Brennpunkt Ukraine. Christian Wehrschütz

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Brennpunkt Ukraine - Christian Wehrschütz

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dass dies der Fehler von Europa ist, denn die Ukraine hat sich damals selbst noch nicht endgültig entschieden. Wenn die Ukraine, sagen wir, vor fünf oder zehn Jahren eine endgültige Entscheidung getroffen hätte, ihren politischen, außenpolitischen Kurs, ihren außenwirtschaftlichen Kurs definiert und gesagt hätte, dass sie das nicht nur in den Dokumenten festhalte, sondern praktisch handle, dann würde die Europäische Union sehen, dass die Ukraine nur einen Weg hat und diesen Weg auch geht. Aber wenn die Ukraine mal von Europa, mal von Russland und mal von sonst noch was redet … Es hat keine systematische, konsequente Arbeit zur Umsetzung eines europäischen Kurses gegeben. Und hier trägt die Ukraine die Schuld. Jetzt hat sich die Ukraine endlich endgültig entschieden, welchen politischen Kurs sie wählt – die europäische Integration. Jetzt muss man die Menschen um diesen Kurs vereinigen, und danach wird Europa beginnen, uns ernsthaft zu helfen. Und dann wird es realistisch, dass die Ukraine endlich auf die europäische Zivilisation zugehen wird, und nicht auf die asiatische, wie es früher der Fall war.

       Welche Rolle kann die Ukraine in Europa spielen? Welchen Platz kann die Ukraine finden? Denn bis dato war sie noch nie ein Subjekt der Geschichte, sondern immer nur ein Objekt.

      Erstens ist die Ukraine ein großer europäischer Staat, 45 Millionen. Das ist ein großer Markt für Europa und für die ganze Welt. Die Ukraine hat eine entwickelte Kultur, eine entwickelte Wissenschaft. Die ukrainischen wissenschaftlichen Errungenschaften und die ukrainischen technischen Errungenschaften sind außergewöhnlich bedeutend – und das weiß die ganze Welt und ganz Europa. Deshalb können die Welt und Europa, wenn die Ukraine ein Mitglied in der Europäischen Union wird, diese Faktoren, diese Hebel nutzen. Und die Ukraine wird sie auch nutzen können, aber bereits unter anderen Bedingungen. Als Nächstes: Die ukrainische Politik kann keine Politik in der Mitte sein, wie man früher sagte, „eine Brücke“ zwischen dem Westen und dem Osten, zwischen dem Westen und Russland. Ich bin gegen diese Bezeichnung („die Brücke“), denn die Ukraine muss ein vollwertiger Staat sein, muss ein Mitglied in der Europäischen Union sein und die entsprechenden strategischen Ziele sowohl im Osten als auch im Westen erfüllen. Wir wollen keinen Konflikt mit Russland. Wir wollen normale partnerschaftliche Beziehungen mit Russland haben (wirtschaftlich, politisch). Die Ukraine hat den heutigen aggressiven Konflikt nicht angefangen, das war Russland. Aber wir wollen, dass sich alles regelt. Und als Letztes: Wenn die Ukraine den Aggressor nicht stoppen kann, dann wird sich die Welt vor einer Tragödie wiederfinden. Deshalb habe ich den Wunsch an Europa und die Welt, alles dafür zu tun, damit die Ukraine heute ihre territoriale Integrität, ihre Ziele eines demokratischen Staates verteidigen und ein vollberechtigtes Mitglied in der Europäischen Union werden kann.

       Die Ukraine und Russland werden immer Nachbarn bleiben, denn so ist nun mal die Geographie.

      Natürlich, deshalb müssen sie, wie es sich für die Nachbarn gehört, im Frieden leben.

       Auf welchem Wege kann man die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland nach der Geschichte mit der Krim und nach dem Konflikt mit der Ostukraine normalisieren?

      Jetzt hängt alles von Russland ab. Von der Ukraine hängt nichts ab. Russland soll die Aggression gegen die Ukraine beenden und aufhören, brutal und mit Gewalt Einfluss auf die ukrainische Politik zu nehmen. Es schreibt uns nicht vor, was wir zu tun haben, diktiert uns nicht die Bedingungen, wo wir Mitglied werden sollen, sei es die NATO oder die Europäische Union. Wir bestimmen selbst unsere Politik, wir werden uns aufmerksam und respektvoll gegenüber Russland verhalten. Und die heutige Situation wird vorübergehen.

      Die Krim: Die Annektierung der Krim wird ein Ende haben, ich glaube daran. Die Ostukraine wird sich auf den Weg des Friedens begeben. Und wir und Russland werden Versuche unternehmen, uns nach und nach zu versöhnen, denn Putin hat das Schlimmste gemacht: Er hat zwei slawische Völker verfeindet. 40 Millionen Slawen im westlichen Teil der Welt sind zu erbitterten Feinden Russlands geworden. Ich bekomme Dutzende von Briefen, Dutzende: Meine Bekannten, meine Angehörigen, sie zittern vor Hass, (ich nenne es noch einmal) vor erbittertem Hass gegenüber Russland. Das hat Putin angerichtet. Er bezeichnete das Ende des 20. Jahrhunderts als Tragödie der UdSSR, weil das Białowieża-Abkommen43 unterzeichnet wurde. Und ich sage, dass der Anfang des 21. Jahrhunderts eine Tragödie sein wird, die von Putin verursacht worden ist: Denn er hat 40 Millionen Slawen zu Feinden Russlands gemacht, und die Russen zu Feinden von diesen 40 Millionen. Das ist eine Tragödie.

