Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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Baier nahm seine Brille von der Nase und verwahrte den Gegenstand behutsam im Futteral.
»Ja, wir sind die beiden im Referat Grevenhagen, die den kürzeren gezogen haben, lieber Herr Assessor. Ich bin es schon gewohnt. Man bekommt auch Übung im Verzichten und Zurückgesetztwerden, lieber Herr Assessor, und wenn ich nicht Pöschkos höhnisches Gesicht sehen müßte, wär’s mir jetzt schon egal. Meine besten Jahre hab’ ich doch hinter mir – mit dem Heiraten ist’s auch nichts mehr …«
»Aber warum, Herr Inspektor? Ein so gut aussehender Mann wie Sie in angenehmer und gesicherter Stellung …?«
»Ach, lieber Herr Assessor … das ist ein schwieriges Kapitel. Zu irgendeiner Emma oder Isa oder Bella möcht’s schon reichen. Aber ›Irgendeine‹ kommt doch für mich nicht in Frage. Ich bin ein Träumer, Herr Assessor, ich habe künstlerisches Gefühl und Empfinden für das Exklusive. Sehen Sie sich das Fräulein Hüsch an, das ist eine Dame. Wenn ich als Sohn eines Generaldirektors geboren wäre … aber ich habe kein Geld. Ich wäre der Mensch dazu, aber ich habe kein Geld. Ich weiß wieder nicht, wie ich die Reise nach Nürnberg zum ersten Fußballtreffen bezahlen soll.« Inspektor Baier holte ein kleines, sauber gehaltenes Kontobuch hervor. »Ich weiß es nicht. Vor dem 15. Mai zahlt mir die Hüsch die hundert Mark nicht zurück. Das Mädchen macht Ansprüche, Herr Assessor, Ansprüche! Nehmen Sie sich in acht! Ehe Sie nicht mindestens Ministerialrat sind, können Sie nicht mit ihr heiraten.«
»Zu jenem etwas fernen Zeitpunkt habe ich aber die Absicht, nach Ihrem Dafürhalten?«
»Herr Assessor, im Vertrauen, sie hat mir gesagt, daß Sie ihr das neue Bücherverzeichnis gemacht haben. Mir fiel ein Stein vom Herzen, daß es damit geklappt hat. Das Mädchen versteht zu organisieren.«
»Aber mit dem Heiraten und dem Ministerialrat ist’s für mich leider noch lange hin.«
»Ja, Herr Assessor, Sie tun mir leid. Sie waren doch der Favorit?«
»Das schien so.«
»Aber dem Personalchef ist aufgestoßen, daß Casparius sehr viel dienstälter ist, und er hat … Sie dann … Aber das darf ich Ihnen ja nun eigentlich nicht sagen.«
»Ich weiß es schon. Wenn Sie mir nur noch einmal bestätigen wollen, daß ich richtig informiert bin! Das Personalreferat hat bei der Abteilung rückgefragt und zur erneuten Stellungnahme aufgefordert, und dabei ist die Karre gekippt …«
»Ach, Sie wissen es schon? Ja, der Boschhofer hätte Sie gehalten, der kann den Casparius nicht so gut leiden, obwohl dem seine Partei auch zur Koalition gehört und der auch katholisch ist – aber doch ganz anders als der Boschhofer – ’s war also nicht Boschhofer, sondern Grevenhagen …«
»… der nicht darauf bestanden hat, daß meine Ernennung vorgehe.«
»Eben, eben! Und wenn Boschhofer nicht durch den Referenten gedeckt war, konnte er auch nichts machen. So ist Ihnen der Casparius um eine Nasenlänge vorausgekommen.«
»Na ja, sehen Sie … Ministerialdirigent Grevenhagen mit seiner Gewissenhaftigkeit war in einer schwierigen Lage. Casparius ist nur zu ihm abgeordnet. Es wäre Grevenhagen besonders übel angekreidet worden, wenn er diesen Mann mit seinem halben Dutzend Dienstjahren, einer Frau und drei Kindern meinetwegen hätte zurückstellen lassen. Es wird ihm sowieso dauernd der Vorwurf gemacht, daß er seine Mitarbeiter besonders schnell fördere. Mir selbst ist es lieber, daß Casparius die Planstelle bekommen hat.«
Das Telefon rief. Baier nahm den Hörer ans Ohr.
»Frau Lundheimer. Sie möchten sofort zu Boschhofer kommen, Herr Assessor.«
Wichmann machte sich auf den Weg. Auch der Amtmann Pöschko hätte heute mit der gemessenen Gangart des Assessors auf der rot belegten Treppe zufrieden sein können.
