Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich

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so, ja – große Herren sind immer sehr in Anspruch genommen – aber lassen wir den Stuhl frei für seinen Geist …«

      »Dann bitte zu meiner Rechten, Herr Ministerialrat?«

      »Wenn’s sein muß …«

      Der Tisch stand in der Mitte des länglichen Raumes, von Stühlen umsäumt. Die Tür befand sich an der einen Breitseite und führte in die nächste Gaststube.

      Fräulein Hüsch hatte schon zwischen ihren Kavalieren Platz genommen und lächelte zu Wichmann hinüber, der sich neben dem Ministerialrat Nischan niederließ. Die übrigen drei Herren zögerten etwas. Schließlich kam Regierungsrat Loeb und nahm Platz rechts neben dem Assessor; Loeb hatte eine sportliche Figur und feste Haltung und unterschied sich auffallend von seinem Kollegen Nathan, dessen Nacken den Kopf immer etwas vorgebeugt trug, und dessen Haar sich trotz seines jugendlichen Alters schon lichtete.

      Das Menü war rasch verzehrt. Bei der Reisspeise mit Himbeersoße wachte Fräulein Hüsch auf.

      »Herr Wichmann! Warum haben Sie eigentlich eine Meile Abstand zwischen sich und mich gelegt? Ham Sie Angst vor mir? Ich werde Ihnen doch nicht unsympathisch geworden sein, weil ich vorgerückt bin? ›Mensch – ärgere dich nicht!‹«

      »Sie sprechen wie ein alter Personalchef, Gnädigste …«

      »Das wär’ ein Beruf für mich, die nötigen Redensarten dazu hab’ ich jetzt schon oft genug gehört – aber kränken Sie sich nicht, Herr Wichmann! Unglück im Spiel – Glück in der Liebe! Übrigens, Liebe – ich hab’ heute eine Eifersuchtsszene erlebt. Ihretwegen. Können Sie erraten, welche Dame mich beschuldigt, Ihr Herz gestohlen zu haben?«

      »Ich bin völlig ahnungslos.«

      »Das ist’s ja eben, so sind die Männer. Sie haben ja keine Vorstellung von dem, was Sie anrichten, und kein Gewissen. Was machen Sie, wenn die Leiche der kleinen Sauberzweig eines Tages über Ihren Aktenstößen liegt?«

      »Malerisch gruppiert? Es würde mir nichts übrigbleiben, als die Hausverwaltung anzurufen.«

      »Wirklich Steinklumpen!« Fräulein Hüschs Augen rollten. »Wär’s Ihnen nicht einmal einen Strauß Astern wert?«

      »Ach ihr guten Geister …«

      »Dämmert Ihnen doch was? Das Mädchen glaubt, ich sei schuld, daß Sie ihre Vase nicht mehr geduldet haben.«

      »Sie haben sie hoffentlich getröstet?«

      »Aber klar.«

      »Ich möchte wissen, wie, Fräulein Hüsch«, rief Nischan zum oberen Ende der Tafel hinauf. »Haben Sie gesagt, die Konkurrentin um Herrn Dr. Wichmanns Herz sei eine ganz andere?«

      Wichmann hätte seinen Tischnachbarn ohne Skrupel erschlagen können.

      »Wieso andere? Ich habe ihr gesagt, daß es sich bei dem Herrn Assessor um einen Mönch handelt, um einen heiligen Antonius!«

      »Das hat sie geglaubt?«

      »Klar. Wir Frauen sind immer wieder so dumm, an den Charakter der Männer zu glauben. Das Mädchen war furchtbar traurig, daß Sie nicht zum Regierungsrat ernannt worden sind, Herr Wichmann. Rührend! Kein anderer Mensch betrauert Sie so.«

      »Ich bin’s auch gar nicht wert.«

      Borowski konnte es nicht lassen, den Mund aufzutun. »Wenn Sie das selber einsehen? Dann ist alles in Butter!«

      »In Himbeersoße, Herr Borowski.« Wichmann goß sich von dem roten süßen Saft nach. »Sie kriegen mich nicht hoch.«

      »Sie haben ganz recht, Herr Wichmann, setzen Sie sich zur Wehr!« unterstützte der Ministerialrat Nischan. »Die Herren im Referat Grevenhagen sind noch immer schnell genug aufgerückt! Kaum ist der Casparius bei ihm, hat er’s auch schon geschafft – und jetzt werden wir hoffentlich alle solchen Segens teilhaftig werden unter dem höheren Schutz. Ich hebe mein Glas auf den abwesenden Herrn Ministerialdirigenten!«

      Wichmann hatte immer ein unangenehmes Gefühl, wenn August Nischan von Grevenhagen sprach; er hätte es ihm am liebsten verboten, den Namen in den Mund zu nehmen.

