Brennpunkt Ukraine. Christian Wehrschütz
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Ich denke also, dass die Ukraine tatsächlich „Grenzland“ bedeutete, so wie dies für die „Ostmark“ im Osten des Frankenreichs galt. Da Stalin und die anderen bolschewistischen Führer wollten, dass man die nicht-russischen Nationalitäten respektierte, teilten sie diese Republiken auf und gaben ihnen Namen, die normalerweise vielleicht die Mehrheit der Bevölkerung vertraten, manchmal nicht einmal die Mehrheit. Aber sie behaupteten: Okay, wir haben keinen großen russischen Chauvinismus, wie die Zaren ihn hatten, und wir respektieren diese Nationalitäten. Natürlich wurde von allen Nationalitäten erwartet, loyal zu den Bolschewiki und zum Kommunismus als Ideologie zu sein. Natürlich entwickelten sie auch die Idee, dass der neue sowjetische Mensch fast frei von diesen nationalistischen Tendenzen sein und eine höhere Treue zum Gesamtstaat haben müsse.
Ich glaube, Gorbatschow hat die Kraft des lokalen Nationalismus nie wirklich verstanden. Er dachte tatsächlich, man hätte einen sowjetischen Menschen in diesem Sinne geschaffen. Und das ist – zusammen mit KGB-Desinformation – ein Grund dafür, dass ihm nicht bewusst war, wie stark einige dieser Tendenzen waren. Ich meine, ihm wurde zum Beispiel durch den KGB gesagt, dass nicht viele Litauer Landsbergis37 etc. wirklich unterstützten, was einfach nicht der Wahrheit entsprach.
Der Punkt ist, dass Stalin und die anderen bolschewistischen Führer die Fassade des Respekts für die nicht-russischen Völker aufrechterhalten wollten – ohne dass sie wirklich die Kontrolle über sie hatten. Einige der ersten Säuberungen in der Ukraine waren natürlich gegen Angehörige der ukrainischen Nationalität gerichtet. Galizien und die westlichen Gebiete waren in den 1920er- und 1930er-Jahren noch nicht einmal Teil der Ukraine. Aber auch damals gab es eine historische Trennung zwischen den Bereichen westlich von Kiew, die Teil des Königreichs Polen und Litauen gewesen waren, und denen, die weiter östlich lagen, die russisches Grenzland gewesen waren. Und wenn man diese Dinge alle zusammensetzt, schafft man jene Situation, die wir heute haben. Und natürlich ist die Krim noch einmal eine völlig andere Frage.
Glauben Sie, dass eine Art militärische Lösung mit vertretbarem Aufwand überhaupt möglich ist?
Ich habe keine Ahnung. Ich bin nicht nah genug dran. Man sieht so viele widersprüchliche Berichte, wer was tut, und offensichtlich war die russische Propaganda sehr stark. Aber ich denke, auch Kiew hat uns nicht immer ein vollständiges Bild von dem gegeben, was geschehen ist. Alle verzerren die Berichte in ihre eigene Richtung. Offenbar war die ukrainische Armee viel besser organisiert als in Slowjansk, offenbar sind auch viele militante Kräfte von dort einfach nach Donezk gegangen. Es wird viel schwieriger, in Donezk, einer viel größeren Stadt, zu agieren, mit all der Zivilbevölkerung. Ich denke, dass diese „Rebellen“ professionelle Kämpfer sind. Man könnte sie Söldner oder Veteranen nennen, sie sind ziemlich hart.
Es ist keine Frage, dass die Russen diese Rebellion gefördert haben. Auf der anderen Seite bin ich nicht sicher, dass Russland sie vollständig kontrolliert, obwohl sie zusätzlich zu den öffentlichen Appellen zweifellos ihre verdeckten Verbindungen haben, über die sie Nachrichten weitergeben. Aber auch wenn Putin wirklich wollte, dass sie ihre Waffen niederlegen, vermute ich, dass sie es nicht tun können. Aber es gibt so viel, ich würde sagen, Mangel an Glauben auf beiden Seiten, es gibt offensichtlich auf beiden Seiten kein Vertrauen, dass man zu einer zufriedenstellenden Vereinbarung kommt, die die andere Seite halten wird. Ich denke, es ist eine sehr schwierige Situation. Aber sicherlich kann ich nicht hier sitzen und sagen, wie es weitergeht.
Ich weiß nicht, wie viel Unterstützung die aktuelle Regierung in Kiew tatsächlich hat. Ich bin aber ziemlich sicher, dass die meisten Menschen in der Region Donezk nicht Teil der Russischen Föderation werden wollen. Auf der anderen Seite sind es wahrscheinlich nicht alle, die für Petro Poroschenko sind, in Anbetracht seines Hintergrunds.
