Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich

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Marion, als deine Wange sich an meine Schulter legte. Wir haben leise gesprochen wie die Geigen, deren Klang mit dem Mondschein um uns gewebt hat; das Wasser vor uns war dunkel und undurchsichtig geworden und trug nur die Lichtstraße des himmlischen Gestirns, Pforte der Träume. Die Funken des Himmels fielen und verloschen im See, und du erschrakst und fürchtetest, daß es dein Stern sein könne, der gefallen war.

       »Stille Silberflut

       zog in mondenweite Ferne,

       Liebe gab die Hand,

       es fielen Sterne.

       Sterne sterben auch –

       einem Herz ist höllenbang,

       über Busch und Strauch

       weht Gesang.«

      Ich sprach von dir und den Wassern, Marion, und die windverspielten Bäume rauschten in der Nacht.

      Ich habe dich nicht geküßt, Marion, aber nun, da du mir entschwunden bist, küsse ich dich tausendmal. Kind der schwimmenden weißen Rosen und dunkler Wälder.

      Ich muß dich wiedersehen, und meine Arme werden nicht mehr zögern.

      Du wirst spüren, daß meine Lippen heiß sind.

      Wichmann saß vor seinem Schreibtisch im Büro. Er hatte die Hände auf die Akten gelegt, die Abdrücke der Typen der Adlermaschine standen ungelesen auf dem Bogen. Der Gefangene hatte die Fenster geöffnet. Die Stadt roch nach Staub, Rauch und Hitze, die Handflächen waren feucht von Schweiß. Drunten im Hof ärgerte der Heizergehilfe, der im Sommer wenig zu tun hatte, den fauchenden Kater. Von den Ulmen fielen vorzeitig verdorrte Blätter auf den grauen Erdboden.

      Woran denkst du, Marion? Weißt du es noch, wie wir beide in die Flut sprangen, wie wir erschreckt hinuntersanken zwischen die Fische und die Wasser über uns wallten und zusammenschlugen und wie wir durch grüne Schimmer wieder zur Sonne auftauchten? Hast du im Traum noch einmal unter den schwarzen Bäumen gestanden in der schweren Süße der Nacht und noch einmal gewußt, warum mein Herz stockte und meine Glieder lahm gewesen sind? Tausendmal gehofftes Wunder, im Schlafen und Wachen ersehnt, betäubt den Wartenden, wenn es geschieht.

      Meine Arme schlingen sich jetzt um dich, Marion, ich presse dich an mich. Du bist mein. Wir sehen uns wieder, Marion.

      Wichmann hatte das Klopfen überhört. Er schrak auf, als es sich wiederholte, und bat den Einlaß Suchenden einzutreten, aber es klopfte nur ein drittes Mal, und Wichmann erhob sich und machte die Türe auf.

      In der dämmrigen Schwüle des Korridors stand eine Gestalt mit vorgebeugtem Nacken und unsicheren Augen. Die breiten Lippen lächelten verlegen. Die Kopfhaut glänzte unter dem schütteren, leicht gekräuselten Haar. Wichmann entsetzte sich, ohne zu wissen, warum.

      »Sie haben geklopft? Wollen Sie bitte eintreten, Herr Nathan?«

      »Ich störe Sie gewiß?«

      »Ja. Aber Sie werden die Störung dadurch nicht geringer machen, daß Sie sich jetzt wieder zurückziehen. Bitte …«

      Wichmann schob den Gast, von dem er immer noch nicht wußte, warum er ihm unheimlich war, durch die Tür herein.

      »Ich möchte Sie nicht aufhalten, Herr Wichmann.«

      »Was führt Sie zu mir?«

      »Nichts … ich wollte weiter nichts. Ich dachte, Herrn Casparius vielleicht bei Ihnen zu treffen. Er ist nicht hiergewesen?«

      »Heute noch nicht.«

      Der merkwürdige Mensch blieb in der Mitte des kleinen Zimmers stehen und sah sich um.