      Der Kellner schenkte aus einem Steinkrug nach, Wichmann bekam den Rest, und der Ober blinzelte dabei dem Assessor zu.

      Käse, Butter und Brot machten den Beschluß der Mahlzeit. Der Flaschenwein erschien, den Korts und Casparius zusammen mit Fräulein Hüsch zum allgemeinen Besten stifteten. Man begann zu rauchen. Wichmann hatte 6-Pfennig-Zigaretten. Vielleicht würde er künftig mit der Marke heruntergehen müssen.

      Die Herren plauderten wieder durcheinander. Der Assessor nahm sich August Nischan aufs Korn. Er wollte ihn erst zum Reden und bei sich fortsetzendem Weingenuß zum vertraulichen Schwätzen bringen. Zur Ausführung seines Plans gehörte einige Selbstüberwindung, und Wichmann stieß auch auf Schwierigkeiten, da Nischan nie über kurze Bemerkungen hinauszubringen war und an alkoholischer Flüssigkeit ziemlich viel zu vertragen schien.

      Während Wichmann seine Versuche fortsetzte, hörte er mit halbem Ohr die Diskussion, die zwischen Loeb und Nathan quer über den Tisch entbrannt war.

      »Ihre Überschätzung des Körperlichen, Herr Loeb …«

      »ist nichts als die Erkenntnis der natürlichen Einheit von Leib und Seele. Die generationsweise fortgesetzte einseitige Überspannung des Intellekts führt zur Erkrankung wie eine einseitige Ernährung …«

      »ich sehe die Erkrankung der Menschheit lediglich in der Überschätzung des Körperlichen und in der Anwendung der physischen Gewalt, durch die Millionen von Menschen erschlagen worden sind. Es ist mir nicht bekannt, daß ebenso viele bei uns oder irgendwo auf der Welt an übermäßiger Intelligenz gestorben seien.«

      »Sie verdrehen das Problem, Herr Nathan. Der Krieg, von dem Sie sprechen, ist mit den Mordwerkzeugen geführt worden, die der von Ihnen so geschätzte Intellekt erdacht, und zwar, das muß man ihm lassen, gut erdacht hat. Die körperliche Tätigkeit ist auch bei der Kriegshantierung ins Hintertreffen geraten. Es ist keine Rede mehr davon, daß der stärkere Körper den schwächeren überwindet, und es findet auch keine nützliche Auslese auf diese Art mehr statt, sondern das Trommelfeuer entscheidet und das zu seiner Erzeugung notwendige Metallvorkommen. Der ganze Krieg ist wie die europäische Kultur überhaupt vom Intellekt überwuchert – auf eine ganz falsche Ebene gebracht, ein Gebäude auf wankendem Fundament.«

      »Und dieses Fundament wollen Sie mit Dauerlauf wiederherstellen?«

      »Ich will auch im geistigen Dauerlauf diejenigen hinter mir zurücklassen, mein Herr, die über der Beschäftigung mit Spitzfindigkeiten nicht bemerken, daß der Brand bereits an das Haus gelegt ist.«

      »Sie scheinen von Herrn Musa gelernt zu haben. Obwohl ich von Herrn Musa nicht vermute, daß er über 1 000 Meter durchhält.«

      »Da stimme ich Ihnen ausnahmsweise zu. Er ist ein typischer Schwätzer, was allerdings nicht ausschließt, daß er vielleicht einmal etwas Richtiges gelesen hat. Es wäre die Aufgabe des Judentums, sich auch auf diese Dinge zu besinnen.«

      »Wenn Sie schon einmal vom Judentum reden wollen – dessen Existenz als solches ich durchaus leugne –, so ist seine Aufgabe nach meiner Auffassung gerade dadurch

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