Simone de Beauvoir und der Feminismus. Ingrid Galster
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Beauvoir berichtet danach über die Lage der Frauen im frühen Christentum, die auch nicht besonders günstig war, sobald die Sünde mit der Sünde des Fleisches identifiziert und die Frau als Versuchung des Teufels betrachtet wurde. Der mittelalterliche Frauenhass ist sprichwörtlich. In den Jahrhunderten danach erhalten die Frauen in den privilegierten Klassen mehr Bildung, Kultur, Freiheit und Selbständigkeit, aber die Blaustrümpfe werden mit Hohn bedacht. Das 18. Jahrhundert brachte immerhin schon männliche Feministen hervor, aber auch Autoren wie Rousseau, die die Frau ausschließlich für Ehe und Mutterschaft reservieren wollen.
Dass die Französische Revolution die Frauen nicht favorisierte, ist bekannt. Die Menschenrechte waren tatsächlich Männerrechte. Im 19. Jahrhundert werden die Frauen in Küche und Haushalt versklavt. Als Beleg bringt Beauvoir ein Zitat von Honoré de Balzac aus der Physiologie du mariage:
Die Bestimmung der Frau und ihr einziger Ruhm liegen darin, das Herz der Männer höher schlagen zu lassen … die Frau ist ein Eigentum, das man durch Vertrag erwirbt. Die Frau ist genau genommen nur ein Annex, ein Anhängsel des Mannes.
Aber im 19. Jahrhundert gab es auch die utopischen Sozialisten, die die Abschaffung jeglicher Sklaverei verlangten. Damit wird zumindest in der Theorie auch die Frau befreit. Beauvoir bedauert, dass nicht immer die vernünftigen Thesen die meisten Anhänger finden. Von einigen Sozialisten werde die Frau nämlich auch im Namen ihrer Weiblichkeit verherrlicht, was das sicherste Mittel sei, sie zu schädigen. Die Frau muss – so Beauvoir – nicht als Frau, sondern als Mensch anerkannt werden, damit ihr Gerechtigkeit widerfährt. Gerechtigkeit kann sie nur durch Gleichheit erfahren.
Es sind schließlich zwei entscheidende Neuerungen, in denen Beauvoir Voraussetzungen für die Befreiung der Frauen sieht: 1. die Einführung der Maschine im 19. Jahrhundert und damit die Teilnahme der Frauen an der Erwerbsarbeit; 2. die Möglichkeit der Geburtenkontrolle, die dem Zwang der Reproduktion ein Ende setzt, den Beauvoir vor allem als Ursache für die Randstellung der Frau ausgemacht hat. 1949 sieht Beauvoir die zunehmende Assimilation der Frauen an die Männerwelt am Horizont aufleuchten. Freilich gibt es noch Hindernisse wie die Doppelbelastung der Frauen durch Familie und Beruf und die geringeren Chancen, die Frauen – so Beauvoir – bei Konkurrenz um dieselbe Stelle als Männer haben. Beides ist auch heute noch gültig, wie man mühelos beobachten kann. Auch wenn Ansätze bestehen, ist die Befreiung nicht erreicht. 1949 war sie es weniger als heute. Viele Frauen, so Beauvoir, trauen sich daher nicht, selbständig aufzutreten, und bleiben lieber bewusst in der Abhängigkeit der Männer. Sie versuchen, dem Bild zu entsprechen, das die Männer von ihnen haben, um für sie akzeptabel zu sein.
