Der ermordete Gärtner. Uwe Schimunek

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Der ermordete Gärtner - Uwe Schimunek

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Einschlafen. Mit seiner Mutter hätte er vielleicht darüber gesprochen … Er leerte seinen Bembel. «Nicht jetzt, Vater. Ich habe ein anstrengendes Wochenende hinter mir.»

      Der Vater trank, als sei er nach einem Tag im Steinbruch am Verdursten. «Na gut, mein Junge. Aber vielleicht könntest du morgen mal in den Garten schauen und ein paar Geräte hinschaffen. Ich meine, wenn du genug geschlafen hast.»

       Montag, 24. März 1930

      KONRAD BENNO KATZMANN rannte über den Schlesischen Platz. Beim Aussteigen aus der Straßenbahn hatte die Taschenuhr fünf nach halb sieben angezeigt, ihm blieben noch vier Minuten, um zum Bahnsteig zu gelangen. Die Sandsteinfassade des Neustädter Bahnhofs sah im Morgengrauen bedrohlich aus, als wolle sie die Reisenden verschlucken. Er eilte durch das Portal. Hier herrschte Gedränge.

      Das Leben wurde immer hektischer, sein Leben wurde immer hektischer. An kaum einem Montag schaffte er es mehr ohne Gehetze zum Zug. Wie sollte das erst werden, wenn Frieda und er ein schreiendes Kind hatten?

      Katzmann schaute auf die Uhr in der Bahnhofshalle: sieben nach halb. Noch zwei Minuten, dann fuhr der D 144 ab. Er nahm drei Stufen mit einem Schritt, als er die Treppe hinter der Eingangshalle hinaufhastete. Zum Glück hatte er die Fahrkarte schon am Freitag bei der Ankunft gekauft. So musste er nur noch das Stück Tunnel von der Schalterhalle zu den Gleisen schaffen, nur ein paar Meter – die letzten Stufen zum Bahnsteig 5 nutzte er zum Luftholen.

      An der Bahnsteigkante stand drei Wagen weiter der Schaffner mit der Kelle. «Dieren schließn! Mir foarn obb!»

      Katzmann winkte und rannte zur nächsten Wagentür. Eigentlich stieg er meist an der Spitze des Zuges ein, weil er dann im Leipziger Kopfbahnhof weniger zu laufen hatte. Heute aber war ihm das hinterste Abteil lieber als ein Blick auf die Rücklichter der ausfahrenden Eisenbahn.

      «Nu machen Se manschema hin!» Der Schaffner forderte Katzmann mit heftigem Winken zum Einsteigen auf. «Un vorschlissn Se de Diere!»

      Katzmann sprang die Stufen zum Einstieg hinauf, zerrte die Waggontür zu und atmete tief aus. Das war knapp, dachte er, als nur Augenblicke später der Zug anfuhr.

      Gleich im ersten Abteil fand er einen freien Platz neben einem dicken Mann um die fünfzig, der seine Melone gerade auf der Gepäckablage verstaute. Neben dem Dicken saß eine Frau im gleichen Alter. Auf den Plätzen gegenüber hingen zwei Männer in schäbigen Anzügen in den Polstern. Sie blinzelten im Kampf, ihre Augenlider offen zu halten. Noch vor Radebeul würden die beiden schnarchen, da war Katzmann sicher. «Ist der Platz frei?», fragte er.

      «Aber bitte, mein Herr.» Der Dicke sprach förmlich wie ein Beamter bei der Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes.

      Katzmann setzte sich und zog die Vossische aus der Tasche. Gestern Abend hatte er keine Zeile mehr gelesen. Schlafen hatte er die ganze Nacht auch nicht können, und trotzdem fühlte er sich nicht müde. Die Schläfrigkeit übermannte ihn bestimmt nachher im Bureau. Er blätterte zum Wirtschaftsteil, bis dahin war er gestern gekommen.

      Er hielt die Zeitung vor die Augen, aber die Konzentration war weg. Das ungeborene Kind geisterte durch seinen Kopf. Würde er weiterhin nach Leipzig fahren können, Woche für Woche? Ein Kind brauchte die starke Hand des Vaters, das schien ihm klar. Aber traf das auch auf ein Neugeborenes zu, oder musste er sich erst in die Erziehung einschalten, wenn das Kind laufen konnte? Oder sprechen? Und wann lernte so ein Wurm das? Vielleicht redete er mit seiner Schwester darüber, wenn er am Wochenende wieder in Dresden weilte. Er widmete sich vorerst seiner Vossischen Zeitung und überblätterte die Seiten mit den Anzeigen. Auf der Kulturseite las er:

      In Dresden hat sich auf der Lüttichaustraße eine neue Galerie Sandl aufgetan. Sie hat sich ein wichtiges und viel zu lange vergessenes Ziel gesetzt: sich für die jungen, noch wenig bekannten Maler Dresdens einzusetzen.

