Brennpunkt Ukraine. Christian Wehrschütz
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Ich denke, aus russischer Sicht fürchtet man, dass zum Beispiel, sobald die Beschränkungen für die Einfuhr von Waren aus dem Westen in die Ukraine abgesenkt werden, die russischen Exporte in die Ukraine immer weniger wettbewerbsfähig werden. Jetzt auf lange Sicht, wenn es helfen würde, wettbewerbsfähig zu sein, könnte es einen Boom in Russland geben, aber die Art und Weise, wie sie es betrachten, ist es nicht. Ich denke, sobald die Regierung sich auf eine bestimmte Politik versteift hat, wird man sehr emotional damit verbunden und es wird eher schwer, dies zu ändern. Realistisch betrachtet finde ich es bedauerlich, dass alle Außenstehenden nicht der Ukraine zugeredet haben, dass sie vor allem ihr eigenes Haus in Ordnung bringen und ein Gefühl einer Nation, ein Gefühl der Loyalität gegenüber dem Land sowohl im Osten als auch im Westen entwickeln müssen. Und dann müssen sie in ihren Beziehungen mit Russland erkennen, dass sie Russlands Nachbar sind, dass sie in einem gewissen Sinn nie in der Lage sein werden, zu florieren, es sei denn, sie entwickeln zumindest ein erträgliches Verhältnis zu Russland. Daher versucht man, Dinge mit anderen auszuarbeiten, die Russland akzeptiert. Wir haben das bisher noch nicht getan und ich weiß nicht, es wird schwer sein, über diesen Berg zu kommen. Auf der anderen Seite ist keine der Alternativen besonders attraktiv, selbst für Russland nicht.
Es scheint mir also, dass wir vielleicht andere Verhandlungsführer brauchen. Ich habe dies mehrmals geschrieben: Anstatt einen Polen für die Verhandlung zu haben, warum lässt man nicht die Finnen die EU repräsentieren? Sie haben ein besseres historisches Bild und fruchtbarere Beziehungen mit Russland als die Polen. Das ist nicht unbedingt die Schuld eines Einzelnen, aber Tatsache ist, dass dies, ob es nun Imperialismus ist oder nicht, sehr tiefe emotionale Probleme sind – und insbesondere für die Vereinigten Staaten zu weit entfernt, um zu beginnen, direkt engagiert zu sein. Ich glaube wirklich, dass wir uns hier zurückziehen sollten. Ob wir dies politisch können, ist eine andere Frage, weil eigentlich nicht viele Amerikaner wirklich viel über die Ukraine wissen oder sich viel um sie kümmern. Aber die Republikaner wollen irgendwelche Fehler in Verbindung mit Obamas Präsidentschaft finden. Und er hat in seinem Team Menschen, die sehr stark von den Ukrainern aus dem Westen beeinflusst sind und die dies als eine Art der amerikanischen Unterstützung für Freiheit, Unabhängigkeit und Entwicklung sehen. Und die russischen Bemühungen sind völlig negativ. Jeder hat eine gewisse Basis, aber Tatsache ist, würde ich sagen, dass die amerikanischen direkten Sicherheitsinteressen in der Ukraine minimal sind, wohingegen wir großes Interesse an vielen Fragen im produktiven Umgang mit Russland haben.
Ich denke, dass unsere Politiker, und das gilt auch für einige der führenden Personen in der EU, vergessen, dass wir den Kalten Krieg zu einem Ende gebracht haben. Unser Ziel – und es ist ein echtes Ziel – war ein geeintes und freies Europa – und dass Russland auch dazugehört. Also, wenn man die Taktik verfolgt, es weiter zu isolieren, schadet Russland mehr als jeder andere, das steht außer Frage.
Die Ukraine ist jetzt seit mehr als 22 Jahren ein unabhängiges Land. Ich war hier ein erstes Mal im Februar 1992 und dann wieder im Sommer 1992 in Donezk. Wenn man sich die Entwicklung des Landes ansieht, so hat es die Ukraine nicht geschafft, eine sich selbst tragende Wirtschaft aufzubauen. Sie war nicht in der Lage, den Staat auf Basis der Unternehmen vornehmlich im Osten zu reformieren. Die Infrastruktur dort, neben der Sicherung von Dienstleistungen aus Charkiw und Donezk, war in einem sehr schlechten Zustand. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für diesen großen Misserfolg?
Es ist eine Tragödie, dass die Ukraine dies nicht geschafft hat. Aber Sie legen Ihren Finger auf etwas, was das Land hätte tun müssen. Ich habe schon mehrmals darüber geschrieben, etwa in der Mitte der 90er-Jahre einen Artikel über die Ukraine. Ich betitelte ihn ursprünglich – die Redaktion hat den Titel dann geändert, was ich nicht gebilligt habe – mit „Auf dem Weg zu einem besseren Leben stecken geblieben“ – wegen dieser Trennung. Und ich bin nach Kiew gegangen, ich war früher viele Male dort, aber Mitte der Neunziger bin ich mit einem Team von ehemaligen Beamten des internationalen Sicherheitsrats gekommen, um die Ukrainer darüber zu informieren, wie wir die nationale Sicherheit im Amt des Präsidenten organisieren. Wir hielten Briefings ab und als wir mit hohen Beamten sprachen, sagte der Ukrainer, der den Vorsitz hatte: „Wenn ihr Amerikaner über die nationale Sicherheit sprecht, sprecht ihr über Außenpolitik. Lassen Sie mich Ihnen zeigen, was unser Problem ist.“ Und dann zeigte er uns die Karte mit der Abstimmung in der letzten Sache und die Teilung zwischen West und Ost. Er sagte: „Unser Sicherheitsproblem ist intern, nicht extern.“ So war es immer sehr klar, auch dann, dass, obwohl die Ukrainer das erkannten, sie noch nicht ein Gefühl der Einheit, eine Nation und all das geschaffen hatten.
