Simone de Beauvoir und der Feminismus. Ingrid Galster
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Bei der Rechten und der extremen Linken aneckend, war Beauvoir, wie ich denke, klar ihrer Zeit voraus. Heute kann man sich fragen, welches Verdienst wohl größer gewesen ist: erkannt und geschrieben zu haben, dass »die Frau« immer nur das ist, wozu die jeweilige Gesellschaft sie konditioniert – oder eine Sprache gefunden zu haben, um Tabu-Themen öffentlich verhandelbar zu machen. Neben jenen, die vor der Krudität ihrer Begriffe zurückschrecken oder sich über ihren philosophischen Jargon lustig machen, unterstreichen andere, die sie verteidigen, den völlig neuen Ton, den sie anschlägt. Besonderes Interesse für diesen Ton zeigt die einzige Frau im Lektürekomitee des Pariser Verlags Gallimard, die wenige Jahre danach unter einem Pseudonym die Histoire d’O publizieren sollte, einen Roman, der als Pornografie verboten wurde. Dominique Aury analysiert näher die Ursachen des Skandals, den Beauvoirs Buch hervorrief:
Wenn eine Frau ausführlich und in sogenannten wissenschaftlichen Begriffen über die konkreten Vorgänge des Liebesaktes diskutiert, bricht sie das größte aller Tabus und verstößt gleichzeitig gegen die Regeln des Anstands und der guten Erziehung. Sie macht sich in gewisser Weise zum Ausstellungsstück, sie kompromittiert sich und damit zugleich die anderen Frauen, die nicht zu den Letzten gehören, die wütend auf sie sind. Von daher das Gelächter, denn die Umwege der philosophischen Sprache haben manchmal komische Wirkung; Gelächter aber vor allem, weil diese Sprache im Allgemeinen ohne Umschweife ist und weil es eine Frau ist, die sie benutzt. Die Klarheit ist jenen vorbehalten, die das Berufsgeheimnis zum Schweigen zwingt: den Ärzten und den Beichtvätern. Von einer Frau kommend und über dieses Thema, ist eine klare Sprache eine Anmaßung, ein Skandal. Darum ist das Buch Simone de Beauvoirs epochemachend, weniger durch seinen Inhalt als durch seine natürliche Ausdrucksweise. Aggressiv geschrieben, hätte es weniger Skandal erregt. Aber es ist so geschrieben, als wäre es ganz selbstverständlich, es zu schreiben. Von Scham oder Peinlichkeit, christlicher oder nichtchristlicher Art, nicht die geringste Spur bei Simone de Beauvoir.62
Um festzustellen, wie groß der Abstand zwischen der Sprache des Anderen Geschlechts und den Konventionen ist, dem also, was üblich und zulässig war, braucht man nur die Rezensionen zu lesen, die voller Euphemismen stecken. Schon das Wort »Sexualität« ist für die Mehrzahl unaussprechbar; stattdessen ist von »Erotik« die Rede. Um den Begriff »Lesbianismus« zu vermeiden, benutzt ein Kritiker die Umschreibung »weibliche Verirrung der Leidenschaften der Liebe«. Prüde in der Öffentlichkeit, schreckte man im privaten Gespräch freilich vor deutlichen Worten keineswegs zurück. Beauvoir hat selbst darauf hingewiesen, als sie in ihrer Autobiografie den seither immer wieder zitierten Satz Mauriacs festhielt, den dieser an einen Mitarbeiter der Zeitschrift Les Temps modernes geschrieben habe: »Nun weiß ich alles über die Vagina Ihrer Chefin.«63 Als Mauriac dieses »furchtbare Wort« – wie er schrieb – in Beauvoirs Memoiren entdeckte, meinte er, es sehe ihm überhaupt nicht ähnlich.64 Aber es gibt andere Texte, die belegen, dass er mit Worten nicht besonders zimperlich war. Eines seiner Bücher war von einer der brillantesten Intellektuellen ihrer Zeit, die Beauvoir in nichts nachstand, von der wir aber heute kaum etwas wissen, weil ihre Geschichte nicht geschrieben wurde, verrissen worden. In einem Brief beklagt er sich über sie bei einem Freund. Dieser Brief wurde nicht lange nach Erscheinen des Anderen Geschlechts geschrieben:
Ihre Seiten trösten mich über die Niedertracht des Weibs Magny hinweg. Diese gebildeten Idiotinnen, die ihre Louis XV-Absätze in alle Wege bohren, die uns hoch und heilig sind, diese pseudogelehrten und kreischenden Arschlöcher, man sollte sie in einen Kindergarten stecken, wo sie die Hintern abwischen und die Töpfe ausleeren müssten bis zu ihrem Tode.65
Hätte Mauriac einen schöneren Beleg dafür liefern können, wie dringend Beauvoirs Buch war?
