Brennpunkt Ukraine. Christian Wehrschütz

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Brennpunkt Ukraine - Christian Wehrschütz

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zu Ende war und sie reelle Macht in den Händen hatten, distanzierten sie sich von ihren Deklarationen. Also entweder haben sie gesehen, dass sie die Situation nicht verändern können, oder es wurde einfacher für sie, das zu machen, was sie vorher gemacht hatten. Deshalb waren die Menschen, die auf dem Maidan standen, sehr schnell enttäuscht und fingen an, den Maidan und die Väter des Maidans nicht mehr zu akzeptieren bzw. nicht mehr zu unterstützen – auch den Präsidenten Juschtschenko. Wie Sie wissen, wurde er für die zweite Legislaturperiode nicht mehr gewählt, dabei hat er eine sehr geringe Unterstützung bei der Bevölkerung erfahren. Das heißt, nachdem der Maidan die neuen Politikgrundsätze akzeptiert hatte (interne, externe), hätte man dies alles in Gesetze umwandeln sollen. Man hätte die Gesetze ändern, einen Teil der unprofessionellen Regierung austauschen (Menschen, die korrupt waren und es nach wie vor sind, Menschen, die keine Vorstellung von einem neuen Leben hatten – sie hätten ausgetauscht werden müssen und auf ihre Plätze hätten neue Leute kommen sollen) und die neuen Gesetze umsetzen sollen. Dann hätte man von den Ergebnissen des Maidans reden können. Dies ist nicht passiert. Also war in diesem Fall nicht der Maidan schuld, sondern es waren die Führer des Maidans, die später das Land regiert hatten.

       Sehen Sie diese Gefahr auch jetzt? Wird also nach dem zweiten Maidan die Revolution wieder nicht erfolgreich bleiben?

      Ich sehe die Gefahr, denn um diese Gefahr zu beseitigen, müssten wir über 400 000 Beamte und Verwalter ersetzen. Über 400 000! Das sind Menschen, die in anderen Kategorien denken. Das sind Menschen, die keine proukrainische, sondern eine prorussische und eine prokommunistische Ideologie besitzen. Das sind Menschen, die ihre Aufgabe nicht darin sehen, sich um das ukrainische Volk zu kümmern, sondern um den eigenen Geldbeutel. Das sind meistens korrupte Menschen (sowohl in großem als auch in kleinem Stil). Sie müssen ersetzt werden. Wir müssen eine neue Verfassung beschließen und aufhören zu sagen, dass diese Verfassung für „jemanden“ gemacht wurde. Sie muss die Verfassung des ukrainischen Volkes sein und die wichtigste Aufgabe erfüllen: Die Regierung und das Volk sollen zu Partnern werden und nicht die Antagonisten bleiben, wie es jetzt der Fall ist. Deshalb haben sowohl Poroschenko als auch die Regierung viele Probleme. Diese Probleme wurden nicht durch sie verursacht, sondern haben sich in vorherigen Jahrzehnten entwickelt. Und sie müssen schnell handeln. Aber wissen Sie, wenn so viel Arbeit ansteht und Krieg herrscht, ist es nicht einfach, etwas zu machen (Reformen, ernsthafte Veränderungen). Solange der Krieg nicht beendet ist, solange wir uns nicht auf den friedlichen Weg begeben und nicht anfangen, unter friedlichen Bedingungen zu arbeiten, wird es schwierig sein, etwas zu verändern. Deshalb existieren diese Bedrohungen, man muss sie kennen und darf nicht zulassen, dass sie sich entwickeln. Man muss die Veränderungen langsam angehen: die Regierung ändern, sich selbst ändern, die Gesetze ändern, die Verfassung ändern. Da wir das Assoziierungsabkommen mit Europa unterzeichnet haben, müssen wir auch alles nach Anforderungen der europäischen Standards ändern. Alles! Und dies ist ein sehr schwieriger, komplizierter und tiefgehender Prozess. Deshalb habe ich jetzt Verständnis dafür, und ich kann nicht sagen, dass die Regierung entweder „schlecht“ arbeitet oder irgendetwas sonst. Sie arbeitet unter den Bedingungen eines Ausnahmezustandes.

       Wir haben über den Maidan gesprochen. Welche Bedeutung haben die Ereignisse, die auf dem Maidan stattfanden, bei der weiteren Entwicklung der Ukraine im geistigen und politischen Sinne? Denn jetzt gibt es einen zweiten Maidan, die „Himmelshundertschaft“ usw. Ist das wie ein neuer Anfang und eine Methode der Neubegründung der Ukraine?

      Schauen Sie, dies sind die Überbleibsel vom Maidan. Ich bin nicht der Meinung, dass wir hier den Maidan haben, den wir im Februar, Januar oder Dezember hatten. Hier standen Menschen, sie schossen, sie verteidigten die Ukraine, sie haben die Regierung gestürzt. Dieser Maidan war eine Revolution, das war die Revolution der Ehrlichkeit und der Würde. Jetzt sind Menschen übrig geblieben, die mit dem Maidan nichts zu tun haben. Sie nutzen den Maidan häufig nicht für die Interessen des Maidans, sondern für ihre persönlichen Interessen. Wir sehen auf diesem Maidan viele Menschen, die eine interessante Vergangenheit haben, wir sehen Menschen hier, die nicht mit dem Ziel gekommen sind, der Ukraine zu helfen. Deshalb muss der eigentliche Maidan heute im Osten stattfinden. Und dieser Maidan hier hat keine … Sie wollen die Ukraine nicht verteidigen gehen. Sie wollen andere Aufgaben erfüllen. Welche Aufgaben genau, das weiß ich selbst nicht, aber man muss das prüfen und schauen, wer jetzt dort diesen Maidan lenkt.

