Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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wie Flüchtlinge und Vertriebene aus den bisher deutsch besiedelten Gebieten östlich von Oder und Neiße sowie aus der Tschechoslowakei, die einen Anstieg der Stadtbevölkerung in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre auf erneut 200.000 Einwohner (1950) auslösen. Flüchtlinge – als Auswanderer aus der DDR über Berlin – sowie stetig ansteigende Geburtenzahlen sind es daraufhin während der 1950er Jahre, durch die sich das Wachstum der Stadtbevölkerung auf so hohem absoluten Niveau wie niemals zuvor in der Stadtgeschichte fortsetzte. 1957 wird die Marke von 250.000 Bewohnern erreicht und 1962 sind es schließlich 260.000. Im Jahr 1964 setzt dann der ganz allmähliche Bevölkerungsrückgang ein.

       Tabelle 1: Bevölkerung 1946 bis 2010

       ** Fortschreibung auf Grund der VZ vom 27. 5. 1970.

       Quelle: Stadt Oberhausen, bereich 4 - 5 Statistik und Wahlen

      Ermöglicht wurde diese von den Zeitgenossen als rasant empfundene Phase der Stadtentwicklung von einer beeindruckend großen Neubautätigkeit im Wohnungsbau, in deren Folge die verheerenden Kriegszerstörungen durch Luftangriffe weitaus schneller aus dem Stadtbild verschwanden, als es sich die Trümmerfrauen von 1945 jemals vorzustellen vermochten. Schon 1954 überschritt die Anzahl der Wohnungen das Vorkriegsniveau. Im Jahr 1958 hatte der Wohnungsbestand in Oberhausen dann die Vorkriegszahlen von 1939 (53.500 Wohnungen in 18.500 Wohngebäuden) um 30 Prozent überschritten und 70.500 Wohnungen in 22.800 Wohngebäuden erreicht. Die rege Bautätigkeit setzte sich fort, so dass 1962 bereits 80.500 Wohnungen in 25.500 Wohngebäuden zur Verfügung standen. Damit konnte die große Wohnungsnot der ersten Nachkriegsjahre mit vielfachen Doppelbelegungen von Wohnungen mit zwei Haushalten vollständig behoben werden, so dass in den 1960er Jahren die Zunahme der Wohnstandards über die Ausgangslage von 1939 (3,9 Personen pro Wohnung; 1,1 Personen pro Raum) einsetzte. 1948 hatten diese Werte noch 4,8 Personen pro Wohnung bei 1,4 Personen pro Raum betragen, um bis 1959 auf 3,5 Personen pro Wohnung und 1,0 Person pro Raum zu sinken.

      Die Wohnungserstellung wie die Bevölkerungszunahme wiederum basierten entscheidend auf einer stark prosperierenden Wirtschaft. Diese erzielte nicht allein in den allerersten Nachkriegsjahren enorme Steigerungsraten, als schließlich die Beseitigung von Kriegsfolgen eine außergewöhnliche Nachfrage auslöste. Begünstigt von ordnungspolitischen Rahmensetzungen – so die Währungsreform zur D-Mark 1948 als Meilenstein in der kollektiven Erinnerung der Nachkriegzeit – und genau so wichtig, von einer lang anhaltenden Hochkonjunktur der Weltwirtschaft seit dem Koreaboom ab 1951 getragen, wuchsen die Ruhrwirtschaft – und Oberhausen mitten darin – kräftig und beinahe stetig. 1951 fiel ein großer Teil der US-Industrie zur Versorgung des größten Binnenmarktes der Welt aus, als eine exorbitante Rüstungsproduktion für den heißen Krieg in Korea und den kalten Krieg weltweit einsetzte. S. stieg die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland Mitte der 1950er Jahre um bis zu neun Prozent jährlich, aber auch um 1960 betrug das Wachstum noch rund sechs Prozent im Jahresdurchschnitt. In Oberhausen kletterte die Zahl der Beschäftigten allein im Jahr nach dem Koreakrieg, 1954, um 4.000 von 85.000 auf 89.000.1

      Es stimmt angesichts einer solch stürmischen Nachkriegsentwicklung nicht mehr verwunderlich, wenn die Zeitgenossen im Oberhausen des Jahres 1960 sich nach den harten Lebensumständen bis etwa 1948 endlich einmal als die von den Zeitläufen Begünstigten wähnten – und dieses Glücksgefühl als Generation des deutschen Wirtschaftswunders, als Wiederaufbaugeneration im wirtschaftlichen Kraftzentrum Deutschlands, nämlich im Ruhrgebiet, in vollen Zügen – im Alltag, in der Freizeit, im Urlaub – genossen. Welch einen Kontrast bildeten diese 1950er Jahre im Vergleich zu der außerordentlich schwierigen und für heutige Verhältnisse kaum vorstellbar ungeordneten ersten Zeit nach Kriegsende. Darüber schreibt der renommierte Kölner Wirtschaftshistoriker Toni Pierenkemper sehr eindrucksvoll:

