Brennpunkt Ukraine. Christian Wehrschütz

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Brennpunkt Ukraine - Christian Wehrschütz

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Sondern man wollte, dass wirklich normale Verträge standhalten.

      Wir können uns jetzt unter Janukowitsch ansehen, wie die Gerichte gearbeitet haben und ausländischen Investoren ihre Investitionen einfach weggenommen haben. Das Gleiche gab es unter Juschtschenko und Timoschenko, wobei das Stockholmer Schiedsgericht Jahre später Entscheidungen rückgängig gemacht hat. Sie sehen das jetzt auch wieder, es passiert genau das Gleiche, nämlich dass die Gerichte auf politischen Zuruf hin Unternehmen einfach beschlagnahmen, nationalisieren, Verkäufe annullieren, obwohl diese eigentlich nach internationalem Recht geschlossen wurden. Es gibt keine Rechtssicherheit. Es gab sie damals nicht und es gibt sie heute nicht. Und gerade da hoffen die Unternehmen darauf, dass diese Rechtssicherheit durch die europäischen Gesetze gegeben sein wird.

       Welche Rolle spielten bei den Verhandlungen über dieses Assoziierungsabkommen Fragen wie die Justizreform, der Kampf gegen die Korruption – das hat ja beides mit Rechtssicherheit zu tun – sowie auch Fragen der Menschenrechte, der Mediensituation?

      Also die Rechtsreform war eigentlich eines der allergrößten Themen, die angegangen werden mussten oder bei denen der Rechtsrahmen geschaffen werden musste, bevor das Assoziierungsabkommen unterschrieben werden konnte. Es war Teil dieser sog. „Füle-Liste“8. Es gab eine Strafrechtsreform. Es wurden Antikorruptionsgesetze beschlossen. Am Ende, also im Herbst 2013, gab es nur noch zwei Punkte auf der „Füle-Liste“, die damals nicht erfüllt waren. Das war zum einen die zweite Lesung zur Reform der Staatsanwaltschaft, die hätte man aber vermutlich noch gemacht. Da hat sich der Generalstaatsanwalt mit aller Macht der Aufspaltung seiner Behörde, die gerade der Hort der Korruption war, widersetzt. Und der zweite Punkt war die Freilassung von Timoschenko. Aber die Rechtsreform als solche war man angegangen und hatte man zumindest auf dem Papier und im Parlament beschlossen.

      Ich möchte übrigens darauf verweisen, was untergegangen ist: Nach dem Maidan9 war einer der direkten Beschlüsse des angetretenen Parlaments, diese Gesetze sofort wieder zu annullieren, die eigentlich auf Druck der Europäischen Union beschlossen worden waren. Aber gerade dieser Kampf gegen die Korruption, genau diese Punkte waren ja der Hintergrund, den diejenigen, die diese europäische Integration aus dem Lager von Janukowitsch betrieben haben, angehen wollten. Weil sie ja selbst auch die Leidtragenden waren. Sie haben selbst investiert und sie waren selbst diejenigen, denen alles weggenommen wurde. Es gab, auch das ist in der Europäischen Union eigentlich untergegangen, im Dezember 2013, als das Assoziierungsverfahren nicht unterschrieben worden war, einen Aufstand innerhalb der Partei der Regionen, bei dem man vor allem unter der Führung von Tihipko10 versucht hat, die familiäre Struktur der Familie von Janukowitsch, die einfach überall „Familie“ genannt wurde, zu eliminieren, vor allem den ersten Vizepräsidenten Arbusow11 und den Finanzminister Kolobow. Man wollte die „Familie“ damals komplett eliminieren, weil die Wirtschaftsführer, also die großen Unternehmer, die im Parlament waren, in der Fraktion der Partei der Regionen, selbst nicht mehr existieren konnten. Ihnen wurde von Janukowitschs Familie, seinem Sohn und dem Generalstaatsanwalt Wiktor Pschonka mit seinem Sohn Artem, der ebenfalls Abgeordneter war, alles weggenommen. Man hat sie erpresst noch und nöcher. Und die Unternehmer selbst haben sich gewehrt und gesagt: Wir können so nicht mehr existieren. Wir müssen hier etwas ändern. Dieser Wechsel, wie wir es öfter schon in der Geschichte gesehen haben, dieser Aufstand kam zu spät. Aber es gab ihn und er wurde damals eben vom Generalstaatswalt und der Familie von Janukowitsch unterdrückt und hat nicht zu dem Ergebnis geführt, das man sich im Jahr 2013 eigentlich erhofft hatte.

       Wann war eigentlich das Abkommen reif für die Unterzeichnung? Nämlich insofern, als man hätte sagen können: Okay, abgesehen von ein paar Punkten, die Sie auch genannt haben, hätte man unterschreiben können. Und welche Rolle bei der Verzögerung der Unterzeichnung spielte eigentlich der Fall der Timoschenko, also die Frage der Freilassung von Julija Timoschenko, die in Charkiw im Gefängnis saß? Hat das die Verhandlungen, die Unterzeichnung substanziell verzögert?