       Die Ukraine ist aus österreichischer Perspektive ein Land, in dem es viele Oligarchen gibt. Welche Rolle haben sie gespielt, wie haben sie die Entwicklung der Ukraine beeinflusst? Denn im Donbass gab es etwa Achmetow, in Dnipropetrowsk gab es Kolomojskij usw. Welche Rolle spielen sie oder inwiefern schaden sie der Entwicklung der Ukraine?

      Gegenüber den Oligarchen müssen wir uns je nach konkreter Situation verhalten. Man darf nicht im Allgemeinen sagen: „Es darf keine Oligarchen geben.“ So etwas gibt es nicht. Wir nennen sie „Oligarchen“ – das sind Menschen, die über Möglichkeiten verfügen (sowohl über Eigentum als auch über Geld), und sie wurden unter sehr spezifischen Bedingungen geschaffen. Viele von ihnen wurden zu Oligarchen, weil sie der Regierung gedient haben. Die Regierung hat Oligarchen aus ihnen gemacht. Nicht sie selbst, sondern die Regierung hat ihnen geholfen, einiges Eigentum zu erwerben und günstige Geschäftsbedingungen zu schaffen. Und jetzt muss man sie vor die Aufgabe stellen: Wenn sie bereit sind, die angehäuften Gelder und das Eigentum zum Wiederaufbau der Ukraine (insbesondere des Donbass) zu verwenden, dann sollen sie das doch machen. Wir dürfen es uns heute nicht zur Aufgabe machen, die Oligarchen zu liquidieren. Erstens ist es unrealistisch und zweitens undemokratisch. Deshalb sage ich immer: Die Oligarchen muss man beim Wiederaufbau der Ukraine mit einbeziehen. Wenn sie sich aktiv beteiligen, wenn sie aufrichtig und offen der Ukraine helfen werden – dann werden sie zu Menschen, die dem Staat in einer schwierigen, historischen Zeit zu Hilfe geeilt sind.

       Die Ukraine hat das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch viele Unternehmer (nicht nur in der Ost-, sondern auch in der Westukraine) haben Angst, dass sie gegenüber dem europäischen Markt nicht wettbewerbsfähig sind. Was muss die Regierung tun, um innerhalb von zehn Jahren die Wettbewerbsfähigkeit der Ukraine zu steigern? Denn heute ist es sehr schwierig, mit dem europäischen Markt zu konkurrieren.

      Kein Land, das der EU beigetreten ist, war für den echten Wettbewerb in der Europäischen Union bereit. Dort herrschen andere Bedingungen. Ich weiß beispielsweise, dass, als die Polen der Europäischen Union beitraten und sich integrierten, ihre Produktion um 15 % fiel. Aber sie haben nicht geheult, sie haben sich zusammengeschlossen und fingen an zu arbeiten. Und Europa fing an, ihnen ernsthaft zu helfen. Und sie besitzen jetzt andere Möglichkeiten.

      Ich war vor Kurzem in Warschau, vor vier Tagen, und ich habe dort in der Universität mit den Menschen gesprochen, bin durch Warschau spaziert. Ich habe gesehen, dass Warschau und die Menschen dort sich verändert haben. Das heißt, wenn eine Nation sich zusammenschließen kann, unter schwierigen Bedingungen bestehen kann, und, um offen zu sprechen, bereit ist, etwas zu opfern, dann hat eine solche Nation eine Perspektive. Wenn Sie heute mit den Leitern unserer Betriebe sprechen, dann werden sie Ihnen alle sagen, dass sie mit der Europäischen Union nicht mithalten können. Aber warum haben sie zwanzig Jahre nichts dafür getan, um wettbewerbsfähig zu werden? Sie hatten sich mit der Korruption beschäftigt, kümmerten sich um ihre eigenen Interessen, schauten nur Richtung Russland. Das heißt, wir haben die Wahl: Entweder schließen wir uns zusammen, definieren klar unsere Ziele und werden alle gemeinsam in diese Richtung gehen, oder wir werden uns wieder aufteilen: die einen werden sagen „Wir können“ und die anderen „Wir können nicht“. Und dann wird die Ukraine die Aufgaben, die vor ihr liegen, nicht erfolgreich lösen können.

      Die Europäische Union führt Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, trotz der Tatsache, dass diese Verhandlungen ziemlich langsam verlaufen. Aber die EU war nicht bereit, der Ukraine die gleichen Beitrittsperspektiven anzubieten. Welchen Einfluss hat eine solche Politik der Europäischen Union? Und glauben Sie, dass es der Fehler seitens der Europäischen Union war, dass sie nie bereit war,

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