Heute kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die ganze Debatte um Lichtjahre zurückliegt. Dass Menschen – auch Frauen – zu dem werden, was die Sozialisation aus ihnen macht, ist ein alter Hut, der keinen Feuilletonredakteur mehr interessiert. Wer – zumindest bei uns – nach dem Markt schielt wie kürzlich Katharina Rutschky,66 greift gewollt oder ungewollt auf die Überzeugungen der Frauen und Männer zurück, die 1949 verständnislos den Thesen Beauvoirs gegenüberstanden, und verweist die Frauen an den angestammten Platz der Hüterin des Feuers und der Gebärerin. Der Antifeminismus ist »in«. Ich denke allerdings, dass wir nicht alle Kritik am – wie Katharina Rutschky absichtsvoll sagt – »real existierenden Feminismus« reflexartig und unbesehen zurückweisen sollten. Ein Vergleich etwa mit Frankreich zeigt, dass bei uns der Feminismus wesentlich stärker institutionalisiert ist,67 aber ist er darum auch wirkungsvoller? Die Feministinnen sind in Frankreich eine echte politische Kraft, mit der der Staat rechnen muss, ohne qua Amt dazu verpflichtet zu sein.68 Ich habe manchmal den Eindruck, dass es bei uns eher umgekehrt ist. Wir haben Frauenbeauftragte und Frauenforschungsprofessuren en masse, aber die politischen Impulse, die in Frankreich von den Frauen ausgehen, spüre ich in Deutschland sehr wenig. Wir müssen uns wohl wirklich davor hüten, dass feministische Veranstaltungen unserer narzisstischen Selbstinszenierung dienen und dass der Feminismus völlig zum reinen Stellenbeschaffungsprogramm und zur akademischen Profilierungsnische degeneriert, die er de facto vielfach ist. Bei manchen Feministinnen klaffen öffentlich proklamierter Anspruch da, wo es nichts kostet und vielmehr Anerkennung und womöglich Geld einbringt, und konkretes Engagement vor Ort da, wo es persönliche Unannehmlichkeiten mit Kollegen nach sich ziehen könnte, stark auseinander.69 Überhaupt scheint die Engagement-These Beauvoirs und Sartres – nicht zu reagieren, ist auch eine Reak- tion, denn man stützt durch Passivität immer diejenigen, die die Macht haben – aus der Mode gekommen zu sein. »Gottseidank«, schrieb mir vor einiger Zeit eine Feministin, als ich ihr von bestimmten Machenschaften berichtete, von Betrug und Vetternwirtschaft, »Gottseidank bin ich nicht zum Mit- oder Gegenpokern gezwungen«. Das heißt: Die Zuschauerposition ist legitim. Wenn es dem »real existierenden Feminismus« nicht so gehen soll wie dem real existierenden Sozialismus, der in Bürokratie erstarrte, dann müssen die Feministinnen eine Phase der Selbstkritik einlegen, um sich von innen zu erneuern.70 Denn solange Männerbünde existieren, die verhindern, dass »gebildete Idiotinnen« ihre Louis XV-Absätze in Terrain bohren, das sie nach wie vor als ihr Jagdgebiet betrachten, ist die Forderung nach Gleichberechtigung weit davon entfernt, überflüssig zu werden.
Bibliografie
Audry, Colette. 1949. »Presseschau«. In: Combat, 22. Dezember.
Beauvoir, Simone de, 1949. Le Deuxième Sexe, I: Les faits et les mythes. II: L’expérience vécue. Paris, Gallimard (dt. Das andere Geschlecht. 1951, Neuübersetzung 1992. Reinbek, Rowohlt).
Beauvoir, Simone de. 1963. La Force des choses. Paris, Gallimard, Bd. I, »Folio«.
Beauvoir, Simone de. 1998. A Transatlantic Love Affair. Letters to Nelson Algren. Compiled and annotated by Sylvie Le Bon de Beauvoir. New York, The New Press.
Gerhard, Ute. 1999. Atempause. Feminismus als demokratisches Projekt. Frankfurt/M., Fischer taschenbuch.
Mauriac, François. 1989. Nouvelles lettres d’une vie. 1906 – 1970. Paris, Grasset.
Mauriac, François. 1993. Bloc-Notes. Bd. 3: 1961 – 1964. Paris, Le Seuil.
Rousseau, Renée. 1983. Les femmes rouges. Chronique des années Vermeersch. Paris, Albin Michel.
Rutschky, Katharina. 1999. Emma und ihre Schwestern. Ausflüge in den real existierenden Feminismus. München, Hanser.
Erschienen in Das Argument Nr. 235 (2000)
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