      Im März 2012 war das Abkommen technisch fertig. Da wurde zunächst der Teil zum Freihandelsabkommen zwischen Kljujew und De Gucht12 paraphiert – also 2012 war man eigentlich so gut wie fertig –, und noch einmal das ganze Abkommen durch den Außenminister einen Monat später.

       Das Freihandelsabkommen?

      Erst gab es das Freihandelsabkommen. Die EU braucht grundsätzlich mindestens ein halbes oder ganzes Jahr, um Abkommen zu übersetzen, linguistisch zu prüfen, den Mitgliedsstaaten vorzulegen und so weiter und so fort. Also es gab da eigentlich keine weitere Verzögerung. Wenn wir uns ansehen, welche die Voraussetzungen waren, gab es die sog. „Füle-Liste“ mit mehr als 70 Punkten, die damals zwischen Kljujew und Füle erarbeitet worden und nun abzuarbeiten war. Die war bis auf zwei Punkte, also die endgültige zweite Lesung der Reform der Generalstaatsanwaltschaft und die Freilassung von Timoschenko, erfüllt. Timoschenko, da hat sich Janukowitsch entsetzlich schwer damit getan. Da war der erste Schritt die Freilassung von Luzenko13, der ebenfalls im Gefängnis saß, der wegen Korruptionsvorwürfen ja verurteilt worden war. Es wurde damals von Kljujew und Füle durchgesetzt, dass er freikam. Aber bei Timoschenko ging es im August 2013 zwischen „wir lassen frei“ und „wir lassen nicht frei“ immer wieder hin und her. Janukowitsch hatte eine panische Angst vor Timoschenko und der Möglichkeit, dass sie ihn stürzen würde. Er hatte nie gedacht, dass es auch ein anderes Szenario geben könnte. Das spielte gewiss eine Rolle.

      Aber es war nicht der entscheidende Punkt für die Nichtunterzeichnung. Das Problem war, dass die Ukraine im Herbst 2013 vor dem Staatsbankrott stand. Und die Verhandlungen mit dem IWF waren weitestgehend gescheitert, weil der IWF forderte, Sozialleistungen zu kürzen, Leute zu entlassen und die Strom- und Gaspreise für die Zivilbevölkerung zu erhöhen, die es sowieso schon schwer hatte. Und das war für die Regierung unter Janukowitsch nicht annehmbar. Eine andere Forderung war, die Griwna freizugeben und damit die Währung deutlich abzuwerten, was ebenfalls zur weiteren Verarmung der Menschen geführt hätte. Nachdem man unter Janukowitsch am Ende sogar schon so weit war, die meisten dieser Punkte zu erfüllen, hat der IWF neue Forderungen gestellt und ebenfalls auf der Freilassung Timoschenkos bestanden. Und es wurden immer wieder neue Forderungen erhoben, statt einen neuen Standby-Kredit zu geben, wobei hinzuzufügen ist, dass dieser Standby-Kredit eigentlich dazu dienen sollte, zum größten Teil die Schulden, die die Ukraine beim IWF hatte, zurückzuzahlen. Man hatte im Herbst kein Geld und musste die Schulden bedienen, um nicht einen Staatsbankrott zu haben.

      Gleichzeitig haben die enormen Gaspreise, vor denen die Ukraine stand, die Industrie im Donbass14 unter erheblichen Druck gesetzt. Man konnte nicht mehr wirtschaftlich produzieren. Da hat Russland die Schwäche von Janukowitsch ausgenutzt und gesagt: Wir geben dir das Geld und du kriegst eine Reduzierung deiner Gaspreise, wenn du das Assoziierungsabkommen nicht unterschreibst. Und in dem Moment hat Janukowitsch nicht gesagt: Wir unterschreiben. Er hat gesagt: Wir setzen die Unterschrift aus. Wir können es jetzt nicht unterschreiben. Wir müssen das Problem mit Russland zunächst klären. Man darf eines nicht vergessen: Es gab einen Handelskrieg zwischen der Ukraine und Russland, der intensiv Mitte August 2013 begonnen hatte, als Russland die meisten Waren aus der Ukraine nicht mehr ins Land ließ und die ganzen Güter, Lebensmittel und Ähnliches, an der Grenze standen und verdarben. Und auch die Metallindustrie konnte ihre Produkte nicht mehr in die Ukraine liefern. Da fing das Ganze schon an. Damals, ein Jahr vorher schon, hatte die Regierung Asarow die EU gebeten, förmlich gebettelt, bei den Verhandlungen mit den Russen zu helfen. Die EU hat damals gesagt: Nein, es ist eure Angelegenheit mit den Russen zu verhandeln. Ihr müsst wissen, was ihr wollt. Es gibt einen bilateralen Vertrag zwischen euch und der Europäischen Union, der geht die Russen nichts an, und uns gehen eure Verträge mit den Russen nichts an, solange diese konform sind. Aber Freihandelsabkommen innerhalb der GUS sind kompatibel mit dem Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union. Deshalb haben wir keine Probleme, also klärt eure Probleme mit den Russen selbst.

       Würden Sie sagen – weil das immer eine Debatte war –, Janukowitsch wollte unterschreiben, aber er konnte nicht, weil er sich in einer Sandwichposition zwischen dem Druck Russlands

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