Simone de Beauvoir und der Feminismus. Ingrid Galster
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Simone de Beauvoir und der Feminismus - Ingrid Galster страница 10
Feministische Gegenpositionen
Die siebziger Jahre haben jedoch auch andere Arten als Beauvoirs emanzipatorischen Egalitätsfeminismus entstehen lassen. Voraussetzung dafür war in den sechziger Jahren in Paris ein erkenntnistheoretischer Umbruch, der die Psychoanalyse stark favorisierte und die Geltung des progressiv-linearen Geschichtsmodells in Frage stellte. Feministinnen formulierten eine Theorie des weiblichen Unbewussten und errichteten auf dieser Grundlage einen Feminismus der Differenz, den sie Beauvoirs Feminismus der Gleichheit entgegensetzten. Damit behaupteten sie genau das, was Beauvoir abgestritten hatte: Es gibt eine weibliche Identität, eine weibliche Essenz. Diese weibliche Natur wurde freilich jetzt nicht mehr von den Männern definiert, sondern von den Frauen selbst: Auch sie hängt essenziell mit Mutterschaft zusammen. Eine der wichtigsten Vertreterinnen dieser Richtung formulierte in Abänderung des berühmten Satzes aus dem Anderen Geschlecht: »Man wird als Mädchen oder als Junge geboren, und die Physiologie ist ein Schicksal für das Mädchen oder den Jungen.« Antoinette Fouque, die im Europaparlament für ihre Überzeugung kämpfte, äußerte 1986, als Beauvoir starb, dass nun endlich der Weg der Frauen ins 21. Jahrhundert frei sei!39
Ich erwähnte vorhin die poststrukturalistischen oder postmodernen Feministinnen. Sie greifen noch radikaler Beauvoirs Denkgrundlage an.40 Beauvoir – so war zu hören – operiert stark mit Oppositionen wie Transzendenz und Immanenz oder Subjekt und Objekt. Das Überschreitenwollen der Situation, eine Bewegung nach vorn, ist in ihren Augen für jedes Bewusstsein konstitutiv, und zwar geschlechtsunabhängig. Neuere Theoretiker haben nun im Rahmen einer fundamentalen Vernunftkritik diesem Denken zunächst die Allgemeingültigkeit abgesprochen und sie nur für das abendländische Denken, den »okzidentalen Diskurs«, gelten lassen. Sie sprechen von »Logozentrismus«. Jacques Derrida, der diese Vokabel in Umlauf brachte, und mit ihm die Feministinnen sind noch einen Schritt weitergegangen. Sie haben die Männer – und nur sie – als Urheber dieses Denkens demaskiert. Am deutlichsten hat die Französin Hélène Cixous sich in dieser Richtung ausgesprochen. Die Oppositionen »Kultur vs. Natur«, »aktiv vs. passiv«, »positiv vs. negativ« sind für sie unkenntlich gemachte Wiederholungen der ersten Opposition, die lautet: »Mann vs. Frau«. Was sich als allgemeingültig ausgibt, ist tatsächlich eine Kreation der Männer. Unsere Sprache bietet dafür deutliche Belege. Denken Sie allein an das kleine Wörtchen »man«. Kurzum: Beauvoir wird von diesen Feministinnen bezichtigt, ihren Essay über die Situation der Frauen auf einer männlichen Philosophie begründet zu haben. Auch für Beauvoir war die Welt, in der wir uns bewegen, männlich, aber die Denkwerkzeuge, mit denen wir sie begreifen, neutral. Für viele neuere Feministinnen gibt es diese Neutralität nicht mehr. Ihnen geht es nicht mehr darum, innerhalb der überkommenen Denkformen neue Inhalte zu fordern, sondern diese Denkformen selbst zu unterminieren. Sie machen genau das, was Beauvoir als extreme, aber letztlich inakzeptable Form des Protestes bezeichnete: Sie lösen Eindeutigkeit, die vermeintlich männlich ist, in Vieldeutigkeit auf. Denn so kann man stark versimpelt die écriture féminine, die von Hélène Cixous lanciert wurde, oder auch die Dekonstruktion umschreiben.
Frau oder Mensch?