      „Die ersten Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen in den alliierten Besatzungszonen unter dem Signum von Not, Hunger und Chaos. Eine geordnete Wirtschaftstätigkeit war unter diesen Bedingungen kaum möglich und auch an einen Wiederaufbau von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft noch längst nicht zu denken. Die Menschen in Deutschland waren mit der notdürftigen Sicherung ihrer unmittelbaren Lebensbedürfnisse vollauf beschäftigt. Die deutsche Gesellschaft war durch die Zerstörungen des Krieges und die sozialen Verwerfungen auf ein Entwicklungsniveau zurückgeworfen, das demjenigen von 100 Jahren zuvor nicht unähnlich schien. Geregelte Erwerbsarbeit war unter diesen Umständen kaum sinnvoll und wenig lohnend, doch pro forma zum Bezug von Lebensmittelkarten notwendig. Die offizielle Arbeitslosenrate lag daher 1947 mit rund 5 % nicht überraschend auf einem bemerkenswert geringen Niveau, da sich reguläre Arbeit kaum lohnte und die zur Verfügung stehende Zeit effektiver für Selbstversorgungsaktivitäten und Schwarzmarktgeschäfte genutzt werden konnte. Schwarzmärkte und Hamsterreisen spielten neben Hilfslieferungen der ehemaligen Kriegsgegner in der Überlebensgesellschaft der 1940er Jahre eine bedeutsame Rolle für die Lebensgestaltung der Bevölkerung, die Bedeutung einer geregelten Erwerbstätigkeit trat demgegenüber zurück. Die Fabriken, sofern sie nicht zerstört waren, standen zunächst weitgehend still. ‚Es fuhr keine Eisenbahn, keine Tram, kein Postkasten wurde geleert, alle Telefone waren tot‘, so die Schilderung von Zeitzeugen. Rohstoffmangel und Zerstörungen standen der Aufnahme einer geregelten Produktion noch entgegen. Beschlagnahmungen Demontagen verschärften die Situation zusätzlich. Die Löhne waren so gering, dass es sich kaum lohnte zu arbeiten, zumal entwertetes Geld in großem Umfang zur Verfügung stand. Die offiziellen Preise waren auf niedrigem Niveau festgehalten, Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs unterlagen weiterhin wie in der NS-Zeit einer strikten Bewirtschaftung und waren nur gegen Marken zu erhalten, so dass ihr Kauf angesichts des ungeheuren inflationären Geldüberhangs finanziell keine Schwierigkeiten bildete. Anders war es auf den schwarzen Märkten, wo die Preise ein Vielfaches der administrierten Preise betrugen. Eine grundlegende Veränderung wurde erst nach der Neuordnung der Währungsverhältnisse möglich.“2

      Der Zeitgeist des Wirtschaftswunders wird zudem nicht verständlich ohne zu berücksichtigen, dass die Menschen in Deutschland Erfolge in der Wirtschaft als Mittelpunkt ihrer kollektiven Identität begriffen, nachdem sich als Folge des Nationalsozialismus Themen der nationalen Politik und des Nationalbewusstseins dazu kaum eigneten. Und die Oberhausener waren voller Zuversicht und Selbstbewusstsein beim Wirtschaftswunder mitten dabei! Die „Wiege der Ruhrindustrie“ stellte weit mehr als eines der sprichwörtlichen „kleinen Rädchen“ im mächtigen Gefüge von Europas größter Industrieregion dar: 4,5 Prozent der deutschen Steinkohlenförderung, 6,5 Prozent der deutschen Kokserzeugung und sogar rund 9 Prozent der deutschen Roheisen- und Stahlerzeugung wurden in Oberhausen gefördert bzw. produziert. S. können wir nachvollziehen, warum und wie sehr die Menschen selbstbewusst und zuversichtlich die Gegenwart erlebten und in die Zukunft sahen. Kaum ein historisches Dokument bringt diesen Zeitgeist, diesen Optimismus und dieses Selbstbewusstsein der Menschen in Oberhausen eindrucksvoller, plastischer zum Ausdruck als Oberhausens legendärer Stadtwerbefilm „Schichten unter der Dunstglocke“ von 1958/​59. Rauchende Schlote und sich schwungvoll drehende Seilscheiben der Fördertürme, verschwitzt glänzende, nackte Arbeiter-Oberkörper und schier endlos wimmelnde Menschenmassen vor Werkstoren beim Schichtwechsel, auf Schulhöfen oder auch auf der Marktstraße beim Einkaufsbummel am Samstag bringen die stolze, ein wenig urbane Zufriedenheit zum Ausdruck, die den Oberhausener und die Oberhausenerin von 1959 mehrheitlich bestimmte. Nun können wir besser verstehen, dass die Stimmungslage der Stadt eine positive, meist persönlich zufriedene, hoffnungsfrohe war. Aber dennoch: Warum vermochten die Zeitgenossen von 1960 als Generation, weit mehrheitlich, als städtisch kommunizierende Öffentlichkeit offenbar noch nicht zu erkennen, dass sich da vor ihren Augen, in ihren Tagen ein umfassender Wandel von bisher ungekannter und unvorstellbarer Dimension Bahn zu brechen begann? Dieser Frage werden wir nur mit Hilfe eines Blicks in die Geschichte des Wandels auch schon vor 1960 auf den Grund gehen können.3

       Der Wandel in Oberhausen hat eine lange Geschichte

      1890

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