Ein Sommer in Berlin. Beate Vera

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Ein Sommer in Berlin - Beate Vera

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Q.

      Ich schaute sprachlos auf seine Zeilen. Auch Quinn war dem alten Modus treu geblieben, deutlich wurde das in seiner Anrede und vor allem am Ende seiner Mail. Die letzte Zeile spielte auf den Titel eines Liedes der Valente an. Es war unglaublich kitschig, und deshalb hatte er diese Worte schon damals gerne benutzt, genauso wie »Ich sag leise servus«, was er frei nach einem Duett der großen Chansonnière mit dem schmalzigen Silvio Francesco zitierte. Das hatte mich früher oft Tränen lachen lassen.

      Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte die Adresse eines Anwalts. Und ich hatte eine Verabredung mit Quinn. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, ihn zu kontaktieren? Vincents Riesenkröte hatte ganze Arbeit geleistet.

      Es war nach Mitternacht, und ich fand keine Ruhe. An Schlaf war nicht zu denken, auch wegen der schwülen Nachtluft nicht, die durch das offene Zimmerfenster kam. Ich saß auf meinem Bett, hörte Jacques Brel und schaute mir alte Fotos an. Fotos aus einer Zeit, die ich beinahe vergessen hatte. Dabei war es eine so wunderbare Zeit gewesen.

      Schon bei meinem Vorstellungsgespräch in seiner Buchhandlung hatte ich ein Prickeln auf der Haut gespürt, kaum dass ich Quintus Hartmann gegenübergesessen hatte. Der große, schlanke und leger gekleidete Mann schaute meine Papiere durch und grinste mich dann unverhohlen an. Er habe den Buchladen erst ein paar Monate zuvor von seinem Vater übernommen, den ein Schlaganfall gezwungen habe, seine Arbeit niederzulegen, und nun habe er, Quintus, ein ziemlich großes Problem. Das Studium der Philosophie habe ihn nämlich keineswegs auf die Führung eines Buchladens vorbereitet, wie er mir frank und frei mitteilte. Er habe auch keine Ahnung davon, wie man Bewerbungsgespräche führe, weshalb er sich die Fragerei schenken werde. Er brauche dringend jemand, der den Laden leiten könne, ich sei ihm sympathisch, und sollte ich am Montag anfangen können, sei der Job meiner.

      Ich fand den Gedanken ganz großartig, bei meiner ersten Festanstellung gleich eine Buchhandlung zu führen, auch wenn das eine ganz schöne Herausforderung war. Quintus hätte selbstverständlich das Sagen, hatte mir aber deutlich zu verstehen gegeben, dass ich Buchhaltung, Marketing und Bestellwesen eigenverantwortlich übernehmen müsse. Ich sagte auf der Stelle zu, obwohl das Anfangsgehalt alles andere als üppig war. Es würde trotzdem für eine kleine Wohnung reichen, rechnete ich mir aus. Mit Anfang zwanzig hatte ich schließlich noch keinen ausufernden Lebensstil.

      Meine Mutter war selbstredend dagegen gewesen. Sie wollte, dass ich mein abgebrochenes Studium beendete, schließlich sei ich noch jung. Nach meiner verkürzten Schulkarriere hatte ich Zeit, die Ausbildung zur Buchhändlerin noch vor ein mögliches Studium zu stellen. Nach bestandener Prüfung und einem Auslandsjahr als Au-Pair im Languedoc schrieb ich mich mit zwanzig für Französische Literatur an der FU ein. In den Semesterferien jobbte ich in einer Buchhandlung und las Bücher und Abhandlungen über Émile Zola, der mich damals über alle Maßen faszinierte.

      Die Faszination meines damaligen Profs dagegen galt jungen Frauen, insbesondere mir, und er machte mir eindeutige Avancen. Als ich darauf nicht einging, fiel meine Note in Französische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts in schwindelerregende Tiefe, ohne Aussicht auf Erholung, und ich schmiss das Studium nach dem dritten Semester. Den Grund behielt ich aus Scham für mich. Es hatte damals zu Hause unzählige Diskussionen über meinen Berufswunsch gegeben, denn meine Mutter hatte im Anschluss an meine »ohnehin überflüssige Ausbildung« nichts Geringeres als ein Germanistik- oder Romanistikstudium erwartet. Danach eine steile Karriere als Autorin existenzphilosophischer Bestseller oder als Leiterin eines renommierten Verlagshauses, aufgrund meiner Fremdsprachenwahl am besten in Paris. Dass ich nun schnöde arbeiten ginge, noch dazu in einem »Laden« in Schöneberg – was sie mit einem Lippenkräuseln betonte, das keine Zweifel an ihrer Haltung ließ –, passte ihr ganz und gar nicht. Sie können sich vorstellen, wie begeistert sie war, als Quinn und ich dann auch noch eine Beziehung begannen. Ich war überglücklich, und meine Mutter sprach drei Monate lang kein Wort mit mir.