Ich schrieb zu der Zeit, sie sollten sehen, wie beispielsweise die Finnen 20 % der Bevölkerung, der schwedischen Bevölkerung, die vollkommen gleichen Rechte gegeben hatten. Sie hatten ihre Zeitungen, sie hatten ihre Theater (wenn sie so viele haben, ich denke, es sind 20 % der Bevölkerung), sie konnten ihre Kinder zum Beispiel an eine schwedische Schule schicken. Jetzt wurde Finnisch in all diesen Schulen unterrichtet, die Erziehung kann aber beides sein, ja, die Hochschulbildung kann entweder in Finnisch oder Schwedisch sein. Oder die Iren! Haben die Iren gesagt: Du musst Keltisch sprechen? Sie können kein Englisch sprechen und sind ein echter Ire? Oder schauen Sie auf Belgien – okay, es gibt noch Spannungen zwischen der Französisch und der Flämisch sprechenden Bevölkerung. Aber sie haben gleiche Sprachenrechte erhalten und ein Gefühl der Nationalität geschaffen, die nicht ausschließlich auf Sprache beruht.
Wir hatten vor Kurzem einen Vortrag von einem Ukrainer, der jetzt in Deutschland lehrt, aber, glaube ich, er stammt aus Charkiw, ein Russisch sprechender Ukrainer. Er sagte, dass man von der Gegend um Kiew und den Zentralbereich der Ukraine wisse, dass die meisten Menschen zu Hause Russisch sprechen, es aber sehr schlecht schreiben, weil in den Schulen nur Ukrainisch unterrichtet wird. Wissen Sie, ich kenne andere Aussagen von Menschen aus Odessa, die sagen: „Ich bin ein treuer Ukrainer, ich möchte nicht Teil der Russischen Föderation sein, aber meine geistige Welt ist Russland, ich möchte in der russischen Kultur leben.“ Irgendwie haben sie kein Nationalgefühl geschaffen, dass man sich in Russisch wohl fühlt und doch ein Ukrainer sein kann. Aber ich denke, dass viele Ukrainer der globalen Tradition folgen und der Ukraine in einem bestimmten Sinne treu bleiben wollen, aber auch einem Teil der russischen Kulturwelt folgen wollen. Seien wir mal ehrlich: Ich hasse es, diese Sache zu bewerten, aber die russische Literatur bzw. Kultur ist reicher als die ukrainische, es ist in vielerlei Hinsicht eine größere Welt. Und ich kann verstehen, dass eine Russisch sprechende Person ihren geistigen Horizont nicht auf die ukrainische Kultur beschränken möchte, so reich sie auch sein mag.
Glauben Sie, dass, wenn Sie nun die Ukraine und Russland zumindest formal vergleichen, Russland einen starken Führer mit Putin hat, oder mit Putin und Medwedew? Es gab den Kolomojskij-Fall, bei dem mindestens ein großer Oligarch diszipliniert wurde. Glauben Sie auf der anderen Seite, dass es eine große Fragmentierung mit den Oligarchen in der Ukraine gibt, ohne jetzt über Kolomojskij zu reden und Michail Prochorow, der wirklich sein eigenes Spiel spielt, von Russland gehasst wird und Russland wirklich hasst in einem sehr, sehr weiten Sinn? Also denken Sie, dass eine hohe Kunst der Politik zu einem gewissen Grad in Russland unter Putin wiederhergestellt ist, während man in der Ukraine immer noch diese Fragmentierung hat, dass Oligarchen einen von ihnen wählen oder einer der bequemen Führer Präsident wird?
Ich denke, das ist richtig, ja. Es ist absolut richtig und sehr schwer, die Zukunft vorauszusagen, weil ich denke, dass sie alle aus der gleichen Art von sowjetischem Erbe kommen, und das bedeutet, dass man manchmal plötzliche Umkehrungen haben kann. Oft sind die Verhandlungen, die hinter den Kulissen laufen, die, die entscheidend sein werden. Und der Eindruck an der Oberfläche ist nicht immer die ganze Wirklichkeit. Ich bin nicht so gut informiert über das Zusammenspiel dieser verschiedenen Oligarchen. Putin hat nun, ich würde sagen, nicht nur praktisch die Kontrolle über vieles in Russland übernommen. Indem er die Krim annektiert hat, hat er seine allgemeine Popularität zumindest vorübergehend sehr stark erhöht. Ich denke, sie war im Abnehmen, als er zurück zur Präsidentschaft kam, und jetzt ist sie sehr hoch. Ob das lange andauern wird, ist eine andere Frage, weil die