Mythen
Das ist das Scharnier, mit dem Beauvoir zum nächsten Teil ihrer Arbeit überleitet, dem Teil, den sie mit »Mythen« überschreibt und der mehr Raum einnimmt als die vorangegangene Darstellung der Geschichte. Dieser Teil war der Ausgangspunkt ihrer ganzen Arbeit gewesen; er erschien auch zuerst (von Mai – Juli 1948) im Vorabdruck in den Temps modernes. Während der geschichtliche Teil sich immer stärker auf die Ökonomie als Rahmen hin bewegte – was vielleicht auch von den Quellen abhing, die sie benutzte –, geht es hier wieder wesentlich philosophisch zu. Beauvoir zeigt, dass die Frau für den Mann eine Doppelnatur besitzen muss, die er in Mythen, Legenden, im religiösen Kult, aber auch in der Literatur von ihr entwirft. Wenn ich zu Beginn sagte, dass die Bewegung der Selbstüberschreitung im Entwurf auf die Zukunft hin der ontologischen Begründung, der Selbstsetzung, dienen soll, dann wird diese Begründung wesentlich häufiger auf andere Weise gesucht, nämlich im Blick des anderen, meines Gegenübers, das mich so widerspiegeln soll, wie ich mich sehe, in meiner Freiheit, aber mir zugleich die Festigkeit eines Dings geben soll. Wer dem Mann diese Selbstbegründung verschaffen soll, ist – Sie haben es erraten – die Frau. Sie soll, wie ich sagte, eine Doppelnatur besitzen, denn zum einen soll sie fügsames Objekt sein. Die gewünschte Begründung kann ihm jedoch nur ein freies Subjekt verschaffen. Dieser Widerspruch führt dazu, dass der Mann die Frau auf immer neue Weise phantasiert, weil der Begründungsversuch, die Suche nach Anerkennung in den Augen der Frau als Freiheit, zum Scheitern verurteilt ist. Ich zitiere: »[Die Frau] ist alles, wonach der Mann verlangt, und alles, was er nicht erreicht.«24 Die Frau ist zwar so konditioniert worden, dass sie den Mann anerkennt, wie er sich selbst sieht, aber sie entzieht sich auch immer wieder diesem Zweck, ist nicht absolut beherrschbar. Beauvoir untersucht ausführlich am Werk von fünf Autoren, wie sie die Frau konstruieren, und führt die Konstruktion auf das jeweilige Weltbild des Schriftstellers zurück. Damit liefert sie ein Modell für die vielen Studien, die sich seit den siebziger Jahren mit dem Frauenbild in der Literatur beschäftigen, und zwar aus kritischer feministischer Sicht.25 Sie führt zugleich eine Praxis vor, die in der westdeutschen Literaturwissenschaft der siebziger Jahre zu Popularität gelangen sollte: das Entmythologisieren. Dazu äußert sie sich auch theoretisch. Der Mythos, so schreibt sie, ersetzt die empirische, lebendige Erfahrung durch eine Idee, die überzeitliche Geltung beansprucht. Anders gesagt: Die real existierende Heterogenität wird in Homogenität überführt, den Mythos des ewig Weiblichen. In Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse wird die Wirklichkeit am Mythos gemessen: Wer ihm nicht entspricht, fällt durch das Raster, das je nach Epoche unterschiedlich ausgeprägt ist. Es gilt, so schreibt sie, den Mythos auf das Interesse jener abzuklopfen, die ihn errichtet haben. Aber taucht hinter dem zerstörten Mythos etwas auf, was die Frau »eigentlich« wäre? Sie kennen die Antwort: Es gibt nach existenzialistischer Auffassung keine Identität, die etwas anderes wäre als das Sediment des eigenen Handelns. Das Handeln vollzieht sich jedoch innerhalb bestimmter Bedingungen, innerhalb einer Situation. Der besonderen Situation, die die Frau antrifft – d. h. der condition féminine –, ist der zweite Band des Anderen Geschlechts gewidmet, bevor am Ende – ich sagte es – Perspektiven der Befreiung aufgezeigt werden.
Gelebte Erfahrung
Der zweite Band beginnt mit dem meistzitierten Satz der gesamten feministischen Literatur. Er ist so griffig, dass viele meinen, er enthalte die Quintessenz des gesamten Werkes: »On ne naît pas femme: on le devient.« Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht – wie die erste deutsche Übersetzung, die sich eingebürgert hat, lautete. Im Grunde ist es nur eine neue Paraphrase dessen, was Beauvoir unausgesetzt wiederholt: Es gibt keine weibliche Essenz, kein Schicksal, das die Anatomie auferlegt. Wenn es in der Geschichte so war, dann, weil es Nutznießer gab, die es so wollten. Wie die Frau von der Kindheit bis zum Alter in ihren einzelnen Lebensphasen von der Gesellschaft programmiert wird und wie sie selbst diese Programmierung empfindet, diese Darstellung macht den überwiegenden Teil des zweiten Bandes aus. Es ist eine Bestandsaufnahme der gelebten Erfahrung als Voraussetzung für ihre Überwindung. Beauvoir benutzt hier die unterschiedlichsten Quellen: psychologische Untersuchungen, Memoiren, fiktionale Literatur, Erfahrungen, die Frauen ihr anvertraut haben, und Beobachtungen, die sie selbst machte. Wegen der Fülle des ausgebreiteten Materials kann ich hier nur einige Punkte herausgreifen, die ihre Position charakterisieren.
Generell herrscht der Tenor vor, dass die Frau ihre Körperlichkeit als unangenehm empfindet. Ich muss hier gleich wieder in Erinnerung rufen, dass dies nicht so sein muss, sondern dass dies so ist wegen der gesellschaftlichen Konditionierung der Frauen, ihrer Zurichtung für heteronome Zwecke. Beauvoir geht