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die es geben wird«, sagte er leichthin.

      Aber Magda kannte ihn zu gut: »Worauf zielst du ab?«

      »Auf nichts Besonderes. Es ist doch klar, dass jetzt auch unsere Meinung gefragt ist.«

      »Ja, das ist klar, aber du denkst noch an etwas anderes bzw. an einen anderen.«

      »So?«

      »Ja. Und ich ahne schon an wen, an Haberecht.«

      »Mag sein. Da spitzt sich einiges zu. Einmal muss ja eine Entscheidung fallen. Und ich glaube, dass Haberecht sie jetzt sucht. Eine bessere Chance kann er nicht bekommen.«

      Sie wandte sich erregt ab: »Das kotzt mich an.«

      »Was?«

      »Der Supergau fordert jetzt schon viele Opfer. Künftig werden Zehntausende oder wer weiß wie viele deshalb vorzeitig sterben. Und Politiker wollen daraus Kapital schlagen.«

      »Ich muss das nüchtern und sachlich sehen. Was immer ich mache, an den Tatsachen kann das überhaupt nichts ändern. Aber Haberecht und ich können nicht ewig als gleichberechtigte Parteivorsitzende zusammenarbeiten. Unsere Vorstellungen über die Entwicklung der Partei sind zu unterschiedlich. Einer muss sich durchsetzen. Ich werde erst einmal abwarten, was er jetzt macht. Im Moment triumphiert er und stolziert wie ein Gockel durch den Bundestag. Er und seine Gruppe hätten ja schon seit Jahren vor einer solchen Katastrophe gewarnt.«

      »Die spielt ihm ja tatsächlich in seine Karten«, meinte Magda nach kurzem Schweigen, »wenn jetzt eine Entscheidung fallen würde, dann für ihn. Würdest du dich jetzt gegen ihn wenden, würde er dich unangespitzt in den Boden rammen.«

      »So weit bin ich auch schon.«

      »Aber?«

      »Ich muss jetzt langfristig denken, sehr langfristig.«

      »Was meinst du?«

      »An die weitere Entwicklung. Gestern wurde gemeldet, dass in bestimmten Regionen die Feldfrüchte untergepflügt werden müssten. Nicht etwa nur in der Sowjetunion, nein, auch bei uns in Deutschland. Im Moment sind die Menschen in Schockstarre, aber das wird sie aufschrecken. Die Diskussionen darüber und über die Atomkraftwerke werden sich lange hinziehen. Aber«, er lächelte zuversichtlich, »aber nicht ewig andauern. Heute schwingt das Pendel zu Haberecht, aber eines Tages muss es seine Richtung ändern.«

      »Und wieder zu dir schwingen?«

      »Ich denke schon.« Josephs Stimme wirkte wieder zuversichtlich. »Eine Zeitlang muss ich aber kleine Brötchen backen. Doch die werde ich nicht ungenutzt verstreichen lassen.«

      So realistisch Joseph Adam die neue Situation bewertete, so falsch schätzte er deren Dauer ein. Was er eine Zeitlang genannt hatte, sollte Jahre erfordern. Erst ein neues, historisch zu nennendes Ereignis sollte sie wieder verändern.

      Aber so weit war es jetzt noch nicht. »Die Anderen« bestätigten zwar ihre beiden Vorsitzenden, aber praktisch führte sie Haberecht alleine. Und er trieb die so genannten Altparteien vor sich her. Wenn deren Spitzenpolitiker nun auch über die Verringerung des Anteils an Atomstrom diskutierten oder sogar zögerlich das Wort Ausstieg in den Mund nahmen, wurde das als sein Erfolg gewertet.

      Nach den nächsten Wahlen mussten für »Die Anderen« neue Bänke ins Plenum gestellt werden. Hinter den beiden Fraktionsvorsitzenden saß Joseph weiter neben Haberecht in der zweiten Reihe, aber sein Platz blieb oft leer. Manchmal sonderte er sich mit anderen Fraktionsmitgliedern in die hinteren Bänke ab, um irgendein Thema zu diskutieren, und dort redete er sogar mit Regierungsmitgliedern.

