Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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Schranke und rumpelte dann über die Bahngleise, nachdem die Schaffnerin sich vorschriftsmäßig vergewissert hatte, dass kein Zug mehr im Anmarsch war, um dann auf die langsam fahrende Straßenbahn wieder aufzuspringen.104

       Abb. 11: Luise Albertz in einer offenen schwarzen Mercedes-Limousine an der Seite von Willy Brandt bei der Einweihung der neuen Straßenbrücke über die Emschertalbahn, GA vom 3. September 1965

      Zweieinhalb Jahre später ging das Straßenbahnzeitalter in Oberhausen zu Ende. Am Sonntag, dem 13. Oktober 1968, fuhr die Linie 1 zum letzten Mal von der Broermann-Realschule (heute Anne-Frank-Realschule) zum Bahnhof Holten. Wer wollte, konnte auf dieser wehmütigen letzten Fahrt umsonst mitfahren. Am 3. April 1897, vor 71 Jahren, war die erste „Elektrische“ vom Oberhausener Bahnhof bis zur Essener Straße gerumpelt, wo die Leitung der GHH für die Ehrengäste eine Runde kühles Pils ausgab. Oberhausen konnte stolz für sich in Anspruch nehmen, als erste deutsche Stadt seit 1897 einen elektrischen Straßenbahnbetrieb voll in kommunaler Regie zu betreiben. Jetzt waren die Stadtoberen der Meinung, dass Busse schneller und wirtschaftlicher seien. Argumente des Umweltschutzes spielten damals noch keine Rolle.105 Dass das Intermezzo ohne Straßenbahn gerade mal drei Jahrzehnte dauern würde, ahnte in den 1960er Jahren noch keiner. Dem Auto gehörte die Zukunft. Personen- und Güterverkehr wurde überall von der Schiene auf die Straße verlagert. Öl verdrängte die Kohle als wichtigster Energieträger.

       Wetterleuchten in der Arbeitswelt

      In der Mitte des Jahrzehnts brummte die Wirtschaft wieder wie in den besten Jahren des deutschen Wirtschaftswunders. Das Flaggschiff der Oberhausener Industrie, die HOAG, konnte im zweiten Quartal 1964 einen neuen Produktionsrekord vermelden: Erstmals waren in einem Monat mehr als 200.000 Tonnen Rohstahl erzeugt worden.106 Die Ruhrchemie kündigte eine Großinvestition an, den Bau einer neuen Salpetersäurefabrik. Wie in der gesamten chemischen Industrie wurde Öl zum wichtigsten Grundstoff. Die Verwendung von Kokereigas, das in riesigen Röhren in das Werk in Holten transportiert wurde, lief aus.107 Die Babcockwerke konnten bei der Jahreshauptversammlung Anfang 1965 stolz darauf verweisen, dass sie als eines der ersten Unternehmen in Deutschland die Nutzung der Atomenergie in ihr Programm aufgenommen hatten. Für das Forschungsschiff „Otto Hahn“ lieferte Babcock den Reaktor. Nur einen Schönheitsfehler hatte die Jahreshauptversammlung: Sie fand nicht in Oberhausen, sondern in Duisburg statt.108

      Hauptproblem bei der HOAG, wie bei der Oberhausener Industrie insgesamt, schien der Mangel an Arbeitskräften zu sein. In der Metallindustrie von Oberhausen fehlten im Herbst 1964 mehr als 3.000 Arbeitskräfte. Auch die Bauindustrie suchte dringend Facharbeiter. Selbst im Bergbau gab es viele offene Stellen. Die Bilanz des Oberhausener Arbeitsamtes für das Jahr 1964 sah so aus: In 14.400 offene Stellen wurden 10.100 Arbeitskräfte vermittelt, darunter 3.280 Frauen und 3.250 Ausländer. Die Hälfte der Männer, die einen neuen Arbeitsplatz bekamen, waren also Ausländer.

      Die meisten „Gastarbeiter“ bei der HOAG stammten aus Spanien (437 neben 213 Griechen und 140 Türken von insgesamt noch 11.754 Arbeitern). Für sie stellte die Wohnbaugesellschaft Dümpten, eine Tochter der HOAG, Anfang 1965 im Knappenviertel ein achtgeschossiges Wohnheim fertig. Dadurch schienen für die Spanier alle Probleme erst einmal gelöst. Erstmals wurden ab Herbst 1964 auch Gastarbeiter aus Portugal angeworben. Und noch eine Premiere gab es im Frühjahr 1965: Auf der Zeche Concordia wurde ein italienischer Bergarbeiter in den Betriebsrat gewählt.109

      Im Quartalsbericht des Arbeitsamtes war aber kurz danach schon davon die Rede, dass man die Anwerbung von Gastarbeitern abbremsen müsse. Im Bergbau ging die Nachfrage nach Hauern und Schleppern zurück. Als erstes sollte sich die neue Situation für die „Ferien-Bummelanten“ schmerzhaft auswirken. Einige Zechen würden die Arbeiter, die zum Ferienende nicht pünktlich wieder antraten, nicht wieder einstellen.110 Das ist ein erstaunlicher Hinweis: Hieß das, dass ihre Arbeitsverträge ausliefen, wenn sie zum Urlaub in ihre Heimatländer fuhren?

      Anders als bei der Metallindustrie oder der Großchemie waren beim Bergbau die Absatzprobleme auch im Boom-Jahr 1965 nicht zu übersehen. Ab 1966 verschlechterte sich auch die Auftragslage bei Metall und Chemie. Die erste echte Konjunkturkrise der Nachkriegszeit schlug in diesem Jahr voll zu: Feierschichten im Bergbau, Flaute in der Eisen- und Stahlindustrie, Rückgang der Einwohnerzahl und als Folge Rückgang der Kaufkraft und sinkender Wohnungs- und Straßenbau – vor diesem Hintergrund mussten die Stadtväter jetzt einen Haushalt zurechtzimmern. Bei einem Schuldenstand von 200 Millionen DM versuchten sie, wenigstens noch die Seniorenwohnanlage der Elly-Heuss-Knapp-Stiftung zu retten. Zum ersten Mal erschien am Horizont das Gespenst des Staatskommissars, der der kommunalen Selbstverwaltung den Garaus machen würde.111

       Concordia wird stillgelegt

      Im September 1950 hatte die Zeche Concordia noch mit großem Pomp ihr Hundertjähriges gefeiert. Die älteste Oberhausener Zeche konnte voller Optimismus als „schönstes Jubiläumsgeschenk“ eine Rekordförderung vermelden: Sie hatte fünf Jahre nach Kriegsende wieder 92 Prozent der Vorkriegsförderung erreicht. Die Festredner erklärten voller Zuversicht, dass die Selbstständigkeit der Zeche gesichert sei. Ob das städtische Orchester, als es zum Schluss Les Préludes von Liszt intonierte, fünf Jahre nach Kriegsende einen so guten Griff getan hatte, sei dahingestellt – die Nazis hatten dieses Stück im Radio als „Siegesfanfare“ in ihrem Vernichtungskrieg gegen Russland missbraucht.112 Im Dezember 1959 berichtete die Concordia Bergbau AG noch von einer sehr guten Ertragslage – erkennbar an den üppigen Dividenden, die bis Ende 1958 ausgeschüttet worden waren. Den Vorwurf des „SPIEGEL“, die Concordia sei eine „Hungerzeche“, wies der Konzern vehement zurück.113

      Zwei Jahre später klang der Optimismus schon sehr gedämpft. Anfang der 1960er Jahre tauchte der Begriff des „Strukturwandels“ in den Spalten der Lokalpresse auf. Der Konkurrent Öl und die sozialen Belastungen des Bergbaus wurden als Hauptursachen der Krise ins Visier genommen. Zu Beginn der 1950er Jahre verdienten auf Concordia noch fast 5.000 Arbeiter und fast 500 Angestellte ihren Lebensunterhalt. Über 11.000 Familienangehörige waren von ihrem Lohn abhängig. Für den Stadtteil Lirich und darüber hinaus für die ganze Großstadt Oberhausen mit ihren 260.000 Einwohnern waren die Arbeitsplätze der Zeche Concordia deshalb lebenswichtig. Der Zuruf „Kein Grund zum Pessimismus“ klang aber schon 1962 fast wie das Pfeifen im Walde, mit dem sich der einsame Wanderer selbst Mut macht. „Trotz aller Schwierigkeiten“ lasse sich „aus der wechselvollen und manchmal sogar dramatischen Geschichte des Unternehmens die Hoffnung und auch die Zuversicht ableiten, dass sie [die Zeche] auch jetzt wieder bestehen wird.“114 Schon seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre war der Ruhrbergbau eigentlich nicht mehr aus den – negativen – Schlagzeilen herausgekommen. Dies war wohl auch ein Grund dafür, dass deutsche Arbeitskräfte für die schwere Arbeit unter Tage nur noch schwer zu finden waren.

      Der Geschäftsbericht für das Jahr 1964 verzeichnete insgesamt wachsende Haldenbestände, einen weiteren Rückgang der Zahl der Beschäftigten auf insgesamt 3.874, davon unter Tage 2.344, gleichzeitig aber die Neueinstellung von 174 Marokkanern und 174 Türken. Da gleichzeitig 80 Griechen und 35 Italiener ihre Verträge nicht verlängert hatten, kann diese Verschiebung in der Zusammensetzung der Untertage-Belegschaft durchaus als symptomatisch angesehen werden: Die erste Gastarbeiter-Generation rückte auf in weniger anstrengende Berufe, Türken und Nordafrikaner rückten unter Tage nach.115 Trotz der Absatzprobleme sprengte sich die Concordia auf Schacht 4 auf eine Tiefe von 950 Metern, 150 Meter tiefer als zuvor. In ihrem Abbaugebiet lagerte noch Kohle für 50 Jahre. Bis 2015 wollte man, so hieß es bei der Direktion, auf Schacht 4 noch Kohle fördern.116

      Keine zwei Jahre später nützte alle Zuversicht nichts mehr. Am 8. Mai 1967 beschloss der Vorstand der Concordia, dem Aufsichtsrat die Stilllegung der Zeche vorzuschlagen. An diesem Tag jagte eine Konferenz die andere:

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