      »Sie wohnen nicht schlecht, Herr Assessor Wichmann. ›Klein, aber mein.‹ Als ich seinerzeit eintrat, mußte ich mit einem zweiten Herrn zusammen hausen. Die Räume sind knapp und winklig in unserem alten Bau, nur für die hohen Herren ist Platz. Können Sie eigentlich durch den Hof zu uns in den Orient hinübersehen?« – Der Sprecher trat an das Fenster. – »Kaum. Im Winter vielleicht durchs dürre Geäst. Ein Wunder, daß die Ulmen noch wachsen. Es gibt doch eine Ulmenkrankheit? Die könnte man auch kriegen, wenn man lange genug in dem Stall hier versauert.«

      »Fühlen Sie sich bereits angegriffen, Herr Nathan?«

      »Der Bazillus fliegt uns alle an. Ist das ein Leben, das wir hier führen? Vor den Akten sitzen, wenig verdienen, langsam vorwärtskommen, die Launen der Mächtigen ertragen und verkalkt in Pension gehen – sind das die Hoffnungen, die Sie sich haben an Ihrer Wiege singen lassen?«

      »Meine Wiege war, soviel ich mich erinnern kann, ein Gitterbett, und der Gesang war vermutlich mehr meinerseits. Über seinen Wohlklang und die darin ausgedrückten Zukunftsansprüche kann ich aus Mangel an Gedächtniskraft leider keine Aussagen mehr machen. Aber vielleicht hat Ihr Intellekt etwas früher zu registrieren angefangen, Herr Nathan, und Sie können sich die bei der Säuglingsmilch gehegten Hoffnungen noch einmal hochkommen lassen?«

      »Es kommt nichts als Käse zum Vorschein, Herr Wichmann, laufend, stinkend, schon verdorben. Wenn man sich vorstellt …«

      »Ich begreife auch nicht, Herr Nathan, warum Sie sich bei uns aufhalten. Es gibt ohne Zweifel bessere Verdienstmöglichkeiten. Auch Fräulein Hüsch, deren Vater Geschäftsmann ist, stellt das immer wieder fest.«

      »Verdienst, sagen Sie? Was will ich schon mit dem Verdienst?«

      »Ist es nicht Ihr Lebensziel, ein reicher Mann zu werden?«

      »Nein – Herr –«

      Nathan hatte sich dem Fragenden zugewandt. In seinem Körper ging auf einmal eine Veränderung vor, als ob in ihm etwas wachse und seine schlaffen Glieder, seinen gebeugten Nacken ausfülle und straffe. Er sah aus wie ein gereiztes Tier im Angriff, und Wichmann nahm unwillkürlich das Kinn zurück, mit einem Schauer und wie vor einem beginnenden Kampf. Aus den Augen des andern brach ein gelbes Licht, und seine Fäuste hatten sich verkrampft.

      »Nein – Herr – Verdienst ist nicht mein Ziel – Macht will ich haben – Macht!« Mit dem letzten Wort brach die Spannung in dem Menschen wieder zusammen. Die Finger hatten sich gelöst, die Augen schlossen sich halb, und die Schultern wurden wieder schlaff. »Es ist alles Mumpitz, Herr Wichmann. Reden wir von etwas anderem. Wenn man noch ein Leben führen könnte wie der Grevenhagen. Die Familie hat offenbar viele gesellschaftlichen Beziehungen! Grevenhagen muß sehr vermögend sein, vielleicht auch von der Frau her?«

      »Ich habe die Grevenhagensche Steuererklärung noch nicht studiert. Aber mir scheint, Geld ist doch auch in Ihren Augen nicht so unnütz, wie Sie mir eben versichern wollten.«

      Der Regierungsrat lachte leichthin. »Von ganz unnütz habe ich nichts gesagt. Oder doch? Aber auch Geld ist Macht. Na, jedenfalls der Stil, in dem die Familie ihren Sport und ihre Geselligkeit treibt, ist für einen schlichten Ministerialbeamten auffallend. Es muß sehr viel privates Vermögen dahinter stehen, so daß man sich fast wundert, warum Grevenhagen auf das schimmlige Dasein in den Amtsräumen überhaupt noch Wert legt. Auf Gehalt und Pension müßte er doch verzichten können, wenn er innerhalb von wenigen Monaten ein Diadem für achtundzwanzigtausend Mark und zwei Grauschimmel für sechzigtausend Mark kauft.«

      »Sie

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