Simone de Beauvoir und der Feminismus. Ingrid Galster
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Die Nachrufe, die damals in der Pariser Presse erschienen, würdigen sie als Vorkämpferin des Feminismus, als Partnerin Sartres, als Linksintellektuelle und als Schriftstellerin, und zwar der Bedeutung nach in dieser Reihenfolge.2 Was kann man heute, 22 Jahre später, zu den einzelnen Rollen sagen?
Vorkämpferin des Feminismus
Simone de Beauvoir wurde nicht als Feministin geboren. Sie wurde auch nicht dazu gemacht, und dennoch wurde sie dazu. Schon sehr früh wollte sie über sich selbst schreiben und ging das Projekt als Philosophin systematisch an: Was hatte es für sie bedeutet, eine Frau zu sein? Aus der beabsichtigten Grundlegung der Autobiografie wird im Handumdrehen ein enzyklopädisches Werk, denn Beauvoir, die dank ihrer Ausbildung im republikanischen Frankreich als Frau selbst keine Nachteile hatte und von ihren Kommilitonen und Kollegen als völlig gleichrangig betrachtet wurde, stellt mit Erstaunen fest, dass die Welt, in der sie lebt, von Männern gemacht und mit Weiblichkeitsmythen bevölkert ist. Was die Gesellschaft unter »Frau« versteht, ist ein Konstrukt. In ihrer wie in Sartres Philosophie hat die Frau dagegen ebenso wenig wie andere Menschen eine feste Identität. Die Frau will sich in Freiheit verwirklichen, aber scheitert meistens daran, weil ihre Rolle in der Gesellschaft stärker festgelegt ist als die der Männer. Der Grund? Die Prokreation, die sie an die Immanenz fesselt, während die Männer ihre Situation überschreiten können. Nur, wenn die Frauen dieselben Bedingungen erhalten wie die Männer, können sie an der Transzendenz teilhaben. Beauvoir fordert daher 1949 im Deuxième Sexe Geburtenkontrolle (d. h. keine aufgezwungene, sondern bewusst gewählte Mutterschaft) und Teilnahme der Frauen an der Erwerbsarbeit (d. h. ökonomische Unabhängigkeit). Dass sich die Wirklichkeit in den fast 60 Jahren danach in dieser Richtung entwickelt hat, zeigt die Richtigkeit ihrer Diagnose, auch wenn eine selbsternannte Avantgarde – in Deutschland übrigens mit 30-jähriger Verspätung gegenüber Frankreich – versucht, der Differenz zuungunsten der Gleichheit zu Prestige zu verhelfen.3
Dass Le Deuxième Sexe sehr schnell bekannt wurde, liegt nicht nur am Existenzialismus-Boom, sondern auch an dem Skandal, den das Werk 1949 erregte, nachdem das Kapitel über die sexuelle Initiation der Frau in der Mai-Nummer der Temps modernes vorveröffentlicht worden war. Beauvoir beschreibt mit klinischer Genauigkeit einen Koitus, so dass ab der 2. Seite der Zeitschrift, die den Intellektuellen neue Wege weisen wollte, von der »Sensibilität der Vagina«, den »Zuckungen der Klitoris« und dem »männlichen Orgasmus« die Rede ist. François Mauriac, der katholische Leitartikler des Figaro, startet eine Meinungsumfrage unter den jungen Intellektuellen: Führt das Eindringen der »Erotik« in die Literatur die Nation nicht an den Rand des Abgrunds? Die Debatte um Beauvoirs Werk, das der erste Schritt war zu ihrer Autonomie als Schriftstellerin unabhängig von der Gruppe der Existenzialisten, füllte monatelang die Gazetten:4 Dank der Phänomenologie waren Gegenstände wie der Körper und Themen wie Sexualität diskursfähig geworden, jedenfalls bei jungen Intellektuellen, die die katholische Prüderie hinter sich gelassen hatten. Das Buch wurde sofort von einem amerikanischen Verlag übersetzt. Über die Rezeption von Feministinnen wie Betty Friedan und Kate Millett, die den Feminismus weltweit verbreiteten, haben die Ideen Beauvoirs dann unerkannt den Planeten erobert und über die französischen Übersetzungen der Schriften der Amerikanerinnen auch nach Frankreich zurückgefunden.5
Partnerin Sartres
Auch nach dem Ende der Vichy-Regierung war es keineswegs selbstverständlich, dass ein Paar sich öffentlich zu einer freien Verbindung bekannte. Die gleichberechtigte Partnerschaft zweier Schriftsteller, die sich in gegenseitiger Transparenz alle Freiheiten – auch sexueller Art – gönnten, hat mindestens zwei Generationen junger Intellektueller fasziniert, die aus dem Muff bürgerlicher Konventionen ausbrechen wollten. Die frühen Tagebücher, die im April 2008 bei Gallimard erscheinen,6 zeigen freilich, dass Beauvoir, kurz bevor sie Sartre kennenlernte, noch fest damit rechnete, ihren Cousin Jacques zu heiraten, mit dem sie schon als Kind eine Freundschaft verband. Sie vermitteln aber auch ihre Bedenken: Wird sie innerhalb der Ehe noch genug Freiraum haben zu denken und zu schreiben? Für Jacques ist die Ehe eine Art Besiegelung, ein Schlusspunkt. Sie aber will sich weiter entwickeln.
