Brennpunkt Ukraine. Christian Wehrschütz
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Ich möchte zunächst auf die Frage der Krim zurückkommen. Die Krim hat als autonome Republik vorher schon, hat immer die Bestrebung gehabt, sich loszulösen. Auch unter Janukowitsch. Und es hat die Janukowitsch-Regierung extrem viel Mühe und finanzielle Mittel gekostet, die Krim bei der Ukraine zu halten. Es hat immer wieder Überzeugungsarbeit gefordert, um diese separatistischen Bestrebungen auf der Krim nicht weiter aufflammen zu lassen. Das dürfen wir wirklich nicht vergessen. Man hat es nur mit Dialog und viel Geld zu verhindern gewusst.
Die Situation nach dem Februar im Osten der Ukraine: Wir müssen uns überlegen, wer die Gouverneure waren, wer die starken Figuren waren und welche Mittel sie eingesetzt haben. Wir haben die Situation gehabt, dass Timoschenko im Februar, als sie, kaum aus dem Gefängnis raus, in der nationalen Sicherheitsratssitzung hinter verschlossenen Türen selbst angedeutet hat, wer eigentlich die Gouverneure in den Regionen des Ostens werden sollten. Es war ihr Vorschlag mit Kolomojskij28 und sie hatte eigentlich vorgesehen, dass Achmetow29 Gouverneur in Donezk werden sollte. Achmetow hat damals abgelehnt. Und dementsprechend gab es keine starke Figur in Donezk, die es machen konnte. Taruta30, der eigentlich Lugansk machen sollte, hat dann Donezk übernommen, aber er wurde von den örtlichen wirtschaftlichen Eliten nie als einer der ihren angesehen, sondern war eigentlich von da verdrängt worden. Das heißt, die regionalen wirtschaftlichen Eliten, Achmetow und andere, haben für den Erhalt ihrer Macht gekämpft. Einer ganz bestimmten. In Dnipropetrowsk hatten wir Kolomojskij, der von vornherein auch mit sehr vielen nicht rechtsstaatlichen Mitteln und Gewalt jede Bewegung unterdrückt und die wirtschaftliche Elite im Osten unter Druck gesetzt hat. Wir hatten das Gleiche auf eine andere Art und Weise in Charkiw mit dem regional sehr starken Kernes31, dem Bürgermeister von Charkiw, der ebenfalls dafür gesorgt und sich mit den Russen auch geeinigt hat, dass es da nicht zu größeren Zerstörungen kam, größeren Druck gab.
Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass es in Charkiw und Dnipropetrowsk, obwohl es immer eine Mehrheit für die Partei der Regionen gab, auch stets eine starke Unterstützung für die Partei von Timoschenko gab. Es war nie so deutlich wie in der Lugansk, in der klar 90 % für die Partei der Regionen waren. Und wenn wir uns das ansehen, wie viel Furcht diese Leute beherrscht hat, woher sie kommen, müssen wir zurückgehen in die Jahre 2004, 2005, als nach der Orangenen Revolution damals die Leute ebenfalls von Kiew unterdrückt wurden, Leute eingesperrt wurden, es schwarze Listen gab, Leute einfach entlassen wurden. Die Leute hatten Angst. Und man wollte sich gegen dieses Kiew zur Wehr setzen. Die Propaganda aus Russland spielt sicher eine Rolle. Aber es ist nicht der einzige Faktor. Man hatte die Erfahrung, wie es schon einmal gewesen war, und man wollte nicht zurück. Und man wollte seine Jobs nicht verlieren oder eine Renationalisierung von Unternehmen, die zu erwarten war. Und man hat gesehen, wozu das inzwischen geführt hat, dass zum Beispiel die drittgrößte Bank der Ukraine, die dem Oligarchen Nowinskij32 gehört hatte, inzwischen verstaatlicht wurde und die Menschen ihr Gespartes verloren haben. Das hat alles zu sehr viel Unsicherheit geführt und man wollte sich diesem Kiew widersetzen.
Wir haben jetzt wieder einen brüchigen Waffenstillstand. Es soll Verhandlungen geben. Was ist Ihre Perspektive für den Ansatz einer Lösung dieser Krise und des Bürgerkriegs?
Der Waffenstillstand ist aufgrund des Drucks der Europäer, denke ich, zustande gekommen. Poroschenkos33 Sicht ist, dass er gegen Russland keinen Krieg führen und gewinnen kann. Darauf beruht die eigentliche Idee des Waffenstillstands. Die freiwilligen Bataillone, die von Kolomojskij finanziert werden, vor allem haben eigentlich kein Interesse an diesem Waffenstillstand. Russland hat ein Interesse daran, die Kontrolle über die Region zu behalten. Wenn Russland Kontrolle über die Region in der einen oder anderen Art erhält, könnte der Waffenstillstand halten, wenn die Kiewer Regierung die freiwilligen Bataillone irgendwie unter Kontrolle bekommt und entwaffnet. Aber da bin ich noch von großem Zweifel behaftet.