Wie man sich selbst innerhalb dieser Strömungen positioniert, ist nicht nur Ansichtssache, sondern entspricht – jedenfalls an den Universitäten – vielfach unausgesprochenem akademischem Zwang. In den USamerikanischen Literaturwissenschaften war der Dekonstruktivismus lange verbindlich, wobei dieser als »French Feminism« schlechthin tituliert wurde, was die Pariser Feministinnen (in der Mehrzahl Historikerinnen und Sozialwissenschaftlerinnen, die einen Egalitätsfeminismus à la Beauvoir praktizieren) einigermaßen ärgerte. Auch an den deutschen Universitäten gehört einiger Mut dazu, sich für Beauvoir zu interessieren, denn man setzt sich dem Verdacht aus, zum alten Eisen zu gehören.41 Aber die Dekonstruktion hat durchaus ihre Grenzen. Darauf hat vor einigen Jahren noch Françoise Collin hingewiesen, die selbst entscheidenden Anteil am Feminismus der siebziger Jahre hatte und als Philosophin eine der scharfsinnigsten Theoretikerinnen der Pariser Szene ist. Denn der philosophische Ansatz der Dekonstruktion bleibt auf dem abstrakten Niveau der Kategorien stehen und verfehlt daher die soziale und politische Realität der Frauen. Der Aufweis, dass »Mann« und »Frau« willkürliche Setzungen sind, die der durchmischten Wirklichkeit nicht entsprechen, ändert nichts daran, dass sie sich soziopolitisch in einer Beziehung der Herrschaft befinden, die sie dualisiert.42 In diesem Sinne ist der Grundansatz Beauvoirs auch heute noch nicht überholt, obwohl die Entwicklung in den fünfzig Jahren seit Erscheinen des Buches die Herrschaft des einen über das andere Geschlecht gemildert hat, und dies, nachdem genau das eingetreten ist, was Beauvoir für nötig hielt: zunehmende Teilnahme der Frauen an der Erwerbsarbeit und Geburtenkontrolle. Die Geburtenkontrolle ist wohl nicht so schnell abzuschaffen; dagegen sind die Frauen beim Rückgang der ökonomischen Konjunktur immer die Ersten, die an den Herd zurückkehren sollen. Es wäre eine soziologische Untersuchung wert festzustellen, wieso sich gerade in einer solchen Situation Antifeministinnen als neue Avantgarde mit der These Gehör verschaffen konnten, die Frauen erhielten nur dann ihre Würde zurück, wenn sie ihren angestammten Platz als Hüterinnen des Feuers und Gebärerinnen einnehmen. So jedenfalls äußerte sich im Jahre 1999 die deutsche Publizistin Katharina Rutschky und erhielt dafür sogar noch Beifall.43 Ich für meinen Teil halte es eher mit dem republikanischen Frankreich, in dem die Differenzfeministinnen eine Minderheit sind. Tausende von Frauen, die Beauvoir bis an ihr Lebensende schrieben,44 dankten der Verfasserin des Anderen Geschlechts nicht, weil sie ihnen ein Gefühl ihrer Würde als Frauen, sondern als Menschen gegeben hatte.
Bibliografie
Bard, Christine. 2001. Les femmes dans la société française au 20e siècle. Paris, Armand Colin.
Barreau, Jean-Michel. 2000. Vichy, contre l’école de la République. Théoriciens et théories scolaires de la »Révolution nationale«. Paris, Flammarion.
Beauvoir, Simone de. 1992 [1951]. Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Neuübersetzung. Reinbek, Rowohlt.
Beauvoir, Simone de. 1966. Der Lauf der Dinge. Reinbek, Rowohlt.
Beauvoir, Simone de. 1997. Lettres à Nelson Algren. Paris, Gallimard (dt. Eine transatlantische Liebe. Briefe an Nelson Algren 1947 – 1964. Reinbek, Rowohlt 1999).
Boschetti, Anna. 1985. Sartre et Les Temps modernes. Paris, Minuit.
Chaperon, Sylvie. 2000. Les années-Beauvoir. 1945 – 1970. Paris, Fayard.
Collin, Françoise. 1993. »Le philosophe travesti, ou le féminin sans les femmes«. In: »Féminismes au présent«, Futur antérieur. Paris, L’Harmattan.