      Ich war auf der Krim, mehrmals in Donezk, Lugansk, jetzt war ich wieder in Mariupol. Vor etwa 22 Jahren hat die Ukrainisierung die Russifizierung ersetzt. Außerdem gibt es in der Westukraine andere Denkmäler, und als der Prozess des Aufstellens von Denkmälern in Donezk losging, dann sagte man, dass dies „Verräter“, „Faschisten“ und „Banderas“44 seien. Sie kennen diese Terminologie. Mein Eindruck war, dass es in der Ukraine an einer gemeinsamen Idee fehlt, vom Westen bis zum Osten. Oder?

      Es gibt keine einheitliche Sichtweise auf die Geschichte, auf das historische Gedächtnis, auf die Ideologie in der Ukraine. Die Bevölkerung der Ostukraine setzt sich in der Regel aus Menschen zusammen, die sich am Osten und am Norden orientieren. Der westliche Teil orientiert sich am Westen. Ja, wir haben Probleme, sowohl im Osten als auch im Westen. Aber ich frage mich: Heißt das, dass, wenn wir Probleme im Osten haben, Russland dann Krieg gegen uns führen muss? Wenn wir Probleme im Westen haben und wir Denkmäler setzten, die man im Westen nicht mag, heißt es, dass der Westen einen Krieg gegen uns führen soll? Ich sage nur eins: Mischen Sie sich nicht in unsere Angelegenheiten ein. Wir mischen uns doch nicht in die Angelegenheiten von Deutschland, Österreich oder eines anderen Landes, falls sie irgendwelche Denkmäler setzen. Wir mischen uns nicht ein. Wir sagen: „Das ist Ihre nationale Angelegenheit.“ Und wir werden mit unseren Angelegenheiten alleine klarkommen. Wir brauchen Zeit, wir müssen uns klar werden, was wir wollen. Kaum ist in der Ukraine etwas passiert, geht sofort der Aufschrei los, dass die Ukraine etwas macht. Stört die Ukraine jemanden dadurch? Erhebt sie etwa Ansprüche auf fremde Gebiete? Erhebt sie Ansprüche auf fremde Geschichte? Nein, sie versucht, ihre eigenen Probleme unter sehr schwierigen Bedingungen zu lösen. Deshalb sage ich, dass wir, wenn sowohl die eine als auch die andere Seite sich in unsere internen Angelegenheiten nicht einmischen würde, diese Probleme schon längst gelöst hätten.

       Sie müssen trotzdem die Idee eines Staates innerhalb des Staates aufrechterhalten, der Staat muss eine gemeinsame Idee sein. Wie kann man eine solche Idee in der Ukraine erschaffen?

      Absolut. Hier gibt es ein Problem. Unsere Regierung hat das nie unterstützt: der Bau des Stalin-Denkmals, der Bau des Bandera-Denkmals – das wurde nie unterstützt. Das wurde alles vor Ort gemacht. Wir fangen an, Einfluss zu nehmen, damit dies nach und nach auf einem allgemeinen zivilisatorischen und kulturellen Niveau stattfindet. Alles: sowohl das Geistige als auch das Ökonomische. Es ist nicht einfach, nach Jahrzehnten der sowjetischen Parteimacht die Situation so schnell zu verändern. Man muss die Geschehnisse einfach verstehen können. Aber wir lehnen das nicht ab, wir sagen nicht, dass es so sein soll. Aber wir bitten um die Möglichkeit, dieses Problem selbst lösen zu können. Man darf nicht gleich einen Krieg gegen uns führen. Wir wenden uns an Russland: Wir wollen die Frage mit der Übergabe von Zuständigkeiten in den Regionen lösen. Der Präsident Poroschenko hat eine Verfassung bei der Werchowna Rada45 vorgelegt, laut der die Zuständigkeiten den örtlichen Regierungsorganen übertragen werden, die größten Zuständigkeiten, das, worum man gebeten hat. Wir unternehmen Schritte, um eine Lösung zu finden. Sieht man das denn nicht? Hört man das nicht? Will man das nicht sehen? Hier muss man der Ukraine in Ruhe, ohne den politischen Druck, ohne die Anwendung von Gewalt, die Möglichkeit geben, diese Probleme selbständig zu lösen, umso mehr, als sie die Gesetze angekündigt und verabschiedet hat – und sie weiter verabschiedet –, die eine Lösung dieser Probleme ermöglichen werden.

       Nach dem Konflikt in der Ostukraine, was kann die Regierung oder der Präsident für die Versöhnung tun, wenn es um die Familien geht, die eine Tochter oder einen Sohn verloren oder andere Verluste erlitten haben? Wie kann man das machen?

      Es

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