Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack
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Читать онлайн книгу Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille - Tobie Schmack страница 14
»Sag mal, drehst du langsam ab? Tribal am Mittwoch! Und von wem redest du hier eigentlich?«, platzt es aus mir heraus.
Die Recherche läuft. Ja, bezüglich des Tribals hat er es tatsächlich ernst gemeint und mit »in zwei Tagen«, das gerade eben neu eröffnete Tattoostudio am Theaterbrunnen neben Schmidts Elektrohandel. Bleibt noch Frage zwei. Das Publikum in der Bar würde sicher keine Antwort erahnen können, der Anruf ist hinfällig, und was bitte nützt ein Fifty-Fifty, wenn nicht minimal zwei mögliche Lösungen in Aussicht stehen. In mir dröhnt der Buzzer: TIME IS OUT! GLMPF! Ich steh wirklich auf Thüringer Klöße, aber nicht, wenn sie im Hals kleben.
Tacko wendet sich zu mir, zieht meinen Kopf zu sich heran und flüstert so intensiv in mich hinein, als würde die Inquisition hinter mir warten. »Die da … die ist dein Premium-Date für heute! Aber edel.«
Bullshit! Hat der gerade »Date« gesagt?
»Für heute?«
Ich muss hier dringend was klären.
Zu spät. Als ich mich umdrehe, kann ich lediglich eine schwache Silhouette ausmachen, die im Takt des Discobeats mal auftaucht und wieder im Dunkel verschwindet, sodass ich lediglich etwas Schlankes, circa einsfünfundsechzig Großes erkenne. In mein Gemurmel mischt sich eine Extraportion Angst, dass hier hoffentlich keine Nummer mit Piephahn in der Buchse droht. Kurz bevor sich die ersten Schweißperlen zur Furcht-und-Panik-Demo auf meiner Stirn zusammenrotten, erkenne ich das bisher befürchtete »Es« zweifelsfrei als eine eindeutig überschminkte »Sie«.
»Danke, Gott! Das ist ’ne Tussi.«
Mit kurzem Bobschnitt. Gut, so wählerisch will ich mal jetzt nicht sein, erde ich mich selbst, als ich merke, dass das Flackern vorüber ist und einer der Spots wieder genüsslich klemmt und damit direkt meine Visage faltenfrei ausleuchtet. Das Discolicht will auch nach Sekunden peinlicher Stille einfach nicht abblenden. Danke auch! Dem Laden spendiere ich irgendwann mal ’ne richtige Anlage. Glücklicherweise ist sie keine Puppe aus dem Wachsfigurenkabinett, sodass sie sich selbst dazu einlädt, sich an unseren Tisch zu setzen. Das heißt, unser Tisch ist eigentlich nur noch meiner, da Tacko die Kunstpause nutzt, mitsamt seiner Präsentation abzudampfen, vermutlich zu Mandy. Aber das ist wohl mein kleinstes Problem.
Wenn Opa mal was vom Krieg erzählt hat, ging’s immer um die Angst, den Feind im Nacken. In jeder Sekunde tödlich verletzt zu werden. Feuerstöße, ratatat … ratatat … ratatatat! Nein, hier sitzt keine Heckenschützin vor mir. Ich schaue direkt in das Mündungsrohr, an dessen anderem Ende der Finger lauernd am Abzug liegt. Die Schlacht beginnt und ich mache gar nicht erst den Versuch, mit der weißen Fahne ergeben zu wedeln. Stattdessen schleudern mich ihre Fragen wild umher, ohne mich dabei vom Stuhl zu fegen. Ja, man kann Leute besoffen quatschen. Was sonst passiert hier gerade mit mir! Ich sehe schon die Schlagzeile im Lokalteil von morgen: »MORD IN DER BAUHAUSSTADT! Single erliegt Ohrenbluten beim Speed Dating.« Nee, so geh ich ganz bestimmt nicht von dieser Welt, wenn ich auch zugeben muss, dass meine Rettungsversuche äußerst kläglich daherkommen. Ich höre mir selbst gebannt zu, wie ich in Hilfslosigkeit zu ertrinken drohe.
»Ja! – Nein! – Doch! – Nee, warte mal! – Ähm, Single. – Jaja! – Hm! – Ja! Dreier? Wieso? – Also! Deine Haare? Nee, schick! Haare halt! – Bestimmt! Ja – Ja. Bisschen. Russisch? Sieben Jahre, eben Schule! – Ja! – Wie? – Nee, echt! – Was? Fuffi pro Stunde? – Nein! – Ja! – Hab ich ›pummelig‹ gesagt? – Ähm, ja! – Zu mir? Was? – Ja! – Wie? Halb elf? – Äh! – Stopp mal! – Wer? – Standesamt? Morgen! – TACKOOO!«
Und plötzlich – aus! Stille! Keine Ahnung, ob mich ihre blitzenden Schüsse getroffen haben, aber die Ruhe nach diesem Quasselsturm ist gespenstisch. Wenn mir jetzt einer aus dem Nichts ungeschützt in den Rücken springen würde, meine Blase würde sich platzend freigeben. Hat da nicht eben noch die Frau gesessen, die zu jenem attraktivem Schattenspiel gehörte? Wo ist sie hin? Und worum ging’s hier wirklich, grübele ich, als mir Mandy ungefragt ein Bier vor die Nase setzt.
