Brennpunkt Ukraine. Christian Wehrschütz

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Brennpunkt Ukraine - Christian Wehrschütz

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um die Rolle von Janukowitsch bzw. eine Mischung aus den verschiedensten Strömungen. Einerseits sollte Janukowitsch weg, andererseits haben Vertreter ukrainischer nationalistischer Parteien oder Ultranationalisten dort eine Rolle gespielt. Wie hat sich aus Ihrer Sicht diese Entwicklung der Maidan-Bewegung dargestellt? Auf die Schlüsselwoche bis zum 21. Februar möchte ich bitte noch gesondert eingehen.

      Wenn wir uns ansehen, wie der Maidan begonnen hat, gab es eigentlich zwei Maidan-Bewegungen. Es gab die eine Maidan-Bewegung, die Mustafa Najem von der Ukrajinska Prawda17 initiiert hat, den Studenten-Maidan, der übrigens auch innerhalb der Partei der Regionen zum Teil Unterstützung fand. Es war ja die Idee gerade derjenigen, die für die europäische Integration waren. Und es gab parallel einen zweiten, politisierten Maidan, in dessen Rahmen die Partei von Timoschenko, Batkiwschtschina18, sowie UDAR19 und Swoboda20, also die damalige Oppositionspartei, versucht haben, ihren eigenen politischen Maidan aufzubauen. Dieser politische Maidan war eigentlich gescheitert und man hatte ihn schon aufgelöst. Es blieb nur noch der studentische mit den entsprechenden Forderungen übrig. Es verlief sich eigentlich alles bis zur Nacht vom 30. November, als man angefangen hat, die Studenten vom Maidan zu vertreiben und wirklich brutalst zusammenzuschlagen. Warum das geschehen ist, ist nicht klar, weil zu dem Zeitpunkt eigentlich schon klar war, dass der Maidan sich am Sonntag, also zwei Tage später, selbst auflösen würde. Warum man damals diese Studenten zusammengeschlagen hat, ist bis heute unerklärlich. Und es nicht geklärt, wie das eigentlich zustande kam, warum und wer welche Rolle in der ganzen Sache gespielt hat. Diese Brutalität des Systems, diese sinnlose Gewalt hat erst den Widerstand möglich gemacht. Wenn wir uns an die halbe Million Menschen erinnern, die dann auf die Straße gegangen sind, um gegen diese Brutalität vorzugehen, dieses korrupte System, dieses willkürliche System, war das eigentlich der Umschlag, dass man gesagt hat: Wenn ihr unsere Kinder schlagt, das geht gar nicht. Eure Korruption, an die haben wir uns gewöhnt, keiner ist besser, nicht die Opposition, nicht Janukowitsch, alle stehlen sie. Aber unsere Kinder zusammenschlagen – das geht nicht! Das hat das Volk auf die Straße gerufen. In dem Moment hat man dann angefangen, wie im Lehrbuch geschrieben, revolutionäre Stimmung zu schaffen, eine Revolution aufzubauen.

      Da haben auch die Strukturen vom Herrn Soros21 eine sehr große Rolle gespielt, die das Ganze dann auch begleitet haben. Man hat ganz gezielt die Leute aus der Westukraine nach Kiew geholt, die eigentlich mit der Kiewer Bevölkerung, also dieser halben Million Menschen, die da auf die Straßen gingen, nichts mehr zu tun hatten. Das wurde dann übernommen von organisierten Strukturen, die wirklich eine Revolution herbeiführen wollten. Und das waren zumeist aus der West-, aber auch Zentralukraine herbeigeschaffte Leute. Man muss sich auch keiner Illusion hingeben: Es gibt genügend Belege dafür, dass die Leute sowohl auf dem Maidan als auch auf dem Anti-Maidan entsprechend für ihre Aktivitäten bezahlt wurden. Es gab ganz normale Tagessätze. Und wenn man in einer Woche auf dem Maidan mehr verdiente als in einem Monat durch reguläre Arbeit irgendwo in der Westukraine, ja selbst in der Ostukraine (aber in der Ostukraine waren die Bezahlungen etwas besser), dann war es klar, dass die Leute ganz bewusst da standen. Viele standen da zunächst auch, weil sie bezahlt wurden. Und der ideologische Hintergrund hat sich damit immer mehr aufgebaut.

       In welchem Ausmaß? Wir haben dann Phasen der Eskalation, der Deeskalation erlebt, bis hin zur entscheidenden Woche, in der Janukowitsch im Beisein des deutschen Außenministers Steinmeier 22 , des französischen und des polnischen Außenministers am 21. Februar, also praktisch unmittelbar vor seinem Sturz, ja dieses Abkommen unterzeichnet hat, auch mit der Opposition. Entscheidend ist diese Woche vor dem 21. Februar. Der Höhepunkt war dann der Einsatz von Scharfschützen mit diesen fast 100 Toten. Wie haben Sie diese Situation, diese Woche erlebt? Und in welchem Ausmaß haben Sie den Eindruck, dass hier Kräfte gesteuert oder eine Rolle gespielt haben, die jenseits der Macht des Präsidenten lagen? Denn die Frage, wer die Scharfschützen eingesetzt oder beordert hat, ist ja in letzter Konsequenz bis heute nach wie vor nicht wirklich geklärt.