      Erst als es keine Abkehr von den Atomkraftwerken gab und sogar Neubauten genehmigt wurden, wurde die Gruppe um Joseph wieder größer. Weil vorher der scheinbare Erfolg Haberecht zugeschrieben wurde, passierte das jetzt auch mit den Misserfolgen.

      »Das Pendel ist umgekehrt«, sagte Joseph zu Magda.

      »Dann bist du bald wieder obenauf.«

      »Nein, nicht automatisch. Ich denke oft darüber nach, was ich machen muss, um wieder die Oberhand zu gewinnen. Und ich glaube, dass ich dafür ein völlig neues Thema brauche. Ein Thema, das für unsere Partei noch überhaupt keine Rolle spielt, das ich als erster in unsere Agenda bringe, am besten gegen Haberechts erbitterten Widerstand.«

      »Welches?«

      »Ja, das ist eben die Frage.«

      Auch mit Tante Sarah, die nach wie vor seine wichtigste Beraterin war, diskutierte er darüber. Sie fand die Antwort nicht sofort, lud ihn dann aber überraschend nach Westberlin ein.

      »Komm am Wochenende zu mir. Welche Termine du auch hast, lass sie platzen.«

      »Aber ich …«

      »Kein Aber, komm her und frage am Telefon nicht warum. Nur so viel, wir werden noch einen anderen Gast haben, einen ganz besonderen.«

      Bundestagsabgeordnete nutzten die Transitstrecke über die Autobahn eher nicht. Aber Joseph wollte sich darauf einlassen, um wenigstens seine Vormittagstermine nicht absagen zu müssen. Die lange Wartezeit und die gründliche Prüfung seiner Papiere und des Kofferraums am Grenzübergang hielt er für normal. Hinter Eisenach blickte er alle paar Sekunden auf den Tacho, um die erlaubte Geschwindigkeit von 100 oder 80 Sachen auf den Holperstrecken ja nicht zu überschreiten.

      Nur von dem freien Blick auf den Inselsberg ließ er sich kurz ablenken. Ein ehemaliger DDR-Bürger hatte ihm erzählt, dass manche Rennsteigläufer diesen steilen Hang rückwärts runterliefen, weil ihre überlastete Beinmuskulatur unerträglich schmerzte.

      Danach konzentrierte sich Joseph wieder auf den Tacho, und in der Baustelle am Hermsdorfer Kreuz wurde ihm das zum Verhängnis. Er verpasste die Abfahrt nach Westberlin. Das ging ihm wohl nicht alleine so, denn ein Mercedes mit Westberliner Kennzeichen folgte ihm. Und das war scheinbar kein Problem, denn die Abfahrt nach Rüdersdorf war auch als Wendestelle für Transitreisende nach Westberlin gekennzeichnet.

      Der andere Fahrer folgte ihm weiter und hielt sich ebenfalls streng an die vorgeschriebene Geschwindigkeit. Erst einige Kilometer vor der Berliner Kontrollstelle überholte er ihn, und dort wurde Joseph sofort auf einen Sonderparkplatz geleitet. Ein Offizier nahm ihm seine Papiere ab und wies ihn an, im Auto sitzen zu bleiben. Als Wächter stellte er einen bewaffneten Soldaten daneben. Eine Zeitlang beobachtete Joseph interessiert die Grenzkontrolle, die völlig unterschiedlich gehandhabt wurde. Bei manchen Insassen wurden nur die Papiere kontrolliert, andere mussten aussteigen und den Kofferraum öffnen, Dritte wurden auch zu Sonderparkplätzen dirigiert.

      »Das System ist die Systemlosigkeit«, hatte ihm der Rennsteigläufer erklärt, »keiner kann vorher abschätzen, was mit ihm passiert.«

      Das einmal selbst zu beobachten, war spannend, ermüdete aber auch. Joseph stieg kurz entschlossen aus.

      Der Soldat griff zu seiner Waffe. »Steigen Sie sofort wieder ein!«

      »Entschuldigung, ich müsste mal dringend zur Toilette.«

      »Steigen Sie sofort wieder ein!«

      »Verstehen Sie mich nicht? Ich habe ein dringendes …«

      »Maul halten!«, brüllte der Soldat, »Einsteigen!«

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