Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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Er wollte den Kampf aufnehmen und das elende Geschwätz zum Schweigen bringen. Der Assessor schaltete die Stehlampe noch einmal ein, er holte sich Bleistift und Papier und rechnete. Er wünschte, in der Kreuderstraße wohnen zu bleiben. Freund Casparius hatte den verborgenen Einflüsterungen von Wichmanns eigenem Herzen nur allzu stichfest, mit Wichmanns neuen Entschlüssen zu vereinbarende Gründe geliehen. Wenn der Assessor den Etat für das Abendessen um die Hälfte herabsetzte und die Kleiderrücklage kürzte, war ein erheblicher Betrag gewonnen. Man konnte auch mit der Geheimrätin verhandeln, eine Zeitung abbestellen und 4-Pfennig-Zigaretten rauchen. Aus dem Klub wollte er nicht austreten, aber der Reitsport war zu streichen – den ersetzte dann allenfalls das Paddelboot mit dem Wochenendmädle. Wichmann verzog die Mundwinkel, um sich selbst zu verspotten. Vielleicht kam Ende des Jahres doch noch die Ernennung zum Regierungsrat. Er konnte auch die letzte Reserve von eintausendfünfhundert Mark in monatlichen Raten zusetzen. Aber das lag nicht im Wesen seiner Erziehung und seines Charakters.
Als der Regierungsassessor am folgenden Donnerstag hinter dem Schatten des Ahornbaumes erleuchtete Fenster schimmern sah und sich im Gesellschaftsanzug zum Besuch des ›jour fix‹ bereit machte, fühlte er sich im Zustand einer Larve, deren Kruste sich härtet. Er mußte seine Blicke, jede Regung, ja, jeden Gedanken kontrollieren. Seine Muskeln strafften und seine Mienen schlossen sich, seine ganze Körperlichkeit gehorchte dem Bilde, das er sich von sich selbst machte. Der Diener bemühte sich heute noch um eine Note achtungsvoller um Herrn Dr. Wichmanns Garderobe.
Als ein Mann, der selbstgezogene Grenzen aus Selbstbewußtsein zu achten entschlossen ist, ging er durch die bekannten Räume. Er begrüßte die Hausfrau mit dem förmlichen Handkuß und ohne Verlegenheit, was ihn selbst in Erstaunen setzte. Frau Grevenhagen lächelte erfreut. Der Verehrer hatte einen Augenblick gefürchtet, daß sie von der Befangenheit des Schuldners gegenüber dem Gläubiger befallen werden könne, aber es war nicht an dem; Marion hatte vermutlich keine bürgerlichen Vorstellungen von dem Druck finanzieller Verpflichtungen. Sie war heiter, soweit ihre Natur das zuließ. Wie ein dunkles Wasser, in dem der lichte Himmel sich spiegelt, so mochte die Oberfläche ihrer Seele heute von angenehmen Vorstellungen erhellt sein. Wichmann sah die Hände, die an seinen heißen Schläfen gelegen hatten, aber es war ihm, als ob das, was er erblickte, nur das Abbild seines Traumes sein könne, nur kühles Wachs, was danach geformt worden war.
Die Stelle des abwesenden Hausherrn vertrat heute sein Vater, der alte Minister a. D. Die Geheimrätin hatte nicht zuviel gesagt, wenn sie ihn eine prachtvolle Erscheinung genannt hatte. Es gelang Oskar Wichmann, von ihm und von einigen älteren Herren – eben jenen, die am Kamin ihren Spaß an Lotte Hüsch gehabt hatten – in das gemeinsame Gespräch aufgenommen zu werden.
»Sie kennen ja die Gedankengänge meines Sohnes, Herr Dr. Wichmann. Er ist nicht sehr optimistisch in bezug auf die Wirtschaftsentwicklung.«
»Jawohl, Exzellenz, seine Diagnose für unsere Wirtschaft lautet auf Krankheit. Die Zahl der Arbeitslosen ist in den letzten Monaten auch tatsächlich über das saisonmäßig begründete Maß hinaus gestiegen.«
»Ah, Sie verfolgen diese Dinge? Haben Sie darüber eigene Aufzeichnungen?«
»Leider nicht. Ich verfolge diese Vorgänge auch nur aus privatem Interesse, auf gelegentliche Anregung von Herrn Ministerialdirigenten Grevenhagen, um unsere Arbeit auch im allgemeinen Zusammenhang zu sehen.«
»Mit dem Wahnsinn der Reparationspolitik graben unsere Gläubiger an den Grundmauern ihres eigenen Hauses«, mischte sich von Linck ein. »Haben Sie, Exzellenz, etwas über dies österreichische ›Kredit‹ gehört?«
Der Minister im Ruhestand zog die buschigen weißen Augenbrauen hoch.
»Nein …«
»Emmerich bietet einen Vergleich an auf der Basis von 6o:1 …«
»Das ist doch glatter Betrug!«
»Tja, was wollen Sie in einem solchen Falle machen? Die Frau soll noch Geld haben, geschützt durch Gütertrennung. Die Zeiten, in denen man sein Vermögen in den Konkurs warf und sich eine Kugel durch den Kopf schoß, sind vorbei. Die Anschauungen wandeln sich.«
»Die meinen nicht, Herr von Linck, dazu bin ich zu alt. Für mich ist die Solidität der Geschäftsgebarung eine Sache der persönlichen Ehre und das Eingehen von Verpflichtungen, die man später nicht erfüllen kann, eines Mannes unwürdig. Auf dieser Grundlage haben meine Vorfahren in der ganzen Welt Handel getrieben und Vertrauen genossen, und ich denke bei solchen Grundsätzen zu bleiben.«
Marion ging eben vorüber. Hatte sie die Worte gehört? Vielleicht waren sie aus einer Atmosphäre gesprochen, die nie in ihr Inneres drang, obwohl sie in dieser Luft leben mußte. Armes fremdes Kind.
Wichmann bereute es nicht, ihr geholfen zu haben.
Er verließ an diesem Abend das Haus Kreuderstraße 3 mit der Überzeugung, daß er seine Rolle gut gespielt hatte. Ja, er schlüpfte so vollständig in die Verkleidung, daß er selbst nicht mehr erkannte, was vorher gewesen war. Der Assessor Dr. Wichmann verkehrte im Hause Grevenhagen als ein fernstehender Bewunderer der schönen Hausfrau, als Mitarbeiter ihres Gatten. Es bedurfte jetzt nur noch, vor sich selbst und vor den anderen, der Bestätigung, daß sein Stolpern in der Karriere mit persönlichen Gefühlen seines Vorgesetzten nicht das geringste zu tun hatte. Dann war allen Gerüchten der Boden entzogen,