»Ach … mein lieber Herr Wichmann … Sie hatten mich während meiner Dienstreise sprechen wollen? Frau Lundheimer hat mich davon unterrichtet. Wo drückt der Schuh?«
»Ich möchte mir nur die Frage erlauben, Herr Ministerialdirektor, ob gegen meine Ernennung zum Regierungsrat Gründe vorgelegen haben, die in meiner Person oder in meiner Arbeitsleistung zu suchen sind, oder ob ich darauf hoffen kann, bei der nächsten Gelegenheit berücksichtigt zu werden?«
»Warum wollen Sie nicht darauf hoffen, lieber Wichmann?« Boschhofer war gut gelaunt. »Ich hatte angenommen, daß es schon diesmal klappen würde, aber Sie sind noch so jung, Maikäfer, der eben aus der Erde kommt, und ich kann auch nicht alles allein machen. Verstehen Sie mich? Herr Grävenhagen ist Beamter und nochmals Beamter. Er ist in alles verliebt, was mit dem Begriff ›Dienst‹ zusammenhängt, Dienstpflichten, Dienstauffassungen, Dienstalter … in Ihrem Falle ›Dienstalter‹ oder vielmehr fehlendes Dienstalter. Nur den Begriff des Dienstvorgesetzten oder die Person seines Dienstvorgesetzten scheint er abzulehnen. Vielleicht schätzt er es nicht, daß ich Sie schätze. Aber im nächsten Jahr liegt Ihr Fall schon anders. Ich hoffe, daß uns beim kommenden Etat einige neue Stellen bewilligt werden. Sie haben diese hübsche Ausarbeitung gemacht, ja, wirklich hübsch – ich habe nächstdem wieder etwas für Sie. Also sehen Sie nur vertrauensvoll in die Zukunft. Sie sind jetzt der einzige Assessor in unserer Abteilung. Es kann Ihnen nicht fehlen.«
»Ich danke, Herr Ministerialdirektor.«
In der Abteilung konnte sich das Gerücht verbreiten, daß Wichmann entweder zugunsten seines Freundes Casparius auf die Ernennung verzichtet habe oder ein Opfer der bekannten Feindschaft zwischen Boschhofer und Grevenhagen geworden sei.
Das Leben, das der Assessor in den folgenden Wochen und Monaten führte, war ohne Schwierigkeiten und ohne tiefere Gedanken. Er hatte seine Ausgaben der Höhe seines Gehaltes angepaßt. Einige kleine Änderungen des bisher Gewohnten genügten, die Grundzüge des bisherigen Lebensstandards wurden nicht berührt. Das Erstaunen des Kellners in der Weinstube über die plötzliche Untreue des Stammgastes war überwunden. Die im Hause der Geheimrätin eingenommenen billigen und sättigenden Mahlzeiten wurden häufiger. Oskar Wichmann mied die Oper und das Schauspiel und ging wöchentlich einmal in ein Kino zum Vergnügen der lebhaften blonden Studentin, die Schildhauf mit ihm bekannt gemacht hatte. Die Paddelausflüge, die Oskar Wichmann mit Dieta am Sonntag unternahm, fanden häufig die Gesellschaft von Schildhauf und Fräulein Hüsch, und obwohl Lotte mit sehr vielem unzufrieden zu sein pflegte, wurde sie von den Herren nicht als Last, sondern als Anregung empfunden. Dieta lachte stets. Sie hatte eine Bewegung, die Locken aus dem Gesicht zu werfen, die hübsch war. Ihre weiße Haut und ihre roten Wangen brauchten keine Schminke. Wenn sie im hellblauen Wolltrikot über den Strand lief oder mit Rauschen und Getöse im seichten Wasser Schaum aufsprühen ließ, schauten viele nach ihrer mädchenhaften Gestalt, und Oskar Wichmann wußte, daß er selbst, braun gebrannt und schlank, nicht übel neben ihr aussah. Der freie Tag verlief mit Spielereien, und es folgten ihm Nächte mit langem Schlaf. Wenn Wichmann auf der Couch die Augen schloß, spürte er noch den feuchten frischen Duft, der über der sonnigen Seefläche gelegen hatte, und lächelte ein letztes Mal über das kindlich-hemmungslose Vergnügen, mit dem Dieta in Sonne und Wasser hineinsprang. Die Ausflüge kosteten nie viel. Das Mädchen war von einer erstaunlichen Kargheit in ihren Ansprüchen und fand es selbstverständlich, daß man sich des Abends trennte und Schildhauf mit seiner Partnerin allein in die gepflegten Seerestaurants gehen ließ, während Dieta mit Oskar noch am Ufer lag und Brühwürfel zum Brot abkochte. O wie schön, rief Dieta, wenn die Sonne unterging, o wie fein,