      Ich war damals bis über beide Ohren verliebt, und ich war mir sicher, Quinn fühlte ebenso. Wir verstanden uns auf Anhieb blind und wurden unzertrennlich. Wir teilten die Liebe zum Lesen, und Quinn erweiterte sein Angebot um ein Regal mit französischen Titeln, das ich alleine gestalten durfte. Nach Feierabend gingen wir aus, sahen Filme im Odeon Kino oder bummelten die Goltzstraße entlang. Wir kannten alle Bars und Restaurants im Kiez und waren Stammgäste im Südwind, einem mediterranen Lebensmittelladen mit kleiner Gastronomie im Akazienkiez. Wir wurden einander nicht überdrüssig. Dann kam drei Jahre, nachdem wir zueinandergefunden hatten, jener Sonntagmorgen, an dem ich alles ruinierte.

      Quinn und ich hatten uns nach dem Aufwachen geliebt und waren danach hungrig. Er kam aus der Küche ins Schlafzimmer zurück und trug ein liebevoll angerichtetes Tablett, auf dem sich Brötchen, Frühstückseier und die große Chambordkanne mit Kaffee aus selbstgemahlenen Bohnen befanden. Ich lächelte ihn lasziv an, denn noch mehr Appetit als auf ein opulentes Frühstück hatte ich auf etwas ganz anderes. Er stellte das Tablett ab und legte sich neben mich.

      Ich schmiegte mich an ihn. »Lass uns ein Baby machen!«, flüsterte ich ihm ins Ohr.

      Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ganz ehrlich? Dass er mich in seine Arme nähme, mich küsste und etwas sagen würde wie »Nichts lieber als das, Catia, ich möchte eine ganze Fußballmannschaft«?

      Natürlich sagte er nichts dergleichen. Quinn hatte überhaupt kein Interesse an Fußball. Er löste sich aus meiner Umarmung und sah mich zornig an. Dann griff er sich schweigend seine Kleidung und verließ die Wohnung.

      Ich verstand die Welt nicht mehr und blieb zitternd auf dem Bett liegen. Irgendwann wurde es wieder dunkel draußen, und ich zog mich an. Ich saß am Küchentisch, als er gegen zehn Uhr abends wieder nach Hause kam. Er war betrunken und sagte Dinge, die mich sehr verletzten. Dabei zeichnete er ein hässliches Bild der Frau im Allgemeinen. Ich zog aufs Sofa.

      Am Tag darauf wechselten wir im Buchladen kein Wort miteinander. Es gab auch nichts zu sagen. Er hatte mir doch deutlich gezeigt, was er von meinem Vorschlag hielt, was er von mir hielt. Nach drei Tagen des Schweigens packte ich meine Sachen und zog zu meiner damaligen Freundin Corinna. Ich heulte eine ganze Woche lang, dann wurde ich sauer. Im Laden sprachen Quinn und ich nur das Nötigste miteinander, und ich begann mich nach einem neuen Job und einer neuen Bleibe umzusehen. Zwei Wochen nach meiner Frage, die alles kaputtgemacht hatte, fiel ich in das Günter-Grass-Display.

      Mittwochvormittag. Die Kinder waren in der Schule, die E-Mail an Stefan Starke mit der Bitte um einen dringenden Termin war versandt. Wie von der Kanzleileiterin empfohlen, mit der ich zuvor telefoniert hatte, hatte ich dem Schreiben eine kurze Schilderung der Situation beigefügt. Ich lungerte vor meinem Kleiderschrank herum und bereute meine Zusage, Quinn zu treffen, aus vollem Herzen.

      Rund zwei Stunden lang hatte ich bereits meine Haare auf Wickler gedreht, die Locken wieder ausgebürstet und die Haare erneut gewaschen. Während ich meinen Kleiderschrank durchwühlte, musste ich mir eingestehen, dass selbst die durchgestylteste Frisur nichts an der Tatsache ändern konnte, dass ich, seitdem Quinn mich das letzte Mal gesehen hatte, dreizehn Kilo zugenommen hatte. Das machte, so wie die verteilt waren, an gewissen Körperzonen drei Kleidergrößen mehr aus. Sehnsüchtig erinnerte ich mich an die schwarze Bootcut-Jeans, die über Jahre mein Lieblingskleidungsstück gewesen war. Nach einigem Hin und Her entschied ich mich für einen Lagenlook, bestehend aus einer schwarzen Hose, die erheblich größer war als meine frühere Favoritin, einem schwarzen Longtop und darüber einem lockeren, dünnen, oversized Seidenpullover in einem hellen Türkis. Dazu noch eine auffällige Kette und die hohen Sandalen, die mein Gebein streckten. Da es unwahrscheinlich war, bis zum Abend zehn Kilo abzunehmen, musste ich mich mit diesem Outfit anfreunden.

      Meine Nervosität nahm den Tag über stetig zu, gegen halb sieben war ich ein einziges Nervenbündel. Meine Haare hatte ich am Ende nur noch trockengeföhnt – ohne Wickler.

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