      «Die Welt geht kaputt. Oder meinen die Liberalen etwas anderes?» Der Dicke mit der Melone sprach langsam, als wolle er den Niedergang mit Behäbigkeit bremsen.

      Katzmann blickte auf und entgegnete: «Ich weiß nicht recht. Bei der Vossischen ist auch Krise. Aber die Redaktion meint wohl, das geht vorüber.»

      «Pah.» Der Dicke prustete aus vollen Backen und erinnerte dabei an einen Hamster.

      «Sie glauben das nicht?» Katzmann verspürte keine Lust auf Konversation. Und wenn er sich schon unterhielt, wollte er sein Gegenüber ausfragen.

      «Es liegt doch auf der Hand, dass von selbst keine Lösung kommt.»

      «Nun, die Regierung hat über die Kriegsschulden verhandelt, sie spart, drückt die Löhne …»

      «Halbherzige Kompromisse gehen diese Schwächlinge ein!» Der Dicke wurde lauter, die Frau ergriff seinen Arm. «Ist doch wahr, Hildegard. Die lassen das Reich vor die Hunde gehen!»

      Katzmann legte die Zeitung beiseite. Er schaute den Dicken an. Es lag eine Provokation in dessen Blick, auf die Katzmann nicht eingehen wollte. Also zuckte er mit den Schultern.

      «Auch ihre liberalen Freunde werden einsehen müssen, dass unser Vaterland eine starke Führung braucht!» Der Dicke schob die Hand der Frau beiseite. «Hoffentlich ist es dann noch nicht zu spät.»

      Der Mann hielt ihn für einen Liberalen – Katzmann merkte, wie er lächelte. Auch in der Redaktion der LVZ verachteten viele die Republik. Dort wurde gefordert, das Kapital müsse an die Ketten gelegt werden, und Ähnliches. Vielleicht griff er deswegen an den Wochenenden zur Vossischen, und selbst unter der Woche ging er in letzter Zeit häufiger zum Leipziger Bahnhof, um sich das Blatt aus Berlin zu holen. Wenn ein Kollege ihn dabei erwischte, behauptete er, den politischen Gegner im Blick behalten zu wollen. Ihm wurde zunehmend egal, ob einer der Kollegen das glaubte. Und der Dicke interessierte ihn im Moment auch nicht im Geringsten.

      «Auch in der Krise geht morgens die Sonne auf», sagte Katzmann und beendete das Gespräch, indem er die Zeitung vors Gesicht hob.

      In der Gartenkolonie pfiff der Wind zwischen den Lauben. Eggebrecht fuhr mit dem Fahrrad über den Schotter. Das widersprach den Regeln der Kleingartensparte «Dr. Schreber», aber es war Montagvormittag, eigentlich konnte niemand hier sein. Außerdem drückten die Schrauben, die Nägel und das Werkzeugbund im Rucksack auf seinen Buckel, diese Last wollte er so schnell wie möglich loswerden. Er bog in Richtung des zentralen Platzes ab. Inmitten der Gartenanlage stand die Kneipe neben einem Kinderspielplatz. Die Räder eierten über den Kies. Eggebrecht sah nach unten und beobachtete, wie Steinchen zur Seite flogen, als seien sie aus Wasser.

      «Schdeign Se ab! Abba sooofort!» Ein Polizist. Er brüllte die Worte im harten Sächsisch des Leipziger Umlandes. Die Dienstmütze saß auf zwei Ohren, die so weit abstanden, dass der Kerl bei einem Windstoß bestimmt weggeweht würde. Seit wann kümmerten sich Uniformierte um die Einhaltung der Benutzungsordnung?

      Eggebrecht sprang vom Rad. Der Wachtmeister schüttelte den Kopf und wendete seinen Blick ab. Eggebrecht schob das Rad über den Platz. Der Garten seines Vaters lag genau an dem Weg, den der Polizist in Augenschein nahm. Auf dem Rasen, der Wippe, dem Karussell funkelte noch der Morgentau. Vielleicht hätte er sich im Bett noch einmal umdrehen sollen, überlegte Eggebrecht. Aber nun war er hier und musste an dem Polizisten vorbei.

      «Wo wolln Se’n hin?», fragte der Schutzmann, als Eggebrecht in den Weg zum Garten biegen wollte.

      «In den Garten.»

      «Name?»

      «Unser

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