      Wir müssen uns, denke ich, von der emotionalen Ebene der Diskussion der Umstände entfernen und wirklich auf die Faktenlage sehen. Wir hatten ein Parlament, das nicht funktionsfähig war, es gab keine parlamentarische Arbeit mehr. Die Opposition hatte sich dieser schon seit 2012 mit zunehmender Härte verweigert. Das heißt, wir hatten keine politische Ebene mehr, auf der es einen wirklichen demokratischen Dialog zwischen Opposition und Regierung gab. Es wurden nur noch Gespräche in Hinterzimmern geführt, wo allen Beteiligten auch klar war, wer auf der Seite der Regierung stand, für Janukowitsch verhandelte, und wer auf der Seite der Opposition war, welche Oppositionsführer verhandelten, da müssen wir uns auch nichts vormachen. Diese Verhandlungen gab es, täglich, seit 2012. Die Eskalation … Es gab auf beiden Seiten bei vielen kein Interesse mehr daran, die Situation friedlich zu lösen. Es gab Jazenjuk23 und Kljujew, die von beiden Seiten versucht haben, mit Vereinbarungen noch irgendwie Ruhe zu schaffen. Es gab aber Tjahnibok24 und den Prawij Sektor25, die überhaupt nicht bereit waren zu irgendwelchen Kompromissen. Und es gab eine Janukowitsch-Seite mit dem Innenminister Sachartschenko, dem Generalstaatsanwalt Wiktor Pschonka, dem ältesten Sohn von Janukowitsch, Aleksandr Janukowitsch, die mussten unbedingt die Macht erhalten. Und aus dieser Gemengelage kann man die Phasen erklären. Warum jeweils die eine Seite das Ergebnis der anderen nicht akzeptieren wollte. Und Janukowitsch hat sich, das sehen wir ja immer in solchen Umsturzsituationen, bis zum letzten Moment an seine Macht geklammert. Janukowitsch hatte sich, das wissen wir jetzt, schon vier, fünf Tage bevor das Abkommen mit den europäischen Außenministern verhandelt wurde, entschlossen, Kiew zu verlassen. Also quasi zu flüchten. Seine eigenen Leute, seine eigenen Abgeordneten, seine eigene Regierung waren darüber nicht informiert. Die Oppositionsführer konnten in der aufgepeitschten Situation auf dem Maidan das Abkommen auch nicht durchsetzen. Dementsprechend war die Situation. Es gab sowohl auf der Seite des Maidans Leute, die die Situation bis zum Ende führen wollten, wie auch auf der Seite von Janukowitsch. Außerdem wissen wir, dass es seit November von der russischen Seite her Druck gab, Ordnung zu schaffen und diesen Maidan nicht zuzulassen, wenn nötig mit Gewalt. Janukowitsch hat sich dem sehr lange aufgrund dieser Divergenzen in seinem Umfeld verweigert, eine Entscheidung zu treffen. Er wollte den Schritt der Gewaltanwendung zunächst nicht gehen, obwohl es da auch sehr starken Druck von Russland und vom Innenminister her gab. Gleiches gab es auf dem Maidan. Auch da gab es Leute, die das wollten: Eine Revolution fordert Tote. Ohne Tote gibt es keine Revolution. Deshalb fand der erste Schritt des Rechten Sektors auf der Gruschirvskaja Straße und mit dem versuchten Sturm auf den Ministerrat und das Parlament Mitte Januar statt, als es diese großen Flammen und diese Straßenschlachten rund um das Ministerkabinett gab, bei denen es die ersten Toten gab. Wobei bis heute ebenfalls nicht aufgeklärt ist, wie es zu diesen zwei Toten kam, die übrigens keine Ukrainer waren. Es wurde gesagt, das wären schon Scharfschützen gewesen. Untersuchungsberichte belegen aber, dass sie aus kürzester Distanz erschossen worden waren. Also die Frage … Diese ersten Toten haben nicht zu dem Ergebnis des Umsturzes geführt. Das war nachher, dementsprechend brauchte man auch auf der Seite des Maidan eine weitere Eskalation. Deshalb ist die Frage der Scharfschützen so wichtig. Was wir auch verfolgen können, ist, dass keine Berkut-Leute26, die damals ebenfalls auf der Straße standen, das Feuer eröffnet haben. Sie haben selbst die Scharfschützen gesucht und es wurden von den Scharfschützen ja auch Leute von der Miliz erschossen. Die Scharfschützen haben in beide Richtungen geschossen. Das wiederum stützt die These, dass es sich um eine dritte Kraft handelte. Wer aber die dritte Kraft war, kann niemand erklären. Wenn man sich die Interessenslage ansieht, gab es auf Seite von Janukowitsch kein Interesse daran, diese Scharfschützen einzusetzen. Es gab sie aber auch nicht bei der damaligen Parlamentarischen Opposition, also Batkiwschtschina und UDAR. Wer es war – wir werden es vielleicht nie erfahren, wie sie es auch in anderen Ländern nie erfahren haben. Das Leid und die Trauer über die hundert Toten werden ewig bleiben.

       Der Sturz von Janukowitsch löste de facto eine Kettenreaktion aus. Eine Woche später begann ein Umsturz auf der Krim. Im März ging die Krim nach dem Referendum und der De-facto-Annexion durch Russland verloren. Wir haben dann weiter das Problem der Ausdehnung prorussischer Demonstrationen, zunächst in Charkiw und auch Dnipropetrowsk, dort wird das dann unter Kontrolle gebracht. Die beiden wirklich zentralen Punkte, auf die sich das heute konzentriert, sind Lugansk und Donezk. Und zwar nicht nur die

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