»Die Kleine ist weg. War ganz schön angepisst. Aber glaub mir, die wär eh nichts für dich. Das Bier ist von Tacko. Der hockt drüben an der Bar und glotzt mir ständig in den Ausschnitt«, beschwert sie sich nüchtern, wobei ich zu gern erwidern würde: »Wenn die Bar geöffnet ist, muss man sich nicht wundern, wenn einer was trinken will.«
Dabei versuche ich so unauffällig wie möglich in ihre Auslage zu schauen. Mandy dreht weiter ihre Runden. Hat die Schattenmaus eigentlich gesagt, wie sie heißt. Nee, oder? Speed Dating! Ja, genau! Ich wurde offiziell gespeeddated. Man trifft sich und nichts bleibt. Aber warum sollte man sowas wollen? Und was habe ich ihr so völlig überfahren bloß geantwortet? Panikartig taste ich meine Hemdtaschen ab. Gott sei Dank, meine Kohle ist noch da. Alles gut! Puh! Wie auch immer, damit könnte ich leben, auch wenn ich schleunigst das Foto mit dem Arschbackenring von meinem virtuellen Ich killen muss.
Ich proste Tacko gereizt zu: »Auf dich!«, was er mit einem stolzen »AUF JEDEN!« quittiert.
Richtig, auf jeden … auf jeden kommt das Schicksal aus einer völlig unerwarteten Richtung zu und manchmal klaut es ohne ein vermittelndes Zögern deine Zeit. Und alles fühlt sich an wie eine Thaimassage ohne Happy End. Ein glückliches Ende, das gibt’s wohl doch nur in Schnulzen.
»Und im Five-Step-Check der MenPlanet«, wirft Tacko galant von der Seite ein.
Es gibt in unserer Welt ein paar nette Gesetze. Einige davon sind so alt, dass wir die Urheber maximal aus dem Physikunterricht kennen. Andere lauern auf uns, um uns mit ihrer ganzen Stärke hinterrücks eiskalt den Alltag zu versüßen. So wie das: Im Winter fressen wir uns die Hucke voll, und sobald im Januar mal über null Grad erreicht sind, gibt sich die Damenwelt bauchfrei und frisch gedruckte Lebensretter schütten ihre »Fit in den Frühling«-Tipps aus. »Fett in den Lenz« wäre so viel entspannender. Mit dem Schnee kommt die Nahtoderfahrung für die Natur, mit einer frischen Trennung das schwarze Loch der Einsamkeit, das einen magisch ansaugt, um einen mit Haut und Haaren zu verschlingen. Und für all diese Momente gibt es findige Redaktionen, die uns nett verpackt in Hochglanz das gesellschaftliche Soll unter die Hirnlappen reiben. »Pimpt euch, findet euch und f**** euch«, damit auch noch morgen kraftvoll Magazine gelesen werden. MenPlanet, Tackos Lifestyle-Bibel, liegt nun ausgebreitet im Schummerlicht vor mir.
»Ey Henry, das geht auf. Kennste mich, kennste den Weg zu den Chicks. Und damit meine ich nicht den Hähnchengrill, he!«
Was ich da sehe, ist ein Adamskostüm, für das ich auf der Stelle eine Ode an die Männlichkeit hätte schreiben können, aber das wäre nun wirklich nicht hetero. Als ich Tacko dabei beobachte, wie er förmlich in den gedruckten Typen reinkriecht, frage ich mich, wer hier wirklich stationäre Betreuung braucht. Zugegeben, der Kerl sieht einfach makellos aus, sein leichter Bartansatz in der verschwitzten Wangenhaut kommt gut rüber. Dazu die Pose, als wolle er gleich jetzt und hier jede Maus in seinen heiligen Schoß legen. So viel Überzeugungskraft kennt man ja sonst nur als Ministrant in Bayern. Nein, da ist rein gar nichts, was mich mit ihm auch nur im Ansatz vergleichbar macht. Was Tacko nicht im Geringsten stört, nein, ihn sogar beflügelt, mich ganz offiziell zu seinem neuen Projekt zu küren: »Der Henry 2.0«.
Was auch immer er vorhat, ich hab keinen USB-Slot, okay? Die völlig haarbefreite Brustzone vom Cover-Dödel wird einzig und allein von einer fetten »5« bedeckt, die von seinen Brustwarzen eingefasst ist. Gerade als mir auffällt, dass der linke Nippel leicht nach links unten abdriftet, während sein rechtsliegendes Gegenstück geradezu frontal in meine Augen sticht, schiebt mir Tacko einen Gutschein in beißendem Rot mit ebenso beißend lächelnden Menschen herüber.
»Pass