Die genaue zeitliche Planung, die sich immer wieder in ihren Tagebüchern findet, sieht vor, dass mit Abschluss ihres Studiums auch die »affektive Frage« geregelt sein muss. Genau zu diesem Zeitpunkt tritt Sartre in ihr Leben: Sie hat den Mann gefunden, von dem sie sich intellektuell dominiert fühlt, der ihr neue Horizonte eröffnet, der sich aber auch nicht binden will. Der berühmte Pakt ist ein Kompromiss, den beide aushandeln. Sartre – dies verrät eine Tagebucheintragung seinerseits – hätte nach einem Jahr gern seine Freiheit zurückerlangt, aber Beauvoir hat sie ihm nicht zurückgegeben. So musste sie ihm Polygamie zugestehen, zu der auch sie berechtigt war: Vermutlich hätte sie gern darauf verzichtet, wenn Sartre monogam zu haben gewesen wäre. Die Verbindung mit dem ungefähr gleichaltrigen Nelson Algren nach dem Krieg und die Liaison mit dem 17 Jahre jüngeren Claude Lanzmann, die sie als 44-Jährige einging, brachten ihr vor allem eine sexuelle Erfüllung, die sie mit Sartre nie gekannt hatte. Die Beziehung zu Sartre hat jedoch weiterhin intellektuell und emotional Priorität. Umgekehrt ist Beauvoir für Sartre der Fels in der Brandung seiner vielen Frauengeschichten, aber auch mehr. Wenn er sie »mon petit juge« nennt, so auch darum, weil sie ein eingespieltes Arbeitsteam sind. Sartre liefert die Ideen, Beauvoir nimmt sie mit ihrem scharfen analytischen Verstand auseinander. Ein Brief, den sie ihm Ende Oktober 1940 ins Kriegsgefangenenlager nach Trier schreibt, zeigt sehr deutlich diese Komplementarität. Sie hat ihn seit sieben Monaten nicht mehr gesehen und ist gespannt darauf, welche Entwicklung sein Denken genommen hat. »Es ist das erste Mal«, schreibt sie, »dass ich mich vor ganz neuen schönen Theorien befinden werde, die nicht an mir als Erster ausprobiert wurden, die ich nicht Stück für Stück bekämpft haben werde«. Dieses gemeinsame Denken war zweifellos bis zum Schluss für sie das wichtigste Band.
Linksintellektuelle
Wohlmeinende Feministinnen haben allerdings in letzter Zeit den Spieß umdrehen und Beauvoir den kreativen Part zuordnen wollen, den diese in weiblicher Selbstverleugnung für sich nicht reklamiert habe. Einer der Belege ist für sie die Genese der Engagementtheorie. Diese lässt sich aufgrund des lange verschollenen ersten Heftes von Sartres Kriegstagebüchern rekonstruieren. Die Anregung ging in diesem Fall tatsächlich von Beauvoir aus. Seit Juli 1938 war sie mit dem acht Jahre jüngeren Pastorensohn und ehemaligen Schüler Sartres Jacques-Laurent Bost liiert, der kurz nach der ersten gemeinsamen Nacht seinen Militärdienst antreten muss. Dieser ist noch nicht zu Ende, als der Krieg ausbricht. Beauvoir fürchtet um sein Leben und fragt im Oktober 1939, ob sie und Sartre nicht etwas versäumt hätten, als sie sich in der Zwischenkriegszeit nicht um Politik kümmerten. Tragen sie nicht durch ihre Passivität die Verantwortung, wenn Bost im Krieg fallen sollte? Sartre, der bis dahin über Verpflichtung nur auf individueller Ebene reflektiert hat, entwickelt daraufhin die Engagementtheorie, was ihm umso leichter fällt, als er genau zu diesem Zeitpunkt durch die Lektüre Heideggers die Historizität entdeckt.7
Auch wenn dieses – wichtige – Beispiel die enge Symbiose von Beauvoirs und Sartres Denken zeigt, so ist Sartre generell der theoretisch Führende. Dass sie ihm allzu eilfertig beim Wechseln seiner