Sie haben in einem Ihrer Blogs erwähnt, dass die Ansicht der meisten Medien über die Unruhen zu sein scheint, dass der eine oder der andere die Ukraine gewinnen oder verlieren wird. Und Sie haben gesagt, glaube ich, dass dies ein fundamentaler Fehler sei. Auf der anderen Seite war es Zbigniew Brzeziński38, der diesen berühmtesten Ausspruch über die Ukraine und Russland machte: Ohne die Ukraine wird Russland niemals wieder ein Imperium sein, und mit der Ukraine wird Russland fast sicher wieder ein Imperium …
Ich stimme dem nicht zu … dieser Art zu denken. Zbig ist ein Pole – und Polen, glaube ich, waren noch nie in der Lage, eine vernünftige Ansicht von Russland zu haben und dies intellektuell auszudrücken. Okay, man kann sagen, Russland ist ein Imperium, weil dort 20 % Muslime leben. Sind die USA ein Imperium? Ich meine, das ist nicht wirklich die Art, wie ich es betrachten würde. Brzeziński fand ebenfalls die These von Mackinder sehr attraktiv, dass derjenige, der das „Kernland“ kontrolliert, die Welt kontrolliert39 – was nie wahr gewesen ist. Wenn jemand überhaupt das Kernland kontrolliert hat, hat er das Kernland kontrolliert und sonst nichts. Das ist die Geschichte: Großbritannien war nicht das Kernland, aber das britische Empire kontrollierte, als es eine Seemacht war, mehr von der Welt als alle anderen Staaten zu der Zeit. Jetzt geht es auch um die Macht in der Luft, im Weltraum usw. und das Kernland, wie es dort definiert ist, neigt dazu, ein riesiges Gebiet zu sein. Ich meine also, einige dieser abstrakten Theorien, die Brzeziński angezogen haben, sind meines Erachtens nachweislich nur falsch.
Wenn alles russischer Imperialismus ist, sogar in einem Gebiet mit mehrheitlich Russen, die in Russland sein wollen, was wahrscheinlich auf die Krim zutrifft, wenn das Imperialismus ist, was ist dann mit der Selbstbestimmung? Sind es nur Russen, die kein Recht auf Selbstbestimmung haben? Ich meine, das ist so, wie es den Russen scheint, und das ist nicht so sehr übertrieben. Denn obwohl es eine Abstimmung auf der Krim gab, ob man in der Sowjetunion bleibt (und die Abstimmung für die Unabhängigkeit war etwas über 50 %, wenn ich mich erinnere, die im Dezember 1991), gibt es keine Frage, dass die Mehrheit der Russen dort zumindest kulturell nie das Gefühl hatten, ukrainisch zu sein. Und sie wurden nie gefragt: Würden Sie es vorziehen, in Russland oder der Ukraine zu sein? Nie wurde das gefragt. Dieses neueste Referendum, das nicht frei war, beantwortete angeblich diese Frage. Aber ich vermute, im Einklang mit den Meinungsumfragen, dass weit über 50 %, vielleicht nicht viel mehr als sechzig, nicht überwältigend, schon gar nicht 90 % wirklich lieber in Russland sein würden. Und sicherlich hat Russland die Krim als Teil des russischen Territoriums angesehen, seit Katharina die Große die Halbinsel von den Tataren übernahm. Damit wird dies zu einer sehr emotionalen Angelegenheit. Ich denke, es hat wirklich nichts damit zu tun, ob Russland wieder ein Reich sein wird oder nicht. Es scheint mir, dass das eine sehr engstirnige polnische Ansicht ist.
Die Ukraine ist ein Nachbarland Russlands, sie unterhält enge Beziehungen zu Russland. Für die Vereinigten Staaten ist sie nur ein Teil, eine Bevölkerung, ein Staat im geopolitischen Streit und geopolitischer Gewinn. Auf der anderen Seite ist die Ukraine für Russland wirklich von lebenswichtiger Bedeutung. Wie sehen Sie das, wenn Sie vergleichen, was die Ukraine für die Vereinigten Staaten und was die Ukraine für Russland bedeutet?
Ich glaube nicht, dass die USA tief in diese Fragen einbezogen werden sollten. Ich verstehe, dass es ein Prinzip der Souveränität und der Störungen gibt, die territoriale Integrität, all das, das sind wichtige Fragen. Dies sind wichtige Prinzipien, aber es gibt auch andere, Selbstbestimmung ist eines von ihnen. Wir haben die Richtlinien der Schlussakte von Helsinki. Aber meiner Ansicht nach war der Angriff auf Serbien im Kosovo ohne UN-Mandat, sondern nur durch die NATO – und dann die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch die USA und eine Reihe von NATO-Verbündeten – eine direkte Verletzung der Verpflichtungen von Helsinki. Diese besagen ja, dass, wenn es Änderungen der Grenzen gibt, dies in gegenseitigem Einvernehmen geschehen muss. Jetzt hat natürlich nicht die NATO oder eines ihrer Mitglieder das Gebiet des Kosovo eingenommen, aber die USA und einige andere haben den Kosovo zumindest