Das ganze große Problem der Verhandlungen ist, dass sie von Leuten geführt werden, die eigentlich nicht das Sagen haben. Wir haben heute keine Verhandler, die in der Lage sind, zwischen Russland, der Ukraine und der Europäischen Union zu vermitteln. Wir haben keine Persönlichkeiten, die agieren, die von allen Seiten gehört werden. Wenn wir bedenken, dass Herr Kutschma als ehemaliger Präsident ein Einreiseverbot für Russland hat, wie sollen die Russen, die Kutschma nicht akzeptieren, mit ihm verhandeln? Gleichzeitig nimmt die Separatistenführer ebenfalls niemand ernst, weil es Banditen und Kriminelle sind. Es gibt keine Figuren, die als Garant für die verschiedenen Regionen stehen. Das heißt, wir müssen dazu zurückkommen, die Wirtschaftseliten, die auch den Aufbau des Landes betreiben, an einen Tisch zu holen und auf der Ebene dieser Wirtschaftseliten eine Garantie zu finden, dass die Leute eine Perspektive für die Zukunft bekommen. Denn in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten, ebenso wie in Dnipropetrowsk, in Charkiw, aber auch in Lwiw und Riwne und den anderen Regionen, muss das wirklich auf der Basis der regionalen Eliten geschehen. Die müssen zusammengeführt werden und zusammen zu einer Form kommen, wie man den neuen Staatsaufbau organisiert. Nur das ist eine Möglichkeit, zu einer Zukunft zu finden. Heute die ehemaligen Vertreter der Partei der Regionen auszuschließen, die wirklich die Vertreter der regionalen Wirtschaften sind, ist ein verheerender Fehler, und wir werden noch sehr teuer dafür bezahlen.
Das Assoziierungsabkommen ist unterzeichnet worden. Das ukrainische Parlament hat es inzwischen ratifiziert. Wie sehen Sie aus dieser Perspektive die weitere EU-Annäherung oder die weitere Zukunft dieses Abkommens?
Inzwischen gibt es keine Alternative zum Abkommen. Jetzt heißt es, implementieren und auf die Hilfe der EU und der internationalen Investoren hoffen, dass die Ukraine wirtschaftlich und damit auch als Staat überleben kann und nicht, wie bereits einige Analysten prophezeien, zu einem gescheiterten Staat wird. Poroschenko hatte genügend Druckmittel auf die Abgeordneten, um seinen Willen durchzudrücken. Denn diejenigen, die sich heute gegen dieses Assoziierungsabkommen stellen, wird der Präsident wirtschaftlich und politisch vernichten.
Wie beurteilen Sie die Rolle der EU in diesem Konflikt, in diesem ganzen Jahr eigentlich? Hat die EU in einer gewissen Art von Desinteresse oder Unverständnis diese Entwicklung selbst mitverschuldet?
Wir haben uns als EU mit einer Arroganz gegenüber Russland aufgestellt – was wir nicht hätten machen dürfen. Wir hätten das Gespräch mit den Russen suchen müssen, und dem haben wir uns verweigert. Das war der erste große Fehler. Das heute, im Nachhinein, zu machen, sehr viel mehr Geld auf den Tisch zu legen, als es uns damals gekostet hätte, und in einer Situation des Krieges zu leben, zeugt eigentlich davon, dass die EU nach wie vor nicht verstanden hat, wie man als Global Player zu reagieren hat. Und die Lehre daraus ist, dass man, wenn man sich einem Dialog verweigert, wie es die EU gemacht hat, eigentlich jegliche außenpolitische Konsequenz in diesem Bereich verliert. Und hier ist der Ansatz. Und da ist die Mitschuld der Europäischen Union für die Entwicklung in der Ukraine zu sehen.
Aber das heißt, es ist unbedingt notwendig, dass auch jetzt ein Dialog zwischen der EU bzw. ihren starken Mitgliedstaaten und Putin und Moskau geführt wird?
Ich sehe vor allem die Europäische Union als solche, als Ganzes, und nicht als Deutschland. Es ist ganz wichtig, dass gerade die EU geschlossen auftritt. Und vielleicht hat die neue italienische Außenbeauftragte die Möglichkeit, einen Neuanfang in diesem Dialog zu suchen. Ohne Russland wird es keine Stabilität in Europa geben. Es kann nur Stabilität in Europa mit Russland geben. Im Umkehrschluss heißt das, es kann eine Zukunft für die Ukraine nur mit und nicht gegen Russland geben. Wenn wir das nicht schaffen, dann wird es keine dauerhafte Stabilität an den Außengrenzen der Europäischen Union geben.