekam ich regelmäßig gebrannte CDs oder MP3-Dateien von ihr mit allem, was ich ihrer und Pilars Meinung nach kennen müsste. Ich hatte keinen Mann mehr, der mir meinen Geschmack madig machte. Ich musste auf niemanden mehr Rücksicht nehmen, denn wir hatten in der Potsdamer Straße keine Nachbarn, die laute Musik hätte stören können. Das Küchenfenster stand offen und ließ die Geräusche des bunten Treibens auf der Potsdamer herein. Leider auch den Autolärm – aber meine Musik war lauter.

      »Was ist denn hier los?«, fragte meine große Tochter mich also verwundert, als sie die Küche betrat. Ich drehte die Lautstärke herunter und lehnte das Fenster an.

      »Was soll los sein, mein Schatz? Ich koche und höre Musik. Das habe ich früher immer so gemacht.«

      Nun gut, »früher«, das war lange her. Das war, bevor sie auf die Welt gekommen war. Aber es war nicht gelogen. In den Zeiten v. H., vor Hanno, lief, wann immer ich kochte, putzte oder aufräumte und wann immer mir danach war, laute Musik. Quinn hatte das nie gestört. Wie kam ich denn plötzlich auf den?

      »Du hörst Placebo, Mama!« Es klang wie ein Vorwurf.

      »Ja, und? Darf man das in meinem Alter nicht? Ich hab schon Placebo gehört, da warst du noch Quark im Schaufenster, mein Schatz.«

      »Die sind voll cool! Jakes Schwester steht total auf die, sie hat uns das letzte Album vorgespielt, das mit diesem voll tollen Song über all diese virtuellen Facebook-Freunde und wie doof das eigentlich alles ist …«

      Astrids älterer Sohn Thiago, den alle Jake nannten – Thiago war die spanische Form von Jakob –, ging ebenfalls auf Helenes neue Schule und war seit dem Jahreswechsel ihr erster Freund. Ich mochte Jake und konnte gut verstehen, dass sich Helene in ihn verguckt hatte. Er sah toll aus mit seinen schwarzen lockigen Haaren und den schönen, dunklen Knopfaugen. Jake war fünfzehn und spielte Handball im Verein. Als Linkshänder und auffällig effektiver Spieler war er vor den Weihnachtsferien von den Reinickendorfer Füchsen gesichtet worden. Seit der Rückrunde gehörte er der ersten C-Jugend-Mannschaft der Füchse an. Er trainierte dreimal in der Woche im Norden Berlins. Helene begleitete ihn an den Wochenenden zu jedem Ligaspiel, seit sie ein Paar geworden waren, und kannte sich bereits recht gut aus im Regelwerk und den Spielsystemen. An den Abenden, an denen Jake Training hatte, lag sie schmachtend auf ihrem Bett und chattete endlos mit ihrer besten Freundin Lavinia.

      Jakes zwei Jahre ältere Schwester, Pilar, befand sich im zweiten Kurshalbjahr der Oberstufe und würde im nächsten Jahr ihr Abitur machen. Die kleine Schwester der beiden, Marisol, ging in dieselbe Grundschulklasse wie Daniel. Ich war sehr froh über diese Verbindungen mit den Alvarez Garcias.

      Wo meine zahlreichen anderen Freunde waren, fragen Sie? Diese Frage hatte ich mir auch mehrmals in den vergangenen Monaten gestellt, und ich hatte mir eingestehen müssen, dass ich meine alten Freunde im Laufe der Jahre mit Hanno immer mehr vernachlässigt hatte, bis die Kontakte schließlich eingeschlafen waren. Hanno fand die meisten von ihnen ohnehin keinen passenden Umgang für mich, sie seien zu jung und zu unreif. Und ich hatte doch schließlich ohnehin genug zu tun: die Kinder, das Haus, der Garten, Hannos Termine. Das alles hatte mir kaum Zeit gelassen, mal mit Freunden auszugehen oder Sport zu treiben.

      Als Kind und als Jugendliche hatte ich in jeder freien Minute auf Roll- oder Schlittschuhen gestanden, und bevor die Kinder kamen, war ich eine passionierte Läuferin gewesen. Ich hatte auf die Halbmarathonstrecke hin trainiert, als ich zum ersten Mal schwanger wurde. Hanno hatte mir damals nahegelegt, keinen Sport mehr zu treiben. Ich sollte lieber nichts riskieren, fand er, und ich tat ihm den Gefallen. Er war ja so besorgt um mich, das fand ich süß. Und nach Helenes Geburt befand er, Joggen oder Inlinern mit Kinderwagen passte nicht zu uns. Also zog ich nach jeder Entbindung mit dem robusten Kinderwagenmodell

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