Der ermordete Gärtner. Uwe Schimunek
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Читать онлайн книгу Der ermordete Gärtner - Uwe Schimunek страница 9
Liesbeth stellte das Tablett auf einen Tisch, der aussah, als fänden in diesem Raum regelmäßig Tafelrunden von Rittern in Rüstung statt. Ein Mann betrat das Zimmer. Er ging auf einen Gehstock gestützt und trug einen Mullverband um den Kopf. Das musste Kutscher sein. Er setzte sich an die Stirnseite der Tafel.
Katzmann wollte die bürgerliche Idylle nicht mehr sehen. Ja, auch er bewohnte mit Frieda ein Haus in der Dresdner Antonstadt, ja, auch er musste nicht darben. Und er gönnte jedem Menschen auf der Welt Wohlstand. Aber ihn störte die Äußerlichkeit des Prunks, das großbourgeoise Gehabe …
Er schnappte die Brille samt Helm, stieg auf die NSU und startete durch. Ohne sich umzuschauen, lenkte er das Gespann auf die Straße.
Eine Hupe brüllte. Katzmann drehte den Kopf nach hinten. Ein Lieferwagen wurde rasch größer. Bremsen quietschten. Katzmann gab bis zum Anschlag Gas. Der Lieferwagen hinter ihm wurde wieder kleiner und hupte unverdrossen – die Karre ließ ihn an Rumpelstilzchen nach der Verwandlung in ein Automobil denken.
Die NSU mit ihrem Seitenwagen wankte, als Katzmann um die Kurve zur Plagwitzer Straße fuhr. Die Geschwindigkeit kitzelte im Bauch. Ein Blick nach rechts, einer nach links, in beiden Richtungen nahten Autos aus Dutzenden Meter Entfernung. Katzmann bretterte, ohne abzubremsen, auf die Plagwitzer Brücke. Ein Hupkonzert – dabei reichte ein Zug am Gasgriff, und Katzmann entfernte sich von der Kreuzung, ohne einem der Automobile nahe zu kommen.
Er fuhr mit Wut im Bauch, aber wusste nicht recht, woher der Zorn kam und wogegen er sich richtete. Warum brachte es ihn auf, dass eine längst Verflossene in einer Bonzenvilla mit der Familie ihr Abendmahl einnahm? Oder lag es nicht an Liesbeth und an der Vergangenheit? Fürchtete er, seine eigene Zukunft gesehen zu haben – als Salonlinker mit Frau und Kindern in immer größeren Wohnungen? Sein Vater sagte immer, wer Verantwortung trage, werde konservativ. Hatte der alte Reaktionär doch recht, wenn er so tat, als sei das ein Naturgesetz?
Katzmann bog in die Elisabethallee ein und gab Vollgas, als er aus der Kurve fuhr. Der Fahrtwind blies die Gedanken weg. Vor ihm lag Lindenau. Dort wartete Heinz mit einem Mordfall – eine bessere Ablenkung konnte Katzmann sich nicht vorstellen.
«Die müssen den Kerl regelrecht abgeschlachtet haben.» Heinz Eggebrecht versuchte, seinem Freund mit den Händen anzudeuten, wie sein Gesicht aufgeschlitzt würde.
Katzmann sagte nichts. Er trank einen Schluck von seinem Bier und guckte skeptisch.
«Mein Gartennachbar hat ihn gefunden. Der Kopf war zerdroschen, das Gesicht total zermanscht. Wahrscheinlich wurde er mit einer Mistgabel malträtiert.»
Katzmann trank. Im Lärm der Kneipe wirkte sein Schweigen grotesk, so als habe sich ein Fisch in eine Schafherde verlaufen.
«Wir haben es hier mit einer brutalen Gangsterbande zu tun, sage ich dir.»
«Ich weiß nicht …»
«Was brauchst du denn noch als Beweis – ein paar mehr Leichen?»
Katzmann stellte den Bembel auf den Tisch und runzelte die Stirn. «Ich brauche keine Leichen, Heinz. Aber hör dich mal reden! Da kommen ein paar Ganoven, brechen in Lauben ein und stehlen Gartenwerkzeug, und dann töten sie einen Gärtner, der ihnen in die Quere kam. Das klingt nach armen Schluckern und nicht nach brutalen Bestien.»
Eggebrecht richtete den Zeigefinger auf Katzmann. «Du warst nie arm …»
Katzmann zögerte. Allem Anschein nach schluckte er die erste Reaktion hinunter. Dann sagte er: «Und? Weil ich nie klauen musste, kenne ich das Leben nicht?»
Eggebrecht schaute sich um. Durch den Zigarettenqualm sah er die Gäste an den Nachbartischen. Die meisten waren jünger als er. Sie trugen derbe Hemden, ihre Winterjacken hingen über den Stuhllehnen. Die vorherrschende Farbe der Bekleidung war aschgrau, und das passte zu den Gesichtern. Sicher verstärkte die Funzel an der Decke Eggebrechts Eindruck.
Ein hagerer Kerl wankte durch den Gastraum. Er trug die Haare in der Mitte gescheitelt und nach hinten gelegt. Sein Gesicht verriet, dass er kaum mehr als zwanzig Jahre alt sein konnte, aber er lief gebeugt, als habe er jahrzehntelang Steine geschleppt. Er hatte entweder einen schweren Tag hinter sich oder zeitig mit dem Bier begonnen. Der Dürre tapste an ihrem Tisch vorbei. Er wollte wohl zum Klo, hatte es dabei aber nicht sonderlich eilig.
Eggebrecht hob die Hand. «Schau dich doch mal hier um! Hier sitzt ein Haufen von deinen armen Schluckern. Bestimmt sind die meisten harmlos. Aber für wie viele würdest du einen Eid schwören?»
Katzmann zog seine Zigarettendose aus der Jacke, öffnete sie und stellte sie auf den Tisch. Beide nahmen einen Glimmstängel, Eggebrecht zündete ein Streichholz an – für einen Augenblick rauchten sie schweigend.
Dann sagte Katzmann: «Bölke glaubt also, dass zwei bis drei Diebe ein paar Lauben aufgebrochen haben und in der letzten zufällig den Pächter angetroffen haben. Sie haben sich ertappt gefühlt und ihn abgeschlachtet.»
«Ich finde, das klingt ganz vernünftig.»
«Was haben die denn in eurer Laube geklaut?»
«Das Seltsame ist, sie scheinen gar nichts mitgenommen zu haben.»
Katzmann blies einen Rauchkringel in die Luft. «Vielleicht waren die Einbrüche nur zur Ablenkung gedacht …»
«Na ja, wenn ich nach den Spuren gehe, haben sie bei uns wohl die Kommode durchsucht.»
«Spuren?»
«Es sammelt sich immer eine Menge Staub an über den Winter. Wenn darauf jemand herumtatscht, kann man das gut sehen.»
Der Wirt kam mit einer Trommel voll frischem Bier und stellte ungefragt zwei Bembel auf den Tisch. Eggebrecht trank hastig den Rest aus dem anderen Humpen und schob ihn beiseite – aus alter Gewohnheit. Keine drei Tage in Lindenau, und schon verhielt er sich wie früher. Nun gut, da fiel er wenigstens nicht auf. Katzmann hingegen hatte nun zwei Bembel vor sich stehen, und das schien ihn nicht zu stören.
«Was lagert ihr denn für Schätze in eurer Laubenkommode?», fragte Katzmann.
«Geschirr, Besteck …»
«Das Tafelsilber von Oma?»
«Nee, eher so Blechnäpfe und rostige Messer.»
«Hm, das klingt nicht nach einem Paradies für Diebe … Aber ihr fühlt euch wohl in dem Garten?»
Eggebrecht zog an der Zigarette und überlegte, warum Katzmann so sarkastisch war. Was war nur mit dem alten Kumpel los? Bis jetzt hatten ein paar Monate oder Jahre, in denen sie sich nicht gesehen hatten, ihrem freundschaftlichen Verhältnis